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„Mission Freedom“: Eine verschwörungsgläubige Organisation darf im Allgäu traumatisierte Kinder betreuen

| 7 Kommentare

Wenn es eine Organisation in Deutschland gibt, die die Rituelle Gewalt-Mind Control-Verschwörungstheorie (RG-MC) bis ins Detail vertritt, dann ist es „Mission Freedom“.

Der eingetragene Verein mit Sitz in Hamburg wurde nach eigenen Angaben „am 01.01.2011 gegründet, um gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution aufzustehen“. Kritiker verorten die vermeintlichen Helfer im fundamentalistisch-evangelikalen Milieu, Behörden und staatliche Einrichtungen lehnen eine Zusammenarbeit mit „Mission Freedom“ ab.

Jetzt hat der Verein im Allgäu eine „vollstationäre Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung“ eröffnet. Träger von „Haus SeeNest“ in der Nähe von Kempten ist die „Himmelsstürmer Deutschland gGmbH“, die sich selbst als „freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe“ bezeichnet.

Diese Aktivitäten haben mittlerweile das Interesse von Medien wie Panorama 3 und der Süddeutschen Zeitung auf sich gezogen. Der Münchner Rechtsanwalt Matthias Pöhl, der sich seit längerem mit problematischen missionarischen Gruppierungen befasst, formuliert gegenüber unserem Blog starke Zweifel daran, dass im „Haus SeeNest“ das Wohl der dort betreuten Kinder und Jugendlichen gewährleistet ist:

Stattdessen besteht aufgrund der meiner Meinung nach unprofessionellen und durch Wahnvorstellungen geleiteten Vereinsarbeit die konkrete Gefahr, dass eine besonders vulnerable Personengruppe sich in eine – nach äußerem Anschein staatlich anerkannte – Hilfseinrichtung begibt und dort erneut zum Opfer gemacht wird.

Himmelsstürmer gGmbH – Mission Freedom: die Verbindung

Auf der Webseite himmelsstuermer.org sind keine Kontakte zu „Mission Freedom“ ersichtlich.

Eine kurze Recherche ergibt aber, dass „Mission Freedom“ Alleingesellschafter der Himmelsstürmer Deutschland gGmbH ist und die beiden Organisationen praktisch identisch sind.

„Mission Freedom“ – der Verein

Schon 2013/2014 gab es massive Kritik an „Mission Freedom“.

In zwei NDR-Berichten (hier und hier) sagte der Leiter der Abteilung für organisierte Kriminalität im Hamburger Landeskriminalamt, Jörn Blicke:

Für mich ist der Verein nicht seriös. Der Umgang mit den Opfern, wie er von Mission Freedom gepflegt wird, ist nicht so, wie wir uns vorstellen, wie mit Opfern umgegangen wird […]

Es gibt keine Zusammenarbeit mit Mission Freedom, es wird auch keine geben, so wie das im Moment absehbar ist. Weder mit uns, noch mit irgendeiner anderen Polizeidienststelle in Hamburg.“

Auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei antwortete der Hamburger Senat:

Die Arbeit und das Konzept von Mission Freedom entsprechen nicht den fachlichen Qualitätsanforderungen im Umgang mit Menschenhandel, der Betreuung und dem Sicherheitsbedürfnis der Betroffenen sowie der Anforderungen an die Kenntnis der bestehenden Opferhilfelandschaft.

Auch in der NDR-Doku

Radikale Christen in Deutschland – Mission unter falscher Flagge

aus dem Jahr 2014 wird der Verein entsprechend gewürdigt:

Gaby Wentland – die Gründerin und Leiterin

Von der „vierfachen Mutter, Gründerin und Vorstandsvorsitzenden von Mission Freedom e.V.“ ist keine therapeutische, sozialpädagogische oder psychologische Ausbildung bekannt. Auf ihrer Homepage firmiert Gaby Wentland als „Pastorenfrau und Buchautorin“. 16 Jahre lang sei sie Missionarin im Team des berüchtigten Predigers Reinhard Bonnke („Mähdrescher Gottes“) gewesen.

Ihr Engament bei „Mission Freedom“ betrachtet sie offenbar als Teil einer endzeitlichen Schlacht zwischen Gott und dem Teufel.

In diesem Video

spricht sie (Minute 35:20) von einem „geistlichen Kampf“:

Hier ist der Satan dabei, wieder zurückzuholen, was ihm gehört, und ich hatte versucht, so viel Land zu bekommen wie nur möglich.

In „One from the heart“ erklärt sie hochemotional und den Tränen nahe (22:40):

Ich bin dem Teufel begegnet im Milieu in einer Weise, wie ich ihn nie mir hätte vorstellen können. Wenn du sagst, den Teufel gibt es nicht, dann geh einmal ins Rotlicht, dann weißt du, er ist da.

Verschwörungstheorien

Dazu verbreitet sie szenetypische Verschwörungstheorien (52:49):

Ihr müsst doppelt so viel Bibel lesen wie Medien konsumieren. Wisst ihr, was das ist? Die Wahrheit!

Im Augenblick werdet ihr belogen. Von vorne bis hinten. Und ihr merkt‘s hoffentlich allmählich, dass das, was ihr alles an Informationen bekommt, immer nur Halbwahrheiten sind. Aber wenn ihr die Wahrheit kennt aus dem Wort Gottes, dann werdet ihr den Geist der Geisterunterscheidung haben, und dann liest du einen Artikel in der Zeitung und denkst: Hallo, hallo, hallo, hier stimmt irgendwas nicht. Bumm.

Ich hab meine Tageszeitung abbestellt, ich brauch sie nicht mehr, weil ich brauch Zeit für die Bibel.

Rituelle Gewalt-Mind Control-Verschwörungstheorie

Beim Skeptical 2024 in Augsburg haben wir die spezifischen Elemente von RG-MC besprochen:

Praktisch alles davon finden wir bei „Mission Freedom“ wieder – von den

  • „generationsübergreifenden“ Tätern „in nahezu allen Ländern der Welt“
  • aus „Sekten, Kulten, Geheimbünden sowie satanistischen Gruppen“
  • die sich „modernster Technik und Wissenschaft bedienen“
  • um ihre Opfer gezielt in mehrere Persönlichkeiten aufzuspalten
  • und sie damit „zu modernen Sklaven machen, die auf ein Code-Wort hin in einen anderen Anteil wechseln“

bis hin zu der Behauptung,

  • die „False Memory- und Satanic Panic-“ Bewegung [werde] „immer wieder genutzt, um Therapeuten zu diffamieren“.

In verschiedenen Videos (zum Beispiel hier bei 28:40 und hier bei 2:55) behauptet Wentland, Patientinnen aus dem „rituell-satanischen Missbrauch“ zu betreuen.

Bei einem „Kongress gegen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung“ im April in Schwäbisch-Gmünd trug Wentland (Vortrag am 24. April um 9 Uhr) die Lebensgeschichte von Laurel Rose Willson vor, eines angeblichen Opfers von satanistisch-rituellem Missbrauch.

Allerdings ist Willsons Story frei erfunden. Der amerikanische Skeptiker Benjamin Radford schreibt von einem „complete hoax“.

Bei Instagram fordert „Mission Freedom“ dazu auf, Betroffenen von ritueller Gewalt „eine Stimme zu geben“. Nur existiert „rituelle Gewalt“ in der von diesem Verein beschriebenen Form nicht.

In einem aktuellen Video (2:20) spricht Wentland davon, dass sich bereits vier Kinder im Haus SeeNest im Allgäu befänden.

Wie kann das sein, dass diese „dubiose Hilfsorganisation“ (taz) mit ihren fundamentalistischen und verschwörungsideologischen Phantastereien eine vollstationäre Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung eröffnen darf? Gerade erst hat Die Zeit wieder über fatale Falschtherapien in einer solchen Institution berichtet.

Die Staatsregierung erklärt auf eine Anfrage der Grünen im bayerischen Landtag, ihr sei das Konzept des Vereins „Mission Freedom e. V.“ nicht bekannt gewesen:

Erst durch Internetrecherchen sowie die Kontaktaufnahme mit dem Landeskriminal­amt Hamburg konnte ein Überblick über die Thematik gewonnen werden […]

Nach Auskunft des LKA Hamburg gelten die dortigen Antworten weiterhin. Zusammenfassend ist jedoch eine fachliche Bewertung des Konzepts des Vereins „Mission Freedom e. V.“ aufgrund feh­lender eigener Erfahrung nicht möglich

Und weiter:

Eine positive Stellungnahme des Kreisjugendamtes Oberallgäu liege vor. Vor-Ort-Begehungen der Regierung von Schwaben gemeinsam mit dem Kreisjugendamt Oberallgäu hätten keine Auffälligkeiten ergeben.

Das klingt in einem Panorama 3-Beitrag von heute Abend allerdings anders:

Darin formuliert die Kreisjugendamtsleiterin Claudia Ritter durchaus „viele Fragen“ an die Einrichtung.

Auch Christian Lohwasser vom Deutschen Berufsverband für Soziale Arbeit bezweifelt, „dass Haus Seenest überhaupt eine Betriebserlaubnis hätte erhalten dürfen“, schreibt die Süddeutsche Zeitung:

Allein aufgrund des Glaubensverständnisses von Gaby Wentland sieht er Probleme des Trägers und von Mission Freedom, was die Orientierung an wissenschaftlichen Standards […] in der Einrichtung anbelangt.

Derzeit könnte wohl noch am ehesten die Katholische Jugendfürsorge Augsburg tätig werden, die laut SZ der Himmelsstürmer gGmbH die Räumlichkeiten im Allgäu vermietet hat. Die KJF jedenfalls nehme die Vorwürfe gegen Mission Freedom „sehr ernst“.

Rechtsanwalt Matthias Pöhl befürchtet, dass bei Mission Freedom „statt eines fachlich-professionellen Umgangs mit der eigenen Arbeit im Interesse von Hilfesuchenden“ letztendlich

… Verschwörungsideologien verbreitet werden, die besonders gut in das eigene Weltbild dämonischer Bedrohungen und eines ausgeprägten Freund-Feind-Schemas passen.

Zum Weiterlesen:

  • Kinder- und Jugendschutz: „Material, was Gott braucht, um sein Reich zu bauen“, Süddeutsche am 16. Juli 2024
  • Christliche Nächstenliebe? Dubioser Verein kümmert sich um Minderjährige, ndr am 16. Juli 2024
  • Satan’s Sideshow: The Real Story of Lauren Stratford (Laurel Rose Willson), Cornerstone 18, Heft 90 (1990)
  • The 5 Most Outrageous Hoaxes, nbc am 18. Januar 2013
  • Die dubiosen Methoden von Mission Freedom, spiegel.de am 27. Dezember 2013
  • Dubiose Hilfsorganisation: Vom Strich