Zweite Frage: Stimmen die angeblich beschriebenen Fakten?
Rufen wir uns Fontbrunes Deutung noch einmal in Erinnerung (hier in etwas erweiterter Form, wie Fontbrune sie in einer Folge von „Galileo Mystery“ zum Besten gab) und gleichen sie mit Lexika und Geschichtsbüchern ab:
– „Hitler lebte 56 Jahre, das sind 670 Monate.“
Falsch. Hitler lebte vom 20. April 1889 bis zum 30. April 1945. Das sind 672 Monate.
– „Hitler war Gefreiter im Ersten Weltkrieg. Er wurde zweimal verletzt, beide Male im Jahr 1915.“
Falsch. In Nordfrankreich wurde Hitler im Oktober 1916 am Bein verwundet und am 15. Oktober 1918 nach einem Gasangriff in das Lazarett der vorpommerschen Stadt Pasewalk eingewiesen.
– „Im zweiten [1921] wird er eine lebensgefährliche Streitmacht haben.“
Falsch. Als Hitler im Juli 1921 mit einem Ultimatum seine Wahl zum Vorsitzenden der NSDAP erzwang, zählte die Partei zwischen 2000 und 3000 Mitglieder. Damit wurde er zu einer politischen Lokalgröße, galt außerhalb Bayerns aber immer noch als „Bierkelleragitator“.
– 39 wird eine feurige Sintflut ausbrechen: „1939 brach der Zweite Weltkrieg aus – weil Hitler ihn begann.“
Richtig. Auslöser des Zweiten Weltkriegs war in Europa der Angriff des Deutschen Reiches auf Polen. Dieser erfolgte ohne vorherige Kriegserklärung am 1. September 1939.
Damit hätte Jean-Charles de Fontbrune immerhin einen Treffer – und damit mehr als die allermeisten Nostradamus-Deuter, die sich auf konkrete Zahlenspiele einlassen. Wie zum Beispiel der Münchener Astrologe Kurt Allgeier, der etwa folgende kuriose Deutung des 77. Verses der dritten Centurie abliefert:
Le tiers climat sous Aries comprins,
L’an mil Sept cens vingt & sept en Octobre.
Le Roy de Perse par ceux d’Egypte prins:
Conflit, mort perte à la croix grand opprobe.Die dritte Klimazone unter dem Zeichen Widder
Wird es im Jahre 1727 im Oktober verstehen.
Der Herrscher von Persien ist in der Hand der Ägypter.
Krieg, Tod, Verlust. Große Schande für das Kreuz.“
„Ein sehr bezeichnender und wichtiger Vers“, kommentiert Allgeier in „Die Prophezeiungen des Nostradamus“ (Heyne-Verlag, München 1999), in dem Nostradamus einmal mehr das Abendland und seine unbedachte Politik für die heutige Situation verantwortlich macht: Im Oktober 1727 besiegte das Osmanische Reich, zu dem Ägypten damals gehörte, den letzten Safawiden Hosain. Damit war die persische Dynastie am Ende. Sehr intensiv hatten sich die Perser zuvor um engere Beziehungen und Hilfen aus Europa gegen die Türken bemüht, die im Westen bereits keine große Rolle mehr spielten. Doch den europäischen Staaten war Persien zu unbedeutend. Aus jener Zeit resultieren viele iranische Mimositäten gegenüber Europa. Die dritte Klimazone ist der Herbst.“
Ein Triumph für Nostradamus? Allenfalls ein Versuch, Verdrehungen und Unwahrheiten über die Realität triumphieren zu lassen. Denn auch hartnäckiges Blättern in den Geschichtsbüchern erbringt nichts, was diesen „Weissagungen“ auch nur annähernd entspricht. Erstens war Hosain nicht der letzte Safawide. Zweitens war 1727 Tahmasp II. an der Macht. Drittens gab es 1727 weder einen persisch-ägyptischen noch einen persisch-türkischen Krieg, keine Gefangennahme irgendeiner Hoheit, keinen Friedensschluss.
Was man Allgeier indes zugute halten muss: Wenigstens trifft noch seine Übersetzung so einigermaßen den Kern den Sache. Und das bringt uns zur nächsten Frage bei unserer Nostradamus-Analyse (Fortsetzung folgt).
Zum Weiterlesen:
- Harder, B. (2000): Nostradamus. Ein Mythos wird entschlüsselt. Alibri, Aschaffenburg
- Links zu den anderen Teilen der Serie „Wie analysiert man Nostradamus-Verse?“: Teil I | Teil III | Teil IV