Beim Spiegel ist heute das angekommen, worüber wir hier schon Anfang Dezember berichtet haben: die Studie von Daryl Bem im Journal of Personality and Social Psychology zum Thema Präkognition:
Vorhersagen, was in der Zukunft passiert – das ist Stoff für Science-Fiction-Filme. Oder tatsächlich machbar? Ein wissenschaftliches Journal veröffentlicht nun eine Studie, die angeblich belegt, dass Menschen dazu in der Lage sind. Die Fachwelt ist schockiert. Und widerspricht.“
Wer da nun worüber „schockiert“ sein sollte und warum, wird nicht recht deutlich. Inhaltlich trägt der Artikel indessen eh nichts Neues bei. Wer der komplizierten Debatte in allen Details aktuell folgen möchte, ist mit unseren „Zum Weiterlesen“-Tipps beim Beitrag „Parapsychologie: Blick in die Zukunft?“ deutlich besser bedient.
Etwas interessanter sind bei Spiegel-Online da schon die zur Minute mehr als 100 Leserkommentare – bei denen natürlich auch das berühmte Shakespeare-Zitat von den Dingen zwischen Himmel und Erde nicht fehlen darf.
Zu Unrecht, liebe Huschi-Fuschi-Fans!
Ebenso amüsant wie erhellend setzt sich zum Beispiel der Blog Buchstaeblich seltsam mit Hamlets geflügelten Worten auseinander – und mahnt schon in der Überschrift: „Bitte nicht Shakespeare!“ Denn:
Auf keinen Fall hat Shakespeare (oder besser: der von ihm konstruierte Hamlet) mit obigem Zitat gesagt, dass Homöopathie funktioniert oder dass Heilkristalle oder Reiki oder irgendein anderes Eso-Gedönse oder Ufo-Sichtungen irgendetwas mit Realität zu tun haben, wirken oder funktionieren oder gut oder wahr sind – da kann jeder gern mal bei Hamlet nachschlagen.“
Für den heutigen Sonntag fraglos der bessere Lese-Tipp als der Spiegel-Artikel.
Zum Weiterlesen:
- Nicht alles glauben! Die PSI-Tests der GWUP beim TV-Sender einsfestival am 12. und 13. Januar 2011
- Forscher streiten über Wahrsagerei, Die Welt am 11. Januar 2011
- Mit Tunnelblick gegen Hellseher, stern.de am 10. Januar 2011
9. Januar 2011 um 15:41
Ich habe jetzt das gemacht, was man eigentlich immer tun sollte, wenn man eine Untersuchung beurteilen will – nämlich sie gelesen.
Wer es mir gleich tun will, und ich finde, das sollten alle, die sich zu dem Thema äußern, findet die Studie hier: http://dbem.ws/FeelingFuture.pdf
Zunächst einmal etwas Allgemeines: Man sollte eine Studie, die im „Journal of Personality and Social Psychology“ erscheint, nicht einfach ignorieren oder ungläubig zu Seite schieben. Auch sollte Daryl Bem nicht einfach als freakiger Professor abgetan werden – seine frühreren Beiträge zur Selbstwahrnehmung sind wichtiges psychologisches Grundlagenwissen. Hat dies eine Relevanz für die gegenwärtige Studie? Nein, so wie jede ad-hominem-Attacke zwar reizvoll, meist jedoch irrelevant ist. Wichtig sind allein die durchgeführten Untersuchungen, ihre Ergebnisse und (immer als letzter Schritt) deren Interpretation.
Dabei fällt schon auf, welcher grundlegenden Natur die Kritik an Bems Ergebnisse ist. Es entsteht der Eindruck, dass die Ablehnung den Forschungshypothesen (Pro-PSI) den Blick einiger Beurteiler mehr lenkt als eine sachliche Beurteilung des Forschungsdesigns. Es ist in der Psychologie eigentlich nicht üblich, eine bestimmte Art von Beweisen für bestimmte Forschungsgegenstände einzufordern, außer beim Paranormalen. Da greift dann oft die Heuristik des „besonderen Beweises für besondere Effekte“. Den hat Bem in der Studie m.E. nicht erbracht. Bei jedem anderen Forschungsgegenstand wären seine schwachen, aber (tlw.) signifikanten Effekte wohlwollender betrachtet worden.
