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Die Renaissance des Irrationalen: Über die Unsitte, abstrusen Heilslehren anzuhängen

| 6 Kommentare

Über die Unsitte, abstrusen Heilslehren anzuhängen“

ist die aktuelle Titelgeschichte des österreichischen Nachrichtenmagazins profil überschrieben:

Der Beitrag von Franziska Dzugan und Alwin Schönberger dreht sich primär um die jüngsten Masern-Ausbrüche (jetzt auch in Berlin) und die Impfgegner:

Je abseitiger die Idee und je größer die Diskrepanz zur Realität, desto reizvoller finden das bestimmte Personenkreise.

Und hier sind wir beim eigentlichen Problem angelangt: Wäre es bloß eine Horde verbohrter Halbirrer, die mit allerlei kruden Kopfgeburten weitgehend unter ihresgleichen bleiben, könnte man das Thema getrost abhaken.

Tatsächlich aber gibt es eine nennenswerte Zahl von Leuten, die ein offenes Ohr dafür haben und bereit sind, jeder Vernunft krass zuwiderlaufenden Humbug gegen Erkenntnisse aus jahrzehntelanger globaler Forschung abzuwägen, also entsetzlichen Quatsch und faktenbasierte Wissenschaft als gleichberechtigte Positionen zu betrachten.

Das ist gefährlich, bisweilen lebensgefährlich.“

Wie immer bei solchen Esoterik-kritischen Beiträgen ist auch der Kommentarverlauf interessant:

Leser a:

Selten in Ihrem Magazin einen so reisserischen, mit Halb- und Unwahrheiten gespickten Artikel gelesen. z. B. Pocken Die WHO gab Ende der 70iger zu dass die Impfungen keinen Erfolg hatten und nur die Hygiene die Pocken beseitigt hatten.

Zitat WHO die Pockenimpfung ist unethisch und wir hätten früher damit aufhören müssen. Infektionskrankheiten sind die Folgen menschlichen Elends!“

Leser b:

Auch wenn Sie mit Ihrer Kritik am Artikel recht haben sollten, so disqualifizieren Sie sich anschließend sofort mit dieser seltsamen Wiedergabe der WHO Position.

Wie kommen Sie denn darauf? Nach allem, was publiziert ist, hat sich die WHO tierisch über ihren Erfolg der Ausrottung der Pocken, die einer Massen-Impfkampagne in den 70er Jahren folgte, gefreut.“

Leser a: postet einen impfkritischen Blog-Artikel.

Leser b:

Ach so lief das: Die WHO hat in einer ihrer Publikationen den hohen Wert von Hygiene sowie der Identifikation und Isolation der Pockenkranken betont.

Ein impfkritischer Kommentator schreibt dazu: „Kein Wort von Impfungen!“. Der nächste Impfgegner macht daraus: Die WHO hat zugegeben, dass Impfungen keine Rolle bei der Ausrottung spielten.“

Die Homöopathie wird in dem profil-Artikel nur kurz gestreift:

An der Universität Wien forciert eine Initiative seit langem die Homöopathie.“

Wohl deshalb widmet sich auch die Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH) der MedUni Wien in ihrer Zeitschrift Fieberkurve diesem Thema.

Neben einem nichtssagenden Beitrag über den Intensiv-Homöopathen Prof. Michael Frass arbeitet Chefredakteurin Gerlinde Otti schön den Humbug der Zuckerzauberei heraus.

Und Prof. Heinz Oberhummer von den Science Busters erklärt in einem Interview, warum die wissenschaftliche Community sich nicht stärker dagegen wehrt:

Weil Homöopathie – zu Recht – nicht als Wissenschaft wahrgenommen wird und daher einfach abgetan wird.

Das ist aber ein Fehler. Eigentlich aber ist es ein Angriff auf die Methodik der Naturwissenschaften. Viele glauben der Fortschritt in den Wissenschaften kommt durch Genies wie Einstein zustande. Das stimmt aber nicht.

Die wissenschaftliche Methodik beruht darauf, dass permanent alles hinterfragt und kritisiert wird. Wissenschaft ändert sich ständig. Wenn man Ferdinand Sauerbruch heute in einen OP stellen würde, käme er mit den ganzen Mitteln und Methoden überhaupt nicht zurecht, weil sich in den letzten 100 Jahren soviel getan hat.

Samuel Hahnemann, der vor 200 Jahren gelebt hat, könnte hingegen heute sofort eine Homöopathische Praxis aufmachen. Es gibt einfach keinen Fortschritt, ein typisches Zeichen dafür, dass es Glauben ist und keine Wissenschaft.“

Zum kostenlosen Download der Fieberkurve geht es hier.

Auch „Dr. Johannes“ spricht in seinem Video-Blog über „Homöopathie versus Medizin“ und stellt auf einem Scoreboard die beiden Kontrahenten direkt gegenüber.

