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Spiegel-Online über den Versuch, „eine wissenschaftliche Frage juristisch zu beantworten“

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Jetzt auch bei Spiegel-Online:

Zusammengefasst: Der Arzneimittelhersteller Hevert geht mit Unterlassungsabmahnungen gegen Homöopathie-Kritiker vor. Die bekannte Ärztin und Autorin Natalie Grams wird darin aufgefordert, nicht länger zu behaupten, die Wirksamkeit von Homöopathie gehe „nicht über den Placebo-Effekt hinaus“. Sonst drohe eine Vertragsstrafe von 5100 Euro.

Grams weist die Aufforderung zurück. Sie lasse sich nicht dazu zwingen, den Stand der Wissenschaft zu verleugnen.

Auch der WDR steigt in die Geschichte ein.

Zum Weiterlesen:

  • Pharmakonzern geht juristisch gegen Homöopathie-Kritiker vor, Spiegel-Online am 3. Juni 2019
  • Homöopathie: „Shitstormy Weather“ über Hevert, GWUP-Blog am 3. Juni 2019
  • Lächerlich: Globuli-Pharma will „Wirksamkeit“ der Homöopathie mit Unterlassungserklärungen herbeizwingen, GWUP-Blog am 25. Mai 2019
  • Homöopathie: Streit um Wirksamkeitsnachweis, WDR 5 am 3. Juni 2019
  • Globuli-Produzent droht Homöopathie-Kritikern mit Klagen, derStandard am 3. Juni 2019

11 Kommentare

  1. Und nun die dumme Frage für zwischendurch:

    Angeblich argumentiert Fa. Hevert mit einem spezifisch juristischen Begriff des „Wirksamkeitsnachweises“, wonach die Wirksamkeit von homöopathischen „Arzneimitteln“ durch homöopathieimmanente Belege „nachgewiesen“ werden könne, auch wenn ein wissenschaftlicher Wirksamkeitsnachweis fehle.

    Abgesehen davon, dass eine solche gesetzliche Terminologie unbeachtlich wäre, weil der Gesetzgeber Unwirksames nicht als wirksam definieren kann (juristisch wäre das eine „Fiktion“, der Wirksamkeitsnachweis würde nur fingiert), lässt sich bei einem (zugegebenermaßen kursorischen) Blick in das AMG schon nicht feststellen, dass der Gesetzgeber Derartiges getan hat:

    Erkennbar zielen die Regelungen für homöopathische Arzneimittel allein auf den Schutz vor Gefahren (zB bei nicht hinreichender Verdünnung), nicht aber auf die Gewährleistung einer Wirksamkeit. Die Regelungen über die vorzulegenden Unterlagen sehen daher ausdrücklich vor, dass die Vorgaben für „Angaben über die Wirkungen [!] und Anwendungsgebiete, für die Unterlagen und Gutachten über die klinische Prüfung“ sowie für weitere Angaben nicht gelten.

    Vorzulegen sind hingegen Unterlagen über die pharmakologisch-toxikologische Prüfung, „soweit sich die Unbedenklichkeit des Arzneimittels nicht anderweitig, insbesondere durch einen angemessen hohen Verdünnungsgrad ergibt“ (§ 38 Abs. 2 Satz 2 und 3 AMG).

    Auch für einen Wirksamkeitsnachweis nach „Binnenregeln“ sehe ich da keine Anhaltspunkte – oder übersehe ich da etwas?

  2. @ Th. Koch:

    Bei § 38 AMG geht es um registrierte homöopathische Mittel, die spielen in der jurististischen Auseinandersetzung mit Hevert keine Rolle. Da geht es ausschließlich um zugelassene Mittel und die damit verbundene Wirksamkeitsannahme durch entsprechendes Erkenntnismaterial.

    Als Erkenntnismaterial gilt hier auch Literatur etc., siehe dazu die Links in http://scienceblogs.de/gesundheits-check/2019/05/19/homoeopathie-wissenschaft-und-recht-eine-fortsetzungsgeschichte/#comment-86567, insbesondere die verlinkte BfARM-Bekanntmachung und dort das Kleingedruckte am Ende.

  3. Pingback: Aufruf an Hevert: Verklagt doch einfach alle! – Gesundheits-Check

  4. Ist denn gesichert, dass Prof. Glaeske die Unterlassungserklärung tatsächlich unterschrieben hat, oder bezieht sich SpON auch nur wieder auf die Fake-Meldung von C. Becker vom 1. April?

