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Mit Impfgegnern und Verschwörungsgläubigen reden – aber nicht so wie in der „Zeit“

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Hat eigentlich die Zeit-Online-Aktion „Deutschland spricht“ neue Erkenntnisse für den Umgang mit Esoterikern, Pseudowissenschaftlern, Verschwörungstheoretikern erbracht?

Spoiler: nicht wirklich.

Für die Titelgeschichte in der gedruckten Zeit (39/2018) hatte sich der Autor Bastian Berbner zwar auch mit einem Verschwörungstheoretiker verabredet – die Treffen verliefen indes „frustrierend“.

Einige Auszüge:

In einem Münchner Brauhaus sitze ich Martin gegenüber. Seit fünf Jahren will ich dieses Gespräch führen, ich habe es nie gemacht, vielleicht weil ich ahnte, dass es unangenehm werden könnte – obwohl oder gerade weil ich Martin mag. Wir hatten uns auf Mallorca beim Junggesellenabschied eines Freundes kennengelernt. Danach sahen wir uns selten, aber manchmal schickte er Links zu verschwörungstheoretischen Seiten.

Einmal kommentierte er bei Facebook einen Artikel, den ich darüber geschrieben hatte, dass es wahrscheinlich eine russische Rakete war, die das Passagierflugzeug MH17 über der Ostukraine abgeschossen hat. Martin schrieb: „Cui bono?“ Wer profitiert? Er glaubt: die Amerikaner.

Neulich las ich die sogenannte Leipziger Mitte-Studie und war schockiert. Die Universität Leipzig erfragt darin die Einstellung der Deutschen zu Rechtsextremismus, aber auch zu Verschwörungstheorien. 34 Prozent sagen: „Die meisten Menschen erkennen nicht, in welchem Ausmaß unser Leben durch Verschwörungen bestimmt wird, die im Geheimen ausgeheckt werden.“

35 Prozent glauben, dass Politiker und andere Führungspersönlichkeiten nur Marionetten dahinterstehender Mächte seien. Dass es geheime Organisationen gebe, die großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben, glauben 39 Prozent.

Martin stimmt allem zu. Den Begriff „Verschwörungstheoretiker“ lehnt er ab. Er rede doch nicht über Theorien, sondern über die Wirklichkeit. Seine Kernthese: Egal, wer gerade regiert, alles nur Show! Das Sagen haben einige sehr Reiche, gegen die Bill Gates ein Taschengeldkind ist. Diese Leute kontrollieren das Geldsystem und damit die Politiker, Unternehmen, Medien.

Ich frage: Wer genau? Wie genau? Wie kontrollieren diese Menschen zum Beispiel Bundeskanzlerin Merkel? Nichts davon könne er beantworten, sagt Martin. Diese Leute seien zu schlau, um sich zu exponieren.

Martin hat für zwei deutsche Finanzkonzerne gearbeitet, in einem davon an einflussreicher Stelle. Er hat einen Master in Wirtschaftswissenschaften. Ob ich schon mal versucht hätte, rauszufinden, wem die Allianz gehöre, fragt er. Große Teile halte Blackrock. Wem gehöre Blackrock? Einigen Banken. Wem gehören diese Banken? „Niemand kennt die Namen. Macht dich das nicht stutzig?“

Immer tiefer geht es runter in den Verschwörungsstrudel, CIA, Syrien, Flüchtlinge, Regierungskrise, false flag operation, Ukraine, die Finanzmärkte. Ich werde wütend. Wir müssten Begriffe definieren, ein Thema nach dem anderen besprechen, sage ich, aber er verrührt alles.

Es ist seltsam. Wenn Martin und ich über Fußball reden (er lebt als Hambug-Fan in Bayern, ich als Bayern-Fan in Hamburg) oder ausmachen, wo wir uns treffen, gibt es kein Anzeichen für gestörte Kommunikation. Aber sobald es um Politik geht, ist es, als sprächen wir zwei Sprachen. Ich sage ihm, dass er sich anhöre wie ein religiöser Eiferer. Er sieht in mir einen blinden Diener des Systems.

Mir sage niemand, was ich schreiben soll oder nicht schreiben darf, erkläre ich ihm. Das sei gar nicht nötig, sagt er, ich sei so hirngewaschen, dass ich nicht auf die Idee käme, unbequeme Dinge zu schreiben.

Auf dem Rückweg fühle ich mich leer, gescheitert. Ich muss an Peter Coleman denken: Den Erfolg eines Gespräches könne man oft erst nach Tagen, Wochen, Monaten erkennen. Manchmal dauere es, bis ein Samen aufgehe […]

Ich treffe als drei Gesprächspartner noch einmal […] Am schwierigsten erscheint mir im Rückblick das Treffen mit Martin, der mir persönlich am nächsten steht. Bei unserer zweiten Verabredung stellen wir beide frustriert fest, dass wir nicht die kleinste Delle ins Weltbild des jeweils anderen gehauen haben […] Je enger ein Thema mit der eigenen Identität verknüpft sei, sagt Coleman, desto schwieriger komme man an jemanden ran.

Nun ja, dass der Glaube an Verschwörungstheorien stark von politischen Einstellungen und weltanschaulichen Überzeugungen abhängt, ist vor allem im Zusammenhang mit dem Klimawandel längst erforscht.

