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Natalie Grams bei „Zur Sache Baden-Württemberg“: Der Eiertanz um die Ausgewogenheit

| 11 Kommentare

Das war jetzt also die Fortsetzung des unsäglichen Filmchens „Homöopathie: Heilkunst oder völliger Quatsch?“ gestern in der Landesschau Baden-Württemberg.

Was soll man zu dem Beitrag in „Zur Sache Baden-Württemberg“ sagen?

Immer deutlicher wird, dass die Kolleginnen und Kollegen in den Medien dringend eine neue Herangehensweise an solche Themen finden müssen.

Das redliche Bemühen der Redaktion war zu spüren – aber der Eiertanz um das goldene Kalb „Ausgewogenheit“ ist zunehmend unerträglich und verhindert jeden Erkenntnisgewinn für den Zuschauer.

Es mag ja eine nette Idee sein, „Pro und Contra“-Statements live einzublenden und diese kurz mit dem Studiogast Dr. Natalie Grams zu diskutieren. Aber was soll das?

Dem echten Experten (in dem Fall Grams) stiehlt man damit bloß die Zeit – und drängt ihn zudem unwillkürlich in die Defensive. Denn wer will schon in so einer Situation der netten Frau Pfarrerin auf dem Monitor das sagen, was eigentlich angebracht wäre: nämlich dass ihr von falscher Selbstwahrnehmung geprägtes Gerede keinerlei Bedeutung für das Thema hat.

Deshalb war es richtig, dass Grams eine Frage des Moderators („Ist Homöopathie im Vergleich zu vielem anderen nicht eher kostengünstig?“) einfach umdrehte und damit deutlich machte, dass nicht die Homöopathie-Kritiker in der Rechtfertigungspflicht sind:

Wenn man fragt, sollten die Krankenkassen mit unserem Solidargeld für Zucker bezahlen, würde jeder sagen: nein.

Den verschiedenen Homöopathie-Anhängern bei den „Besuchen vor Ort“ war eine eher untypische Verunsicherung und argumentative Hilflosigkeit anzumerken – vielleicht eine Folge der Aufklärung und Medienpräsenz unserer Homöopathie-Kritiker?

Nur der Medizinhistoriker und Globuli-Fan Prof. Robert Jütte vom Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung in Stuttgart schwurbelte unverdrossen drauf los. Ohne zu merken, dass er im Grunde einer Steinzeit-Medizin das Wort redet, in der offenbar nur der „Glaube“ zählen soll, und wissenschaftsignorant suffliert von einem Dr. Markus Debus von der Filderklinik Stuttgart, der allen Ernstes erklärte:

Die Patienten wissen am besten, was ihnen guttut – da brauche ich letztendlich keine Studie.

Schließlich bleibt auch nach dieser Sendung die Frage an den Südwestrundfunk, warum das eigentliche Thema allenfalls am Rande mal kurz gestreift, aber nicht beantwortet wurde: ob die Krankenkassen noch für Homöopathie zahlen sollen?

Und damit sind wir wieder am Anfang.

Weniger „Mir hat’s aber geholfen“, weniger „Pro und Contra“, dafür Fakten, zum Beispiel welche Länder die Homöopathie aus der öffentlichen Gesundheitsversorgung rausgekickt haben und warum. Und eine klare Positionierung gegen irreführende Statements à la Jütte und Co.

Das wäre doch mal was.

  • Zum Video „Vor Ort bei Homöopathie-Anhängern“ geht es hier (zirka 6:40 Minuten)
  • Der komplette Beitrag inklusive der Studio-Diskussion mit Dr. Natalie Grams findet sich hier (zirka 21 Minuten).

Zum Weiterlesen:

  • Globuli in der Landesschau BW: Ein trauriger Höhepunkt der falschen Ausgewogenheit, GWUP-Blog am 19. September 2018
  • Satzungsleistungen: Auch AOK-Chef Litsch wäre gegen Globuli, Ärzte Zeitung online am 18. September 2018
  • Globukalypse: AOK-Chef würde ein Verbot der Homöopathie- Erstattung unterstützen, GWUP-Blog am 18. September 2018
  • „ManU hat gewonnen – Punkt!“ BBC will keine falsche Ausgewogenheit mehr bei der Klimawandel-Berichterstattung, GWUP-Blog am 11. September 2018
  • „Ausgewogene“ Berichterstattung – ein Problem? Die Erde ist keine Scheibe am 4. März 2018
  • Frankreich: Stunde der Wahrheit für die Homöopathie, apotheke adhoc am 19. September 2018
  • Wo sind wir hier eigentlich?!? Homöopathie – deutscher Irrweg in Zeiten globaler Vernunft, Keine Ahnung von Garnix am 20. September 2018

11 Kommentare

  1. Von der ersten Teaser-Sekunde an wird – mehr oder weniger bewusst – von der Redaktion eine Tendenz gesetzt, die die Homöopathie-Kritik in die Defensive drängt.

