Ein bisschen tue ihr die Homöopathie „fast leid“, schreibt Natalie Grams bei Twitter. Aber natürlich nur fast.
Was ist passiert?
Nach dem Rausschmiss aus der bayerischen Weiterbildungsordnung ist ein weiterer kritischer Artikel in einem medizinischen Fachjournal erschienen, und zwar in Pädiatrie 5/2021:
Im Fazit heißt es:
- Das Kernproblem bei der Homöopathie liegt in dem ungerechtfertigten „guten Ruf“, der ihr nach wie vor die Reputation medizinischer Relevanz verschafft, positiv konnotiert mit „sanft, natürlich und nebenwirkungsfrei.“
- Dies kann das Handeln des Pädiaters nicht unberührt lassen. Im Vordergrund muss das ethisch begründete Erfordernis stehen, der irreführenden Reputation einer unwirksamen Methode in der Patientenschaft entgegenzuwirken.
- Die Verwendung von Homöopathika als Placebo kann nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen. Die Ethikregeln verlangen dafür einen vollständigen informed consent zwischen Therapeut und Patient/Eltern. Dies ist im Falle der Homöopathie wegen ihrer wirkmächtigen öffentlichen Reputation meist gar nicht leistbar.
- Primum non nocere – und ja, Homöopathie schadet! Mit jeder verzögerten sinnvollen Therapie, mit jeder Minute unnötigen Schmerzes und mit jeder Indifferenz gegenüber der Gesundheitskompetenz der Patientenschaft.
- Eine evidenzbasierte Homöopathie existiert nicht. Ihre schiere massive Präsenz sollte darüber nicht hinweg täuschen.
Neben Homöopathiekritik beinhaltet der Beitrag indes auch ein Plädoyer für die sprechende Medizin:
Patienten, im pädiatrischen Zusammenhang die Eltern, fühlen sich bei homöopathisch tätigen Ärzten und Heilpraktikern gut aufgehoben, weil man „sich so viel Zeit genommen hat.“
Innerhalb von Selektivverträgen der Gesetzlichen Krankenkassen mit Homöopathen werden die „Erstanamnesen“, „Mittelfindungen“ (Repertorisation) und Folgeanamnesen sehr gut honoriert. Sprechende Medizin ist zweifelsfrei effektiv, geduldiges Zuhören bedeutet für alle praktizierenden Ärzte einen Garanten für den Heilungserfolg.
Die schnelle Akutmedizin in unseren Praxen schreckt viele Eltern ab, die Zeit des Zuhörens will aber aus Sicht der alltäglichen Praxis gut organisiert sein – honoriert wird sie außer bei einer Verknüpfung mit einer Globulibehandlung jedoch eher schlecht, da budgetiert und nur auf schwerere Erkrankungen beschränkt.
Insofern muss die Privilegierung der ärztlichen Leistung „Zeit“ ausgerechnet im Kontext einer medizinisch irrelevanten Methode wie der Homöopathie als Systemfehler angesehen werden.
Zum Weiterlesen:
- Homöopathie und Ärzteschaft: „Die Grenze zur Pseudomedizin ist nun endlich klar gezogen“, GWUP-Blog am 19. Oktober 2021