Ein Plus pro Homöopathie vergibt Dr. Johannes beim Punkt „Patientenkommunikation“, allerdings mit der Einschränkung:

Wenn ich als Schulmediziner so viel Zeit für meine Patienten aufwenden könnte wie der Homöopath und dafür auch das Geld kriegen würde, dann hätte ich auch mehr Zeit als meine drei bis acht Minuten pro Patient.

Wenn Sie das Geld, das Sie beim Homöopathen lassen, einem Schulmediziner geben, dann nimmt der sich drei Stunden Zeit.“

Apropos „homöopathische Notaufnahme“ à la Frass – auch dazu hat Dr. Johannes eine klare Meinung:

Ich arbeite in der Notaufnahme und kriege wirklich zuviel, wenn da Patienten mit Herzinfarkt, Lugenentzündung, COPD oder Asthmaanfall reinkommen und sagen: „Ich habe erst mal sieben Globuli probiert. Damit habe ich wirklich ein Problem, das funktioniert nicht.“

In seinem Fazit macht der Facharzt für Chirurgie und Radiologie keinen Hehl daraus, dass er Homöopathie für veritablen Unsinn hält („Mittlerweile gibt es ja homöopathische Mittel mit Schiffswrack, Autoabgasen und der Südspitze eines Magneten“), spricht sich aber dafür aus, Homöopathie-gläubige Patienten dort abzuholen, wo sie stehen, und ihnen deutlich zu machen, was „das Eine kann und das Andere nicht“:

Für das, was die Patienten über die notwendige Behandlung hinaus für sich selbst zum Wohlfühlen brauchen, können sie sich homöopathisch völlig austoben.“

Dr. Norbert Aust von Beweisaufnahme in Sachen Homöopathie hat zwischenzeitlich vom Verband klassischer Homöopathen Deutschlands (VKHD jene Studien genannt bekommen, die angeblich den Zuckerkügelchen eine vergleichbare Wirksamkeit wie Antibiotika bescheinigen.

Seine Schlussfolgerung:

Der VKHD hat insgesamt sechs Studien benannt, aus denen eine mit Antibiotika vergleichbare Wirkung von homöopathischen Präparaten hervorgehen soll. Aus keiner dieser Quellen geht zweifelsfrei hervor, dass homöopathischen Mittel eine Wirksamkeit entfalten können, die diese Aussage rechtfertigen würden. Bezüglich der angesprochenen Wirkung bei Harnwegsinfektionen wurde keine Studie genannt.

Nur dort, wo Antibiotika eher nicht angezeigt sind, bei viralen Infektionen, bei denen sie auf das Krankengeschehen keinen Einfluss haben, ist der Effekt der homöopathischen Mittel vergleichbar.“

Letzteres verwundert nicht im Geringsten, denn:

Die meisten Krankheiten heilen wieder. Das Problem dabei: Wenn wir gesund werden, wissen wir nicht, woran das liegt: Hat ein Medikament geholfen, war es die Bettruhe, die Hühnersuppe oder wäre die Krankheit sowieso von selbst vergangen?“

schreibt der Direktor der österreichischen Cochrane-Zweigstelle Gerald Gartlehner:

Jede Form von Scharlatanerie lebt davon, dass wir im Nachhinein betrachtet nie wissen, was uns gesund gemacht hat – vielleicht war es ja das Zaubermittel.“

Update vom 6. Februar: „Der Wahnsinn in den Zeiten der Masern“

Zum Weiterlesen:

  • Die Renaissance des Irrationalen, profil am 24. Februar 2015
  • Berlin meldet Rekordzahl an Masernpatienten, Zeit-Online am 5. Februar 2015
  • Impf-Hysterie made in Disneyland, Zeit-Online am 4. Febrar 2015
  • Masern in Deutschland: Ausbruch statt Ausrottung, Stern-Online am 5. Februar 2015
  • Masern-Ausbruch in Berlin: Hunderte erkrankt, bz-berlin am 5. Februar 2015
  • Impfen ist out: Berliner nehmen Impfangebote nicht wahr, nano-Video am 5. Februar 2015
  • Masern-Ausbruch: Irrgaube der Öko-Kalifornier wird zur Gefahr, Welt-Online am 3. Februar 2015
  • Wenn’s dem Homöopathen die Sprache verschlägt, GWUP-Blog am 11. April 2011
  • Homöopathische Notaufnahme: Das Buch zum Film, GWUP-Blog am 3. Dezember 2010
  • Homöopathie versus Medizin, Dr. Johannes Videoblog am 4. Februar 2015
  • …diese Studien meinte der VKHD, Beweisaufnahme in Sachen Homöopathie am 5. Februar 2015
  • Alternativmedizin-Studien: Beweis oder Bluff? derStandard am 31. Januar 2015