  5. @ noch‘n Flo:

    Er hat unterschrieben, aus bei ihm nachvollziehbaren, besonderen Gründen, siehe http://scienceblogs.de/gesundheits-check/2019/05/19/homoeopathie-wissenschaft-und-recht-eine-fortsetzungsgeschichte/

  6. @ Joseph Kuhn:

    Vielen Dank für die Starthilfe. Das Recht der Arzneimittelzulassung ist eine Spezialmaterie, die – wie sich zeigt – viel zu sehr unter Ausschluss der (juristischen) Fachöffentlichkeit stattfindet. Betrachtet man die Regelungen über die Zulassung von Arzneimitteln mit Blick auf die homöopathischen Präparate, so mündet das nämlich unmittelbar in eine Aporie:

    1. Aus den Mechanismen des § 25 AMG folgt, dass ihr die gesetzgeberische Annahme einer pharmakologischen Wirksamkeit der Homöopathie zugrunde liegt.

    a) So ist ein Versagungsgrund nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AMG, wenn einem Arzneimittel „die vom Antragsteller angegebene therapeutische Wirksamkeit fehlt oder diese nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse vom Antragsteller unzureichend begründet ist“. Dabei fehlt die geforderte therapeutische Wirksamkeit, „wenn der Antragsteller nicht entsprechend dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Ergebnisse nachweist, dass sich mit dem Arzneimittel therapeutische Ergebnisse erzielen lassen“ (§ 25 Abs. 2 Satz 3 AMG).

    Insoweit gilt, dass der Wirksamkeitsnachweis für ein Präparat nicht geführt ist, „wenn sich aus dem vorgelegten Material nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht ergibt, dass die Anwendung des Arzneimittels zu einer größeren Zahl an therapeutischen Erfolgen führt als seine Nichtanwendung“.

    Auch wenn „die medizinischen Erfahrungen der jeweiligen Therapierichtung zu berücksichtigen“ sind (§ 25 Abs. 2 Satz 4 AMG), ist damit nicht nur der Placebo-Effekt gemeint; erforderlich ist vielmehr eine wirkstoffabhängige Wirksamkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 01.12.2016 – 3 C 15/15, Rn. 24). Auch bedeutet die Verzichtbarkeit des Beurteilungsberichts nach § 25 Abs. 5a AMG bei homöopathischen Präparaten (§ 25 Abs. 5b AMG) nicht, dass auf den Wirksamkeitsnachweis insgesamt verzichtet werden könne.

    b) Der genannte Maßstab gilt daher grundsätzlich auch für homöopathische Präparate und auch dann, „wenn der Wirksamkeitsbeleg nicht durch eine klinische Erprobung nach den Grundsätzen evidenzbasierter Medizin …, sondern durch anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial … erbracht wird“.

    Insbesondere die Bezugnahme auf sonstiges wissenschaftliches Erkenntnismaterial „setzt nicht den Maßstab für die Begründung der therapeutischen Wirksamkeit herab, sondern betrifft nur die Art des dem Zulassungsantrag beizufügenden Erkenntnismaterials“ (VG Köln, Urt. v. 12.04.2016 – 7 K 6001/12, Rn. 41 zu einem Präparat der anthroposophischen Therapierichtung).

    Auf dieser Grundlage kann folglich die Berücksichtigung der Besonderheiten einer Therapierichtung am Erfordernis des Wirksamkeitsnachweises nichts ändern.

    Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass der Gesetzgeber „den bestehenden Wettstreit zwischen miteinander konkurrierenden Behandlungsoptionen“ nicht verbindlich entscheiden wollte, da es nicht Aufgabe des Gesetzgebers sei, „durch eine einseitige Festlegung bestimmter Methoden für den Nachweis der Wirksamkeit eines Arzneimittels einen der miteinander konkurrierenden Ansätze in den Rang eines allgemein verbindlichen Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse … zu erheben“.

    Vielmehr sollte sich „im Zulassungsbereich der in der Arzneimitteltherapie vorhandene Wissenschaftspluralismus deutlich widerspiegeln“ (vgl. VG Köln ebd., Rn. 43).

    Daraus folgt: „Der Gesetzgeber hat bei den Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen … das Anforderungsniveau an die Wirksamkeitsbegründung zwar nicht abgesenkt, aber eine Prüfung an den Maßstäben der eigenen Therapierichtung vorgesehen“ (VG Köln ebd., Rn. 45).

    Daraus folgt weiter: Der Gesetzgeber glaubte bei Erlass des § 25 AMG an die Möglichkeit des Wirksamkeitsnachweises für homöopathische Präparate.

    2. Nimmt man dies ernst, so hat diese gesetzgeberische Fehlvorstellung zur Konsequenz, dass homöopathische Präparate nicht zugelassen werden dürften, weil der Wirksamkeitsnachweis – in welcher Form auch immer – in Wahrheit nicht zu führen ist.

    Die Gegenauffassung, der zufolge wegen der gesetzgeberischen Unterstellung einer Wirksamkeit ein Wirksamkeitsnachweis auch zu führen sein müsse, mündete letztlich in magisches Denken in Gesetzesform.

