SZ-Redakteur Sebastian Herrmann hat seinen SkepKon-Vortrag „Gefühlte Wahrheiten“ zu einem Buch verarbeitet.
Es ist im Aufbau-Verlag erschienen und beschreibt,
… wie persönliche Ansichten entstehen und welche psychischen Ursachen sie haben: warum wir Neues so rasch ablehnen, auf negative Informationen stehen, uns chronisch selbst überschätzen, Fans simpler Botschaften sind und überall nach Bestätigung suchen.
Ein kluger, hochaktueller Wegweiser für den täglichen Umgang mit Wahrheit und Lüge in Zeiten von Fake News und Co.
Eine Leseprobe steht auf der Verlagsseite zum Download bereit:
Wir sind Getriebene unserer Gefühle. Der amerikanische Comedian Stephen Colbert hat dafür einen sehr passenden Begriff geprägt: Truthiness. Das ließe sich als Wahrheitlichkeit übersetzen und beschreibt das höchst subjektive Gefühl, dass sich etwas irgendwie richtig und wahr anfühlt.
Der Satiriker bringt damit auf den Punkt, worum es uns tatsächlich geht: Eine Behauptung muss sich nur wahr anfühlen. Ob sie auch wahr ist, spielt eine untergeordnete Rolle, Hauptsache es handelt sich um eine gefühlte Wahrheit „Ich bin kein Fan von Lexika oder Lehrbüchern, die uns ständig sagen, was wahr oder falsch ist“, ätzte Colbert in seiner Fernsehshow The Colbert Report. Statt in einem Buch nachzuschlagen, solle man seinen Bauch befragen, forderte der Comedian seine Zuschauer in wiederkehrenden Beiträgen auf.
Er bezog sich dabei auf den ehemaligen US-Präsident George W. Bush und seinen mittlerweile viel zitierten Satz aus dem Jahr 2002: „Ich verbringe nicht viel Zeit damit, Meinungsumfragen rund um die Welt durchzuführen, um herauszufinden, ob das, was ich glaube, richtig ist. Ich muss nur wissen, was ich fühle.“
Das ist Truthiness: Wahrheit aus dem Bauch statt aus diesen naseweisen, besserwisserischen Büchern! Und jeder, der jetzt abfällig über die geistige Faulheit der anderen Menschen grinst, dem sei gesagt: Wir alle ticken so, auch der Autor dieses Buches! […]
Welche versteckten psychischen Faktoren beeinflussen also unsere Meinungen und unseren Umgang mit Informationen, wenn Fakten eine so deprimierend unwichtige Rolle spielen? Unter welchen Umständen wirken Informationen glaubwürdig, und unter welchen Bedingungen weisen wir korrekte Fakten zurück? Wie gehen wir überhaupt mit Informationen um – welche lassen wir an uns heran und welche lehnen wir reflexartig ab?
Höchste Zeit, sich damit zu beschäftigen, nach welchen Prinzipien der Richter im Geist eines jeden Menschen seine Schnellurteile fällt und wie er zu seinen Entscheidungen kommt, die er dann langfristig für richtig hält. Höchste Zeit, nach den psychologischen Fundamenten unserer Meinungen zu fahnden und zu fragen:
Wie entstehen die vielen gefühlten Wahrheiten, die jeder von uns in sich trägt?
Zum Weiterlesen:
- Sebastian Herrmann: Gefühlte Wahrheit. Aufbau-Verlag, Berlin 2019, 265 Seiten, 18 €
14. April 2019 um 19:26
Heißt es nicht, wer nicht hören will, muss fühlen? So entstehen gefühlte Wahrheiten. ;-)
15. April 2019 um 07:03
Gerne hätte ich euer Video an jemanden weitergeleitet, der es ziemlich nötig hätte, dieses Buch mal zu lesen.
Leider wird er schon bei dem Wort „Starrkopf“ in der Überschrift wegklicken.
Was mich einmal mehr zu der Frage bringt, wieso ihr – werte Skeptiker – eigentlich gerade die Menschen, die ihr am dringendsten erreichen wollt, durch Geringschätzung wegstoßt. Falls ihr nicht wisst, was ich meine: Abwertende Ausdrücke wie „Starrkopf“ erzeugen in einem solchen eher nicht das Gefühl, er sollte sich jetzt mal öffnen und mit eurer Botschaft auseinandersetzen.
Versucht’s doch mal mit ein bisschen Gewaltfreier Kommunikation, vielleicht klappt’s dann auch mit dem dickköpfigen Nachbarn.
Oder seid ihr dazu möglicherweise zu starrsinnig? ;)
15. April 2019 um 11:06
@Anna Wander:
Danke für den Hinweis, den wir gerne bedenken werden.
Im konkreten Fall kann ich es indes nur zur Hälfte nachvollziehen. Es geht eigentlich primär um ein Buch, nicht um ein Video (von einer internen Konferenz, also praktisch zur Fortbildung der Anwesenden) – und das Buch heißt „Gefühlte Wahrheit“, ohne „Starrkopf“ (möglicherweise hat Herr Herrmann Ihre Anregung also praktisch schon berücksichtigt).
Das könnte man doch an besagten „jemanden“ verschenken.
18. Mai 2019 um 17:41
Sehr interessant: Skepticism And The Persuasive Power Of Conversion Stories
Scott O. Lilienfeld
From: Volume 43, No. 3
May / June 2019
https://skepticalinquirer.org/2019/05/skepticism-and-the-persuasive-power-of-conversion-stories/
29. Mai 2019 um 22:29
Mir gefällt das Buch sehr gut. Faktenreich und sehr anschaulich wird klar aufgezeigt, dass die Defizithypothese falsch ist. Bildung ist wichtig und Fakten auch. Aber Emotionen steuern unser Handeln stärker, als wir glauben wollen und die Ratio kommt dann hinterhergeschoben. Unbedingt lesen.