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Acht Monate unter Reichsbürgern: Interview mit Tobias Ginsburg im Skeptiker

| 4 Kommentare

Der Deutschlandfunk hat Jan Rathje von der Amadeu Antonio Stiftung zu den „Reichsbürgern“ interviewt.

Für die aktuelle Skeptiker-Ausgabe (3/2018) sprachen wir mit dem Theatermacher und Autor Tobias Ginsburg, der unter dem Pseudonym „Tobias Patera“ acht Monate lang in der „Reichsbürger“- und Neonazi-Szene dem rechtsextremen Verschwörungsglauben nachspürte.

Ein Auszug:

Skeptiker: Was ist eigentlich die zentrale Verschwörungstheorie der „Reichsbürger“-Bewegung? Also was verbindet diese völlig unterschiedlichen Gruppen und Einzelpersonen?

Ginsburg: Es ist eine verflucht effektive Verschwörungstheorie: Das deutsche Volk sei Opfer einer Weltverschwörung und die Bundesrepublik ein Teil dieses Komplotts und daher kein legitimer, souveräner oder echter Staat.

Die Details dieser Gruselgeschichte sind allerdings austauschbar. Manche wollen sich als Selbstverwalter vom verhassten Staat lossagen, andere wollen ihn bekämpfen. Einige sehnen sich nach einem arisierten, reinrassigen Germanien, andere halten sich für die Bürgerrechtskämpfer des kleinen Mannes. Und auch was die verabscheute BRD eigentlich sei, wird ganz unterschiedlich beantwortet. Für die einen ist sie eine Firma, für andere ein diktatorischer Marionettenstaat, gesteuert von blutrünstigen Weltregenten.

Eine Vorstellung hingegen teilen sie alle: die Idee einer kleinen Machtelite, die das Weltgeschehen kontrolliert und das deutsche Volk unterjocht, schröpft oder gar auslöschen will. Sie alle glauben sich im gemeinsamen Überlebenskampf: Wir, die wahren Deutschen, gegen Die-da-oben – seien das nun die Juden, Amerikaner oder außerirdische Illuminaten.

Kann man die Anhänger der Reichsbürger-Verschwörungstheorie für unsere freiheitliche Demokratie zurückgewinnen?

Ich wünschte, ich könnte darauf eine einfache Antwort geben, eine Art Gebrauchsanweisung, wie man Menschen aus ihren albtraumfarbenen Wahnwelten wieder zurückholt. Aber die gibt es nicht.

Bei den Verführten muss man abschätzen, wie weit sie sich in das ideologische Sumpfgebiet vorgewagt haben, wie groß ihr Hass auf die Gesellschaft und auf uns ist – auf die vermeintlichen Verräter, „Schlafschafe“ und Komplizen des Systems. Es ist in jedem Fall eine schrecklich mühselige Arbeit, erfordert Anstrengung und Aufopferung, einen Verschwörungsideologen von etwas anderem zu überzeugen.

In gewisser Weise ist ein solcher Versuch ein großer Liebesbeweis. Aber es wäre schlimm, wenn wir es ganz unversucht ließen.

Auf der anderen Seite darf man nicht vergessen, dass viele erst über ideologische und politische Überzeugungen in die Szene gelangen: Menschen, die eine demokratische, pluralistische Gesellschaft aus tiefster Seele ablehnen und alles nicht-Deutsche, nicht-Weiße, nicht-Christliche verachten. Ausgemachte Rassisten, Antisemiten und Faschisten.

Hier sieht die Sache nochmal eine ganze Spur ärger aus.

Sie schildern in Ihrem Buch den einen oder anderen Versuch der Szene, sich zu vernetzen, zu größeren Aktionsbündnissen zusammenzuschließen. Das scheiterte bislang offenbar an persönlichen Eitelkeiten und Meinungsverschiedenheiten, also eher profanen Gründen. Wie lange wird das noch so bleiben? Sehen Sie irgendwo den großen Führer, der diese Bewegung vereinigen kann?