    3. Es deutet sich an, dass die Zulassungspraxis in neuerer Zeit offenbar kritischer mit homöopathischen Präparaten umgeht (vgl. den Sachverhalt von OVG NW, Urt. v. 29.01.2014 – 13 A 2755/12). Allerdings ist ein Problem, dass es heute wohl eher um die Verlängerung der Zulassung homöopathischer Präparate und nicht um Neuzulassungen geht. Hier werden die Behörden aufgrund der gesetzlichen Regelungsmechanismen durch die Gerichte ausgebremst, weil es bei der Verlängerung einer Zulassung zu einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast kommt: Nicht der Hersteller muss die fortdauernde Wirksamkeit, sondern die Behörde die Unwirksamkeit beweisen (vgl. BVerwG ebd., Rn. 19).

    Das OVG NW meint dazu: „Das Nutzen-Risiko-Verhältnis ist nicht schon immer dann ungünstig, wenn die Wirksamkeit nicht (mehr) festgestellt werden kann. … Die Erschütterung der Annahme der Wirksamkeit begründet noch kein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis“ (ebd., Rn. 34). Auch darf eine „nunmehr zweifelhafte Wirksamkeit … nicht automatisch zur Ablehnung der Zulassungsverlängerung führen.“ (ebd., Rn. 36).

    4. Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht mit Blick auf die Verlängerung einer Zulassung auch angemerkt, dass die Verlängerung versagt werden kann, wenn sich „nach dem gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse keine Ursächlichkeit zwischen der Anwendung des Arzneimittels und dem therapeutischen Erfolg feststellen lässt“ (BVerwG ebd., 26); in diesem Zusammenhang müssen „wirkstoffunabhängige Effekte“ außer Betracht bleiben (vgl. BVerwG ebd., Rn. 24, s.o.).

    Offenbar hat aber noch niemand versucht, einem homöopathischen Präparat mit der Begründung, es gebe keine wirkstoffabhängigen Effekte, die Zulassung (oder deren Verlängerung) zu versagen. Es wird Zeit, dass dies anders wird.

    Zusammenfassung: Die Möglichkeit der Zulassung homöopathischer Arzneimittel basiert auf magischem Denken des Gesetzgebers. Diese Fehlvorstellung zwingt aber nicht zur Zulassung homöopathischer Arzneimittel; diese sollte – im Gegenteil – unterbleiben.

  7. Der Drahtverhau der arzneimittelrechtlichen Regelungen wird in der Tat von Herrn Hevert nur als leichter Streifen am Horizont wahrgenommen. Dass eine rechtliche Fiktion nur Bedeutung für den jeweiligen Regelungskontext gilt und nicht die Realität außer Kraft setzt, ist ohnehin klar.

    Man kann es darauf reduzieren, dass auch das Zulassungsverfahren für Homöopathika nur ein anderes Etikett auf der Dose des Binnenkonsens ist – die Zulassungsregeln setzt die Kommission D sich selbst.

    Und da bleibt schlicht festzuhalten, dass die „Evidenzstufen“ dieser Selbstreferenz – nach Indikationsschwere gestaffelt – nur in der obersten Stufe zaghaft nach „Studienergebnissen“ verlangen. Und damit ist, berücksichtigt man die Aussage des BfArM in seinem Tätigkeitsbericht, es habe bisher keine Zulassung auf der Basis von Studienergebnissen bei der Kommission D gegeben, zu Heverts Wunsch, man möge die Realität der Rechtslage anpassen, der Gegenbeweis bereits geführt.

    Ist dieses selbstgehäkelte Verfahren der Kommission D überhaupt rechtskonform mit dem AMG? Immerhin eine Frage, mit der ich mich mal beschäftigen werde.

    Der Gesetzgeber sollte verstehen, was er mit dem Binnenkonsens für einen Brandsatz im AMG hat. Aus der Zeit gefallen war er schon 1978. Nun beginnt er, Schaden anzurichten – womit ich nicht den allgemein durch Homöopathie als „Medizin“ angerichteten meine, sondern den an intellektueller Redlichkeit.

    Das Ganze hat manche Facette. Vor allem die, dass der Versuch, die Realität unter Berufung auf eine gesetzliche Fiktion zu verbiegen, gewaltige Chuzpe oder völlige Hilflosigkeit dokumentiert – oder die ernsthafte Ansicht, man müsse um jeden Preis einer finsteren Verschwörung sinistrer Mächte entgegentreten, die mittels einer Handvoll ehrenamtlicher Skeptiker Europas Regierungen übernehmen wollen.

    Nun, Hevert hat es ja schon mehrfach so ausgedrückt.

    Ich beginne anzunehmen, dass er das tatsächlich so meint und dass das seine Triebfeder ist.

  8. @ Th. Koch:

    Schönes Destillat und schönes Fazit.

  9. „Dass eine rechtliche Fiktion nur Bedeutung für den jeweiligen Regelungskontext gilt und nicht die Realität außer Kraft setzt, ist ohnehin klar.“

    Genau. In jeder anderen juristischen Materie würden dicke rote Korrekturstriche eine Übungsarbeit zieren, wenn d* Kandidat* verkennen würde, dass manchmal aus einem tatsächlichen Argument ein rechtliches gedrechselt werden kann, aber niemals umgekehrt.

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