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Kann man Magie mit klinischen Studien testen?

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In einem viel beachteten Artikel in Trends in Molecular Medicine kritisieren Steven Novella und David Gorski das Testen von Homöopathie und Reiki durch RCT (randomized contolled trials – randomisierte kontrollierte Studien).

Die Kritik gleicht der von Christian Weymayr, der RCTs ausschließlich auf solche medizinische Maßnahmen beschränken möchte, die „Szientabilität“ besitzen.

Es sei falsch zu glauben, dass derartige Studien klären könnten, ob Verfahren der „komplementären Medizin“ funktionieren, so die beiden Autoren. Für eine Rechtfertigung von Aufwand, Zeit und Kosten von RCTs  bedürfe es einer Reihe vorklinischer Belege.

Das akzeptierte Vorgehen stellen sie in diesem Schema dar:

(Aus: Trends in Molecular Medicine, Volume 20, Issue 9, p473–476, September 2014)

Auf der Basis  grundsätzlicher wissenschaftlicher Erkenntnisse werden zunächst In-vitro-Tests und anschließend Tierversuche durchgeführt, bis klinischen Studien erfolgen können.

Aus ethischen Gründen wird diese Reihenfolge auch in der Deklaration von Helsinki, Artikel 21, gefordert:

Medical research involving human subjects must conform to generally accepted scientific principles, be based on a thorough knowledge of the scientific literature, other relevant sources of information, and adequate laboratory and, as appropriate, animal experimentation. The welfare of animals used for research must be respected.“

Gorski und Novella stellen auch klar, dass für eine biologische Plausibilität (ähnlich der Szientabilität bei Christian Weymayr) nicht unbedingt der genaue Mechanismus bekannt sein muss. Sie sollte lediglich keine etablierten Theorien verletzen, da deren Grundlage sehr viel verlässlicher ist als bei den fehleranfälligen RCTs.

Wohin es in der Praxis führen kann, wenn Standards der wissenschaftsbasierten Medizin auf „hochgradig unplausible“ Therapien angewendet werden, verdeutlichen Novella/Gorski am Beispiel einer klinischen Studie zu einem Pseudoverfahren gegen Bauchspeicheldrüsenkrebs.

Die eine Gruppe erhielt die Standardtherapie, also Chemotherapie.

Die anderen Patienten erhielten eine Enzymtherapie mit extremen Diätvorschriften, Nahrungsergänzungsmitteln, Säften und Kaffee-Einläufen.

Nach langjähriger Kontroverse über die verzögerte Publikation der Ergebnisse berichteten Chabot, J.A. et al. schließlich, dass die Überlebenszeit von Patienten mit Standardbehandlung (Chemotherapie) mehr als dreimal so lange betrug, als bei den „alternativmedizinisch“ behandelten Frauen und Männern, die darüber hinaus auch eine geringere Lebensqualität aufwiesen.

Eine Patientengruppe hatte also leiden und mit einem verkürzten Leben bezahlen müssen, nur um ein Verfahren zu testen, für das es von vornherein überhaupt keine Plausibilität gab.

Es geht letztendlich überhaupt nicht darum, ein Forschungsverbot auszusprechen beziehungsweise zu verhindern, dass Forschung in Sachen „Alternativmedizin“ nicht auch zu gänzlich neuen Erkenntnissen kommen könnte sondern um die Frage, ob die Methode für die Fragestellung überhaupt geeignet, also gegenstandsadäquat ist.

Bevor es sinnvoll ist, klinische Studien durchzuführen, müssen die Vertreter der Thesen/Therapieformen zeigen, dass diese überhaupt plausibel sind.

RCTs eignen sich nicht zur Prüfung von unplausiblen Thesen, die Anwendung auf diesem Gebiet stellt einen Missbrauch dar.

Und es ist ja nicht so, dass Homöopathen keine Erklärung für die Homöopathie liefern würden. Sie haben eine Erklärung, basierend auf dem Vitalismus, dem Simile-Prinzip und der Verdünnungslehre, die irreführend „Potenzierung“ genannt wird.

Nur: Alle drei Grundpfeiler der Homöopathie versagen bei näherer Prüfung.