6 Kommentare

  1. >> Wenn ich als Schulmediziner so viel Zeit für meine Patienten aufwenden könnte wie der Homöopath und dafür auch das Geld kriegen würde, dann hätte ich auch mehr Zeit als meine drei bis acht Minuten pro Patient. Wenn Sie das Geld, das Sie beim Homöopathen lassen, einem Schulmediziner geben, dann nimmt der sich drei Stunden Zeit.”<<

    sorry , aber irgendwann solten "alle" mal begreifen:

    ich gehe nicht zum arzt weil ich mich wohlfühlen und unterhalten will, sondern weil ich krank bin, und "dann" haben unsere ärzte auch wieder zeit für ein paar persönlich worte.und das reicht !

    was soll ich drei stunden beim arzt ? dem nachilfe geben ?

    mein größtes interesse ist so schnell wie möglich wieder da raus zu sein.

    (nur zur info bin chroniker , was ich brauche, da geh ich mit einem quartalsbedarfzettel hin damit es zügig geht,das thekenpersonal ist oft die bremse, die begreifen es nicht.)
    mfg.

  2. @ diabetiker:

    Gehen Sie nicht nur von sich selbst und Ihren Bedürfnissen aus.

    Es gibt alte Menschen mit chronischen, schweren Erkrankungen, die schwerhörig sind und das „Medizinerdeutsch“ weder akustisch noch inhaltlich kaum verstehen; denen ein Arzt mit viel Zeit und Geduld begegnen muss, um ihnen z. B. den Fortgang/die Änderung einer Therapie zu erklären oder bei neuen, akuten Beschwerden eine regelrechte Anamnese zu erheben.

    Da geht gar nichts zügig und schnell!
    Und das „Thekenpersonal“ muss diesem Patienten, der sich mit Rollator unter großen Mühen in die Arztpraxis quält, weil keine Hausbesuche mehr gemacht werden, bei Wartezeiten an der Anmeldung einen Sitzplatz anbieten, bevor er nicht mehr stehen kann!

    So kann`s auch aussehen – nur zu Ihrer Info …

  3. Ich gehe nicht zum arzt weil ich mich wohlfühlen und unterhalten will, sondern weil ich krank bin, und „dann“ haben unsere ärzte auch wieder zeit für ein paar persönlich worte.und das reicht !

    Natürlich will niemand drei Stunden mit dem Hausarzt plaudern. Sagt ja auch keiner.

    Die Aussage „Wenn Sie das Geld, das Sie beim Homöopathen lassen, einem Schulmediziner geben, dann nimmt der sich drei Stunden Zeit“ zielt doch eher darauf ab, dass Ärzte nicht deshalb weniger Zeit für ihre Patienten haben, weil sie nicht wollen, sondern weil es ihnen niemand bezahlt.

    Wenn Patienten ihrem Arzt ähnlich viel aus eigener Tasche bezahlen würden, wie sie ihrem Homöopathen auf den Tisch blättern, hätten die Ärzte auch so viel Zeit, wie man sich wünschen kann.

    Das heißt, die vielgerühmte Zuwendung und Patientenbezogenheit der Homöopaten und der Zeitmangel der Ärzte ist keine Stärke der Ersteren und auch keine Schwäche der letzteren, sondern systembedingt.

    Und damit hat Dr. Johannes recht – das vermeintliche Plus für die Homöopathen ist eigentlich keines.

  4. “ … Das heißt, die vielgerühmte Zuwendung und Patientenbezogenheit der Homöopaten und der Zeitmangel der Ärzte ist keine Stärke der Ersteren und auch keine Schwäche der letzteren, sondern systembedingt.
    Und damit hat Dr. Johannes recht – das vermeintliche Plus für die Homöopathen ist eigentlich keines.“ (gnaddrig, oben)

    So ist es.

    Das Ziel muss sein:

    Es muss jeder Arzt für jeden Patienten so viel Zeit haben und die auch von der GKV entsprechend bezahlt bekommen, wie es für eine vernünftige und adäquate Behandlung notwendig ist.

    (Eine regelrechte, gute Anamneseerhebung kann kostenintensive, unnütze Facharztüberweisungen/-Untersuchungen überflüssig machen!)

    Und nur so ist der systembedingte Zeitmangel der Ärzte zu beheben und Homöopathen „das Wasser abzugraben“ bzw. ihnen nicht mehr Patienten in die Hände zu treiben, die sich bei Ärzten nicht behandelt/angenommen, sondern nur im Minutentakt abgefertigt fühlen.

  5. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/moderne-und-aberglaube-die-dummheit-blueht-13414273.html

    Die FAZ beschäftigt sich auch mit dem Phänomen, dem Irrationalen den Wert sinnvoller Welterklärung zuzubilligen.

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