    Minutenlang darf ein Mann wie Jütte bedeutungsloses Zeugs herunterspulen, das sich auf eine allgemeine Pseudolegitimierung von „Glauben in der Medizin“ beschränkt und zur Frage der spezifischen Wirksamkeit von Homöopathie nichts, aber auch gar nichts beiträgt.

    Würde man seinen Thesen folgen, müssten Rotweinkuren und Kaffeekränzchen mit Schwarzwälder Kirschtorte und bei schweren Fällen zusätzlich Eierlikör ab sofort auch zwangsläufig zum Repertoire der GKV-Erstattungen gehören.

    Und weiter:

    Die völlige argumentative Hilflosigkeit der erbarmungswürdigen Apothekerin wird bei den Kritikern natürlich sehr wohl – schmerzlich – wahrgenommen – beim zu informierenden Publikum, um das es doch geht, lieber SWR, geschieht dies sicherlich nicht.

    Und so bleibt schon vor der Diskussion im Studio eine positiv gefärbte, den Kritiker in eine diffuse Defensive drängende Grundstimmung im Raum, die eine systematische Darstellung der Kritik von vornherein im Weg steht.

    Wo bleibt die Sendung, die im Teaser die unhaltbaren Grundthesen der Homöopathie klar darstellt, ebenso den Unterschied zwischen Anekdote und Forschung sowie zwischen Wirkung und Wirkungsmechanismus, die aktuelle Studienlage und die internationale Sicht auf die Homöopathie vorstellt und dann einen Homöpathen auf dem Sofa platziert, der sich dann den Fragen der Homöopathiekritiker stellen muss?

    Der SWR verfehlt seinen öffentlich-rechtlichen Auftrag, wenn er in derartigen Sendungen Kritiker wie Natalie Grams mit der Aura eines kaum widerlegbaren Zweifels umgibt. Vom gestrigen Tag beim SWR wollen wir gar nicht reden.

    Ganz großes Lob für Natalie Grams, die angesichts dessen, angesichts eines zweifelnd-pseudokritisch nachfragenden Moderators und angesichts des Ertragenmüssens purer Zeitverschwendung durch zugeschaltete Nicht-Experten das Maximale aus der Situation machte.

    Es bleibt zu hoffen, dass ihre ruhige Souveränität auch beim unbedarften Zuschauer gegenüber der Kakophonie der Gläubigen den nachhaltigeren Eindruck hinterlässt.

  2. Fan-Post:

    „Frau Grams, Sie sind arrogant, unwissend, nicht demütig, zu dumm, gemein, bestimmt bezahlt.“

    https://twitter.com/NatalieGrams/status/1043043736656203776

  3. Neu:

    „Wo sind wir hier eigentlich? Homöopathie – deutscher Irrweg in Zeiten globaler Vernunft“:

    https://keineahnungvongarnix.de/?p=6747

  4. @Martina Rheken

    Noch bessere Fanpost
    „Frau Grams, Sie sind mutig, selbstreflektiert, couragiert, kritikfähig. Bezahlt sind sie von irgendwo bestimmt auch, immerhin müssen Sie ja auch Essen bezahlen.“

    :)

  5. Eine journalistische Ausgewogenheit ist ja im Prinzip ein hohes Gut. Ausgewogenheit ist wichtig, wenn es um die Darstellung unterschiedlicher Meinungen geht.

    Aber wenn journalistische Ausgewogenheit zu einem blinden Reflex wird und auch dann angestrebt wird, wenn es um Fakten geht, dann geht der Sinn der Ausgewogenheit verloren.

    Gute Journalisten stellen nicht „News“ gegen „Fake news“.

    Wenn es um den Holocaust geht, wird vermutlich kein Journalist auch noch Holocaust-Leugner zu Wort kommen lassen.

    Wenn es um den Klimawandel geht, wird kein Journalist Klimawandel-Leugner zu Wort kommen lassen.

    Warum in aller Welt werden beim Thema „Homöopathie“ neben Wissenschaftlern, die erklären können:

    a) Warum Homöopathika nicht wirken können,
    b) Warum man dennoch ein gutes Gefühl haben kann nach der Einnahme von Globuli,
    c) Was der Unterschied ist zwischen „Korrelation“ und „Kausalität“,
    d) Was der Placeboeffekt ist,
    e) Was „Spontanheilung“ bedeutet,
    f) Was „Regression zur Mitte“ bedeutet,
    g) Was „Wunschdenken“ und „selektive Wahrnehmung“ bewirken,
    h) Wie Studien funktionieren und warum man Studien benötigt ,
    i) Dass die gesamte Studienlage der gesamten Welt seit Hahnemanns Zeiten keinerlei Hinweise auf Wirksamkeit zeigen,

    warum also werden diesen Wissenschaftlern immer wieder medizinische Laien gegenübergestellt, die ihre Anekdoten erzählen dürfen?