Zum Weiterlesen:

  • Darüber lachen und vergessen? Homöopathie und Scientabilität, GWUP-Blog am 8. Januar 2014
  • Clinical trials of integrative medicine: testing whether magic works? Trends in Molecular Medicine, September 2014
  • Die Randomisierung des Unsinns, DocCheck News am 22. September 2014
  • Weymayr. C.: Soll man Homöopathika an Menschen prüfen? Nein. Skeptiker; 4/2013
  • Windeler, J.: Evidenzbasierte Medizin und „Szientabilität“ – Widerspruch oder Ergänzung? Skeptiker 4/2013
  • Sarma, A.: Methoden haben Grenzen, Skeptiker 4/2013
  • In Sachen Homöopathie: Interview mit Dr. Norbert Aust im neuen „Skeptiker“, GWUP-Blog am 14. September 2014
  • Researching Magic, NeuroLogica Blog am 21. August 2014

 

7 Kommentare

  1. Wohin ist eigentlich „psiram“ verschwunden bzw weiß jemand, weshalb sie seit geraumer Zeit nicht mehr zugreifbar sind oder welcher Art deren Probleme der online-Verfügbarkeit sind? Würde mich sehr interessieren, da ich oft auch auf deren Seiten recherchiere.

  2. ahhh, ich sehe gerade, daß aus psiram.com anscheinend psiram.net geworden ist.

    Wieso eigentlich?

  3. @awmrkl

    Darüber überrascht war ich auch. Habe es aber auch erst heute herausgefunden, dass es gerade über die Toplevel-Domain .net läuft.

  4. Genau so ist es: Bevor ich Versuche an Tier oder Menschen mache, sollte ich erst genügend Grundlagenforschung gemacht haben…diese Grundlagenforschung sollen die Homöopathen vorlegen; damit meine ich keine schwammigen Quanten-Theorien, die von namhaften Physikern widerlegt werden können…

    Der Mensch ist kein Versuchsobjekt, das für Tests, was irgendein Möchtegernarzt im 18 Jahrhundert „festgestellt“ hat, mißbraucht werden kann und oder sollte.

  5. Aus gegebenem Anlaß: Wer in den einschlägigen Forum und Webseiten stöbert, wird öfter auf das Argument stoßen: „Warum wird denn die neue Krebstherapie xyz nur gegen einen Behandlungsstandard und nicht gegen Placebo getestet? Das macht die Ergebnisse doch völlig unglaubwürdig!“

    Wie so viele Einwürfe, hat auch dieser einen wahren Kern: In der Tat werden neue Krebsmedikamente normalerweise gegen die Standardtherapie in randomisierten Studien getestet. Denn es gibt (ziemlich alte) Studien, in denen entweder tatsächlich ein vorangegangener, damals neuer Behandlungsstandard gegen ein Placebo (oder eine unbehandelte Kontrollgruppe) getestet wurde.

    Dies war beispielsweise bei der Fall bei der Behandlung des Brustkrebses mit adjuvanter Chemotherapie im Jahr 1974: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/1246307 (ein Klassiker unter den onkologischen Studien).

    Oder aber es wurden Daten gegen historische Kollektive abgeglichen; dies war beispielsweise in den 50er Jahren der Fall, als bei leukämiekranken Kindern die allerersten Zytostatikatherapien eingesetzt wurden; die Ergebnisse waren so frappant, daß sich aus ethischen Gründen eine Neuauflage mit Kontrollgruppe verbot.

    Auch dies ein Klassiker: http://www.bloodjournal.org/content/bloodjournal/8/11/965.full.pdf.

    – Was können wir daraus schlußfolgern:

    1. Generell bauen Forschungsergebnisse aufeinander auf. Und wer sucht, wird die Studien finden, die „ganz unten“ das Fundament unseres Wissens bilden. Beides scheint bei gewissen Menschen offenbar noch nicht angekommen zu sein.

    2. Die Forderung nach Placebokontrollgruppen ist verständlich auf den ersten Blick, aber sie sind ein Rückschritt im wissenschaftlichen Erkenntnisprozeß und ethisch grausam, da Patienten eine wirksame Therapie vorenthalten würde – sie werden zu Todgeweihten aufgrund einer absurden Forderung.

    Die gewissen Menschen, die solches fordern, würden nicht nur an solchen Studien gar nicht selber teilnehmen, sondern sie würden wohl auch sich nicht einmal dann von den Studienerbenissen überzeugen lassen, wenn ihrer Forderung nachgegeben würde: Sie würden einfach ein anderes „Haar in der Suppe“ finden.

    Insofern ist die oben vorgestellte Studie von Chabot et al. nicht nur eine entsetzliche Verirrung (allerdings eine verständliche: Pankreaskrebs hat immer noch eine beschissene Prognose, so daß hier das berühmte Klammern an den Strohhalm nachvollziehbar ist), sondern sie ist im Gegenteil auch wertvoll, weil sie den gewissen Menschen um die Ohren geschlagen werden kann – von wegen, es gäbe in der heutigen Zeit keine solche Studien! Und sie zeitigen katastrophale Resultate.

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