Alles in allem ist der Artikel gut gemeint – aber im Grunde nur der x-te Aufguss des Immerselben, zum Beispiel

  • Impfdebatte: Gegen Argumente resistent, Zeit-Online am 21. März 2015
  • Wie ich im Hostel-Urlaub einem rechten Verschwörungstheoretiker begegnete, ze.tt am 20. August 2017
  • Mein Vater, der bekannte Verschwörungstheoretiker, vice am 8. Juni 2016
  • Chemtrailer: „Die wollen uns umbringen“, Zeit-Online am 4. Oktober 2017

In einem weiteren „Deutschland spricht“-Beitrag geben Romy Jaster und David Lanius ein paar lauwarme Debatten-Ratschläge, die sich ebenfalls in Altbekanntem erschöpfen, wie etwa einem Hinweis auf den „Backfire-Effekt“ und den „Confirmation bias“ sowie der Empfehlung, „offene Fragen“ zu stellen.

Nichts Neues also. Die Fachdiskussionen sind über solche Basics hinaus.

Konkretere Tipps gibt’s zum Beispiel im Skeptiker (1/2018), in diesem Buch und in diesem SkepKon-Video:

Ein interessanter Beitrag dazu ist auch im Ratgeber-News-Blog erschienen:

Welche Strategien sind erfolgversprechend, wenn man die skeptischen und ängstlichen Eltern erreichen will?

Eine wesentliche Rolle spielen die zentralen Werte, die für persönliche Entscheidungen bestimmend sind. Jeder versucht, seine Handlungen mit seinen moralischen Prinzipien in Einklang zu bringen, menschliches Verhalten beruht so gut wie nie ausschließlich auf rationalen, logischen Überlegungen.

Aber jeder hat einen anderen Wertekanon. Welche grundlegenden Überzeugungen sind den Impfskeptikern wichtig, und könnte die Berücksichtigung dieser Werte in den Kampagnen höhere Erfolgsquoten bringen?

Impfkommunikation setzt meist auf Werte wie soziale Verantwortung (Stichwort Herdenimmunität) oder sie betont die statistischen Wahrscheinlichkeiten, sich an impfpräventablen Krankheiten anzustecken, deren Schäden und Langzeitfolgen im Vergleich zu Beeinträchtigungen durch die Impfung.. Aber sind das die Argumente, die Einstellungen und damit das Verhalten ändern?

Eine neuere Studie setzt solche moralischen Grundüberzeugungen in Zusammenhang mit der Haltung von Eltern zu Impfungen. Die Autoren fanden deutliche Unterschiede zwischen solchen, die Vorbehalte gegen Impfungen hatten und den Befürwortern.

Der größte Unterschied lag im Faktor „Natürlichkeit“ (Purity): Impfskeptische Eltern hatten mit doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit hohe Werte in dieser Unterskala, d.h. sie legen großen Wert auf „Reinheit“, etwa bei der Ernährung oder bei der Ablehnung von als künstliche empfundenen Materialien […]

Zum Weiterlesen:

  • Mit Impfgegnern kommunizieren – warum Werte wichtig sind, Ratgeber-News-Blog am 28. August 2018
  • Verschwörungstheorien und psychologische Grundbedürfnisse, Klaus-Grawe-Institut am 4. April 2018
  • The Selective Laziness of Reasoning, discover am 21. Oktober 2015
  • Wie politische Kultur die Klimadebatte prägt, klimafakten am 9. November 2015
  • Warum unser Gehirn darauf programmiert ist, den Klimawandel zu ignorieren, klimafakten am 25. Juli 2016
  • Meinungen, Fake News – und die Bedrohung der eigenen Identität, GWUP-Blog am 23. September 2017
  • Video: Der Backfire-Effekt – und trotzdem gute Nachrichten für die Faktenverteidiger, GWUP-Blog am 9. November 2017
  • Video: Wieso Menschen ihre Meinung nicht ändern, GWUP-Blog am 1. Mai 2018
  • Warum wir nicht glauben, was uns nicht passt: eine Analyse, GWUP-Blog am 8. August 2017
  • Warum auch schlaue Menschen groben Unfug glauben, Welt-Online am 25. Januar 2017
  • Why Facts Don’t Change Our Minds, The New Yorker am 27. Februar 2017
  • Wissenschaftsskeptiker wollen ihr Weltbild bestätigen, Deutschlandfunk Nova am 20. September 2017
  • „Die wollen uns umbringen“: Chemtrail-Gläubige öffnen Zeit-Redakteur die Augen, GWUP-Blog am 10. Oktober 2017
  • Fakten, Diskussionen – und der Backfire-Effekt, GWUP-Blog am 2. April 2017

2 Kommentare

  1. Personen mit bestimmten Persönlichkeitseigenschaften und kognitiven Ansätzen glauben eher an Verschwörungstheorien als andere.

    https://www.mimikama.at/allgemein/verschwoerungstheorien-trost/

  2. nach mm ist das größte problem bei der diskussion mit esos egal ob vt lern impfgegnern und anderen, die unmöglichkeit etwas das es nicht gibt argumentativ zu untermauern.
    daher sind ja auch diskussionen religiöser art praktisch nicht möglich, der eine glaubt der andere nicht.und dann ?

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