    Anekdoten reichen nicht. Ob Homöopathika wirken, muss man objektiv untersuchen. Anekdoten sind immer subjektiv. Und das Subjekt „Mensch“ kann sich irren. Jeder, der mal eine Zaubershow gesehen hat, weiß dass man sich irrt, wenn man glaubt, dass ein Zauberer innerhalb von 10 Sekunden im Zylinderhut ein lebendiges Kaninchen herstellen kann. Man irrt sich, wenn man glaubt, dass Homöopathika heilen können.

    Ein Anekdotenerzähler kennt nur einen Fall: Er hat Homöopathika genommen und anschließend hat er sich besser gefühlt.

    Anekdotenerzähler, die sich nach der Einnahme von Homöopathika nicht besser gefühlt haben, kommen nicht zu Wort. Leute, die nichs genommen haben und sich anschließend besser gefühlt haben oder auch nicht, kommen ebenfalls nicht zu Wort. Welchen Wert hat also das Zulassen von Anekdoten in einer Sendung, die sich grundsätzlich um Homöopathie dreht?

    Ich plädiere dringend an die Journalistenschaft, in Fragen der Wissenschaft die kompetenten Wissenschaftler zu hören und dem Reflex nach Ausgewogenheit – „Sinn“ und „Unsinn“ zu gleichen Teilen vorzustellen – zu widerstehen.

  6. @Wolfgang Vahle:

    Danke, besser hätte ich es auch nicht darstellen können.

  7. „Den verschiedenen Homöopathie-Anhängern bei den „Besuchen vor Ort“ war eine eher untypische Verunsicherung und argumentative Hilflosigkeit anzumerken.“

    Aber trotzdem auf das äußerste deprimierend zu sehen, wie eine studierte Apothkerin im 21. Jahrhundert ein Wasserfläschchen „gegen den Erdmittelpunkt“ schüttelt und offenbar enrsthaft erwartet, dabei würde etwas passieren „was wir bis jetzt noch nicht wissen“.

    Kopfschüttel-Schüttel-Schüttel!

  8. Das Handelsblatt ist auch nicht sehr viel besser als „Zur Sache“ oder „Landesschau“.

    https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/umstrittene-heilmethoden-der-kampf-gegen-die-homoeopathie-im-netz-beginnt-bei-politikern-zu-verfangen/23094686.html

    Der Reporter, Peter Tehlen, spricht von einer „Kampagne gegen alternative Heilmethoden“ und bemüht sich um eine krampfhafte Ausgewogenheit, indem er jedem Contra Homöopathie-Argument ein Pro Homöopathie-Argument eintgegenhält. Als ob beide Seiten absolut gleichwertige Argumente hätten, die sorgsam abgewogen werden müssten.

    Als Schmankerl zum Schluss sollte man sich folgende Ausssage genüsslich auf der Zunge zergehen lassen: „“Sollte es jemals eindeutige Belege dafür geben, dass Homöopathie nicht funktioniert“, sagt dazu Allgemeinmedizinerin Bajiz [sic!], würde sie sofort aufhören mit der Verabreichung von Globuli und Co.“

    Eher wird der Papst zum Atheisten, als dass Frau Bajic ihren Globuli abschwört.

  9. @Hans
    Ja, das ist in der Tat deprimierend.

    Die wenigsten Homöopathieanhänger scheinen in der Lage zu sein, trotz Faktenlage den Grams’schen Sinneswandel nachzumachen.

    Ich hatte Semesterkollegen, die haben schon vor dem Studium an die Homöopathie geglaubt und da hat auch das angeeignete Wissen über Pharmakologie, Chemie, Physik, etc. nichts dran geändert.

    Mir ist unklar, wie man den geistigen Spagat zwischen einerseits solide erforschten Wirkprinzipien und Schwurbelmedizin andererseits hinbekommt – aber leider gibt es viele, die das auf die Reihe kriegen.

    Und so ein großer Wirtschaftsfaktor ist die Homöopathie auch in keiner der Apotheken, die ich persönlich kenne, dass man einfach Gier unterstellen könnte.

  10. @RPGNo1:

    Dann hätte die Dame seit den Nürnberger Kochsalzversuchen von 1835 damit aufhören müssen.

    Oder https://keineahnungvongarnix.de/?p=6660

    Oder … oder …

    Davon abgesehen ist es wohl wenig mehr als der x-te Versuch der Beweislastumkehr.

  11. Pingback: Tödliche Wagenburgmentalität im Heilpraktikermilieu – Gesundheits-Check

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