Es scheitert auch schlicht an den vielen Geschmacksrichtungen, die es in der Reichsbürgerszene gibt. Ich selbst durfte an derartigen Vereinigungstreffen teilnehmen. Da trafen sich Akteure und Delegationen verschiedener Reichsbürgergruppierungen und planten in Hinterzimmern den Zusammenschluss der Szene mit anschließendem Sturz der BRD GmbH.

Aber auch wenn man sich schnell auf das gemeinsame Feindbild, Ziel und das Holocaustleugnen einigen konnte, scheiterte es an den Fragen zu Vorgehen, Auftreten und nicht zuletzt Stil.

Es ist zwar geradezu spektakulär, wenn sich Motorradrocker, esoterische Hippiekommunen, Verschwörungsgurus, gutbürgerliche Naziaktivisten und versoffene Wutbürger an einem Tisch zusammenfinden. Aber einig werden die sich zum Glück nicht.

Nein, die viel größere Gefahr lauert in der zunehmenden Akzeptanz ihrer horrenden Ideologie. Denn all das neurechte Geraune und rechtspopulistische Kokettieren mit Verschwörungstheorien stärkt die Szene. Lässt ihre Ideen peu à peu salonfähig werden – all die rechten Horrorszenarien der großen „Umvolkung“ und der Islamisierung der Deutschen und der Unterjochung des Volkes durch finstere Eliten.

Menschen, die solchen verqueren Verschwörungsscheiß ganz unverblümt formulieren, sitzen mittlerweile im Bundestag.

https://www.youtube.com/watch?v=OhjCNzmYwfc

Die Lesungen mit Tobias Ginsburg im September und Oktober (zum Beispiel in Esslingen, in der Steiermark und in Görlitz) finden sich auf der Verlagsseite.

Den Skeptiker kann man online im GWUP-Shop bestellen.

E-Paper und Einzelseiten (zu je 0,19 €) gibt es hier.

Zum Weiterlesen:

  • Interview mit Tobias Ginsburg: „Gefährlich, brutal und antidemokratisch“, Skeptiker 3/2018
  • Reichsbürger: Spinner, Außenseiter, Rechtsextremisten? Deutschlandfunk am 18. September 2018
  • Wachsende Szene mit steigendem Gewaltpotenzial, Deutschlandfunk am 18. September 2018
  • Kompletter Beitrag vom 18. September in der ARD-Mediathek: Reichsbürger – Spinner oder Rechtsextremisten?
  • Skeptical-Video: Reden wir mal über „Reichsbürger“, GWUP-Blog am 8. September 2018
  • Reichsbürger: „Gefährlich, brutal und antidemokratisch“, hpd am 5. September 2018
  • Buchtipp: Undercover unter „Reichsbürgern“, GWUP-Blog am 1. März 2018
  • Video: Der Autor von „Unter Reichsbürgern“ bei SWR 1 Leute, GWUP-Blog am 22. April 2018
  • Tobias Ginsburg: Die Reise ins Reich. Unter „Reichsbürgern“. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2018, 272 Seiten, 17,99 €
  • Rechtsextreme Bewegung: Ein Zehlendorfer war der erste Reichsbürger, Berliner Zeitung am 13. September 2018

4 Kommentare

  1. 120 Interessierte kamen zum Vortrag „Warum Reichsbürger?“. Dass es eine hitzige Debatte geben würde, war zu erwarten. Dass diese so klare Erkenntnisse bringen würde, ahnten aber wohl die wenigsten.

    http://www.maz-online.de/Lokales/Havelland/Rathenow/Jan-Gerrit-Keil-spricht-in-Rathenow-ueber-Reichsbuerger

  2. Erschreckend, dass im Artikel der „Welt“ beim Abstimmen der Leser das Ergebnis zeigt, dass immer noch 50% der Leser die RB für harmlose Spinner hält…

  3. Ein Schmankerl für alle Besitzer extra-verstärkter Tischkanten:

    https://www.huffingtonpost.de/entry/politikwissenschaftler-reichsburger-kosten-steuergelder-und-uberlasten-amter_de_5be01108e4b04367a87e402d

    Man beachte vor allem die Kommentare unter dem Artikel – eine echte Realsatire.

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