Ich habe Bems Studie bis Seite 48 gelesen und mir die Interpretation (Studie hat insgesamt 60 Seiten) geknickt, um voll und ganz auf die Methodik zu fokussieren, und ja, ich sehe Schwächen.
Was mich am meisten irritiert, ist die Stichprobe. Es ist in der Psychologie durchaus üblich, Studenten zu testen (die müssen an Experimenten teilnehmen und so sind Psychologiestudenten wohl der besterforschte Personenkreis der Welt). Allerdings versäumt Bem es zu berichten, wie die einzelnen Stichproben genau aussehen (Alter, Hintergrund etc.) und ob die Proben der 9 Versuche unabhängig voneinander waren. Verschiedene Arten der Konfundierung gehen mir bei verschrenkten Stichproben durch den Kopf.
In Versuch 3 stört mich die – mehr oder minder artifizielle – Reduzierung der Stichprobe vor der Auswertung. Der böse Verdacht von der Reduzierung zum Erreichen der Signifikanz schwiert mir durch den Kopf, und dann gesteht Bem ihn eigentlich selbst auf Seite 23 ein.
Bem berichtet in zwei Versuchen (5, 7) zumindest tlw. nicht signifikante Ergebnisse, fokussiert auf deren Tendenz eines schwachen Effekt. Kann er machen, beeindruckt aber nicht sehr.
Mich irritiert in Versuch 6 zudem seine „Messung“ der „Stimulus-Seeker; 2 Items aus einer Skala dafür zu nehmen, ist testtheoretisch nun doch arg vereinfacht.
Ausführlich beschäftigt sich Bem mit der Frage der Zufallsreihenfolgen, zurecht, da dies ein großes Problem darstellt. Seiner Argumentation kann man folgen, sie im Detail nachvollziehen vermag ich nicht, da ich kein Physiker bin und nicht weiß, ob die benannte Modulierung von Quantenprozesses tatsächlich zufällig ist. Da vertraue ich auf die peer-reviews des Artikels.
Auch Bems statistische Kunstgriffe sind für mich nicht alle nachvollziehbar, andererseits ist es in der Psychologie nichts Ungewöhnliches, in der Anwendung der Verfahren zu variieren. Allerdings erhöht das die Inkoherenz der 9 Versuche.
Ehrlich beeindruck bin ich von den Versuchen 8 und 9, die sich mit der Frage einer „Zukunfts-Erinnerung“ beschäftigen, bei der Wörter erinnert werden und danach erst erlernt werden. Das ist mind-twisting, aber beeindruckend. Allerdings gefällt mir die Verrechnungmethode auf Seite 41 nicht. Wären einfach Varianzanalysen signifikant geworden, hätte das sicherlich mehr beeindruckt. Leider, leider berichtet Dem solche nicht.
Kurz gesagt: methodologisch kann man meckern. Das ist aber fast bei jeder Studie in der Psychologie so. M.E. ist diese Studie weder besonders schlecht, noch herausragend gut durchgeführt. Es zeigen sich schwache Effekte, die man in ihrer Ganzheit nicht wegdiskutieren sollte, denn das wäre dogmatisch und letztlich dem Erkenntnisgewinn nicht unbedingt zuträglich.
Was tun?
Bem bietet „replication packages“ an.
Als GWUP-Skeptiker finde ich, dass wir das „U“ in unserem Vereinsnamen ernst nehmen sollten und eine Replikation der Versuche 8 und 9 angehen sollten. Natürlich ergebnisoffen.
Ich stünde bereit :)
9. Januar 2011 um 16:50
Ach, wenn die doch nur wenigstens wüssten, wen sie damit eigentlich zitieren, dann könnte man ja noch ein Auge zudrücken. Aber so …
9. Januar 2011 um 17:58
Ich habe mich im Dezember einmal mit Versuch 3 befasst, und neben den methodologischen Mängeln irritierte mich, dass die Testpersonen keine echten Voraussagen machten. Es wurden wohl nur Reaktionszeiten mit später auftauchenden Worten korreliert. Bei so abstrakten Vorgängen lassen sich mathematisch-systematische Gründe für bestimmte Korrelationen aber nicht ausschließen. Eine Wiederholung einzelner Bem-Versuche ist auf jeden Fall eine gute Idee.
9. Januar 2011 um 21:48
Danke für den Hinweis auf den Shakespeare-Artikel! Ich war schon am Überlegen, was zu schreiben wäre, wenn der unvermeidliche Eso-Spruch in den Kommentaren auftaucht. Jetzt weiß ich es: Link setzen.
10. September 2012 um 00:02
Gerade eben las ich auf http://grenzwissenschaft-aktuell.blogspot.co.at/2012/09/kontroverse-um-prakognitions-studie.html deshalb surfte ich im internet und fand – etwas spät – hierher. Mit Studien ist das so eine Sache. Da sucht man sich irgendwelche Leute und „testet“, eigentlich ohne zu wissen was man testet, wie PSI funktoniert. Ich behaupte es funktioniert, aber nicht auf Knopfdruck und nicht unbedingt immer so wie man es möchte. Weil das Bewusstsein dabei eine untergeordnete Rolle spielt. Weil das so ist, beherrschen wir „PSI“ nicht, sondern es beherrscht uns. Wer ein schlechtes Verhältnis zu seinem „Unbewussten“ hat, wird PSI wahrscheinlich nie bewusst wahrnemen. Denn dazu muss man sich auf dieses „Unbewusste“ einlassen. Was auch nicht gnz ungefährlich ist, denn man kann darin auch psychisch „ertrinken“. In unserem Leben und Erleben läuft mehr unbewusst als bewusst ab. Das ICH, von dem man glaubt man sei es, ist nichts weiter als eine Konstruktion. Es wird eigentlich vom Unbewussten konstruiert und nimmt sich selbst nur insoweit wahr, als es das Unbeswusste zulässt. Deshalb können wir PSI nur wahrnehmen wenn das Unbewusste es zulässt, oder es möchte.
10. September 2012 um 22:41
@Susanne V.
Sie haben schon recht, wenn Sie sagen das Unbewußte filtert Informationen – aber nicht das PSI (was immer das auch sein soll), sondern filtert Informationen, die unsere Sinnesorgane aufnehmen, es sortiert unwichtige Dinge aus oder reagiert auf Gefahren, noch bevor uns die Gefahr bewußt ist. Das sind Mechanismen, die sich in der Evolution bewährt haben. Warum ist dann das PSI in der Evolution verkümmert? – Würde das nicht einen Vorteil bringen. Wettervorhersage ohne Computer, „Wasseradern“ aufspüren und Wasser finden usw.
Jetzt kommt gerne der Einwand: „Das können Naturvölker noch“…Das mag zum Teil richtig sein, es hat aber nichts mit PSI zu tun, sondern sind Instinkte, die wichtig waren oder sind.
Tiere verfügen über erstaunliche Fähigkeiten, z.B. „Orientierung nach den Sternen“ usw., das sind aber alles Fähigkeiten, die auf dem Boden der Realität gewachsen sind.
Wenn Sie sagen, das PSI sei nicht immer aktivierbar, dann geben Sie dem Zufall eine Chance und das ist genau der Punkt; wenn es mal klappt, was im Rahmen der Wahrscheinlichkeit sein kann, dann war es PSI und wenn es nicht klappt, dann „wollte“ es das Unterbewußtsein halt nicht.
10. September 2012 um 23:42
Ein kleines Beispiel:
„Ich habe auf mein ‚Bauchgefühl‘ gehört und es war richtig“
Nun, das Unterbewußtsein lieferte die Lösung aus den Erfahrungen, die es dauernd macht; uns kommt es dann nur etwas „spukhaft“ vor, weil das Gehirn eine Entscheidung unter Ausschluß unseres Bewußtseins getroffen hat; das kann schon fast wie Magie wirken.
Man muß sich immer vor Augen halten: Bei dem Gehirn gilt – Hierarchie von unten nach oben; ältere Hirnregionen haben Vorrang.
Noch ein Beispiel:
Das Autofahren. Ein Fahranfänger muß sehr konzentriert und aufmerksam sein – er muß sein ganzes „Bewußtsein“ für das Fahren aufwenden; nach einiger Zeit der Routine übernimmt der Automatismus des Unterbewußtseins.
Das Großhirn ist notwendig um neues zu lernen und Gelerntes zu ordnen und zu verknüpfen, wenn sich dann die „Schaltkreise“ gebildet haben übernimmt Kollege Zwischenhirn.
Das Großhirn ist sogar in der Lage über sich selbst nachzudenken und auch ein Selbstbewußtsein zu schaffen, das zwar nur konstruiert ist, aber das erstaunt mich immer wieder. ;-)