Endlich dämmerte der Morgen, trüb und feucht, und er enthüllte meinen schlaflosen und schmerzenden Augen die Kirche von Ingolstadt, ihren weißen Turm und die Uhr, die sechs anzeigte.“
So schrieb niemand anderer als Viktor Frankenstein 1799 in sein Tagebuch.
Was sich kurz zuvor in einer „düsteren Nacht im November“ zugetragen hat, ist wohl den meisten Zeitgenossen bekannt:
Frankenstein, ein junger, aber höchst begabter Mediziner, haucht einer aus Leichenteilen zusammengesetzten Kreatur Leben ein – mit schrecklichen Folgen.
Doch was nur wenige wissen:
Der vielleicht berühmteste fantastische Roman der Weltliteratur spielt in weiten Teilen im bayerischen Ingolstadt.
Warum die britische Autorin Mary W. Shelley gerade einen deutschen Schauplatz wählte, als sie 1816 während eines Ferienaufenthaltes am Genfer See ihren
Frankenstein oder Der moderne Prometheus“
ersann, kann nur vermutet werden.
Gesehen hat Shelley die Stadt an der Donau wohl nie, reale Alt-Ingolstädter Topografie sucht man in ihrem Buch vergebens.
Mary Shelleys Ingolstadt ist ein abstraktes, düsteres Gassengedränge, das ein weißer Kirchturm überragt und in dem nur Frankensteins Hinterhofdachkammer verschwommen aufscheint.
Im drittel Kapitel lesen wir in Viktor Frankensteins Tagebuch:
Als ich siebzehn Jahre alt war, beschlossen meine Eltern, ich solle an der Universität in Ingolstadt studieren. Die Reise war lang und ermüdend, sodass ich reichlich Zeit für meine Gedanken hatte. Von weitem erblickte ich die hohen, weißen Türme der Stadt.“
Ein Studium in Ingolstadt – das garantierte im 18. Jahrhundert auch in der Realität ein hohes Ansehen.
Ingolstadt war nicht nur die erste bayerische Landesuniversität; sie galt neben Wien und Prag als die bedeutendste Hochschule ihrer Zeit.
Zu dieser internationalen Reputation trug vor allem ein eigenes „Experimentiergebäude“ für die Naturwissenschaftler und Mediziner bei, die bis heute erhalten gebliebene „Alte Anatomie“, welche nunmehr das Deutsche Medizinhistorische Museum beherbergt.
Daneben war Ingolstadt für „Frankenstein“-Schöpferin Mary Shelley die Stadt des Adam Weishaupt.
Der Philosoph und Professor für Kirchenrecht rief 1776 in Ingolstadt den Geheimbund der Illuminaten ins Leben, dessen Mitglieder sich nicht mehr als Naturphilosophen verstanden, sondern als experimentierende Naturwissenschaftler – exakt jene Entwicklung also, die Viktor Frankenstein in Shelleys Schauerroman nimmt.
Welche sonstigen Inspirationen die damals 19 Jahre alte Geliebte des Dichters Percy Shelley zu ihrem Hauptwerk „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ brachten und wer das reale Vorbild für die Figur des Viktor Frankenstein gewesen sein könnte, darüber erzählen Hoaxilla in ihrem aktuellen Podcast „Der wahre Frankenstein“.
Und wer mal in Ingolstadt zu tun hat, sollte keinesfalls die Stadtführung „Dr. Frankensteins Mystery Tour“ verpassen:
Infos und Termine gibt es hier.
Zum Weiterlesen:
- Der wahre Frankenstein, Hoaxilla-Podcast Nr. 125 vom 1. Juni 2013
- Michael Klarner: Spuren eines Phantoms – Frankenstein in Ingolstadt, espresso Verlag, Ingolstadt 2010
- Illuminati in Ingolstadt: Alles nur Phantasie? GWUP-Blog am 27. August 2009
- Die Illuminaten in Ingolstadt, GWUP-Blog am 23. September 2011
- “Einen Schritt näher zum Lichte”: Ingolstadt und der legendäre Geheimbund der Illuminaten, Skeptiker 3/2009
- Dinner mit den Illuminaten, GWUP-Blog am 31. Juli 2010
- Illuminaten 2.0., Skeptiker 4/2011
- Illuminati: Erleuchtete oder Dunkelmänner? GWUP-Blog am 20. Mai 2009
- „Hoaxilla“: Ein Podcast macht Jagd auf Verschwörungstheorien, Die Welt am 11. Mai 2013
10. Juni 2013 um 09:17
Hier, südlich von Darmstadt, ist die Burg Frankenstein.
http://de.wikipedia.org/wiki/Burg_Frankenstein_%28Bergstra%C3%9Fe%29
Angeblich hat Mary Shelley auf dem Weg nach Ingolstadt eine Rhein-Schiffstour gemacht und ist so auch an der Burg Frankenstein vorbeigekommen. Die habe sie wenigstens zur Namensgebung inspiriert.
10. Juni 2013 um 20:55
Apropos Illuminaten…Wo ist eigentlich das „Auge-Gottes“ hingekommen, das das GWUP-Logo schmückte? Ich fand den „Gag“ wirklich gut.
Ich wittere eine Verschwörung…am 3. Juni war es noch da:
http://web.archive.org/web/20130603084325/https://blog.gwup.net/
10. Juni 2013 um 21:34
Ich warte ja noch drauf, dass Frankenstein endlich mal authentisch verfilmt wird. Ich meine auf Schweizerdeutsch und Bayrisch. Zu Zeiten des Regionalkrimis könnte doch mal jemand den Sprung zum Regionalhorrorfilm wagen.
10. Juni 2013 um 22:06
@Günther
Regional-Horror gab es doch schon: „Das Wirtshaus/Spukschloß im Spessart“…LOL
11. Juni 2013 um 09:07
@Ralf
… aber da hammse ja alle Hochdeutsch geredet (bis auf den kölschen Scheich, aber das hat ja nix mit dem Spessart zu tun).
11. Juni 2013 um 17:49
@Günther
Wenn sie dort „spessaterisch“ gesprochen hätte, dann hätte das kein Schwein verstanden…außerdem sprechen auch alle Außerirdische englisch, sogar die Borg haben diese als ihre bevorzugte Sprache assimiliert.
11. Juni 2013 um 19:00
@Ralf
Naja, deswegen meinte ich ja auch vom Regionalkrimi ausgehend. Den Kluftinger haben sie auch in der ARD OHNE Untertitel gezeigt, obwohl das sicherlich schon teilweise nicht mehr verstanden wird, bevor man den Weißwurschtäquator überquert hat. Also: Frankenstein auf Schweizerdeutsch und Bayrisch bitte!
29. Juni 2013 um 12:44
Ich selbst kann Ihnen ebenfalls meine allerbeste Empfehlung aussprechen, an dem kurzweiligen Spektakel der „Frankensteins Mystery Tour“ teilzunehmen. Vor zwei Jahren habe ich mich selbst im Kreise meiner Freunde in Ingolstadt auf Frankensteins Pfade begeben und danke den Mitwirkenden hiermit nochmals recht herzlich für das großartige Vergnügen und die wohlige Gänsehaut:
http://www.welt-der-legenden.de/der-beruchtigtste-student-ingolstadts/
11. Juli 2013 um 09:02
Ingolstadt mal auf eine andere Weise zu erleben, macht neugierig. Und da hier sich die Empfehlungen häufen, werde ich mir diesen Film auch mal zu Gemüte führen. Danke und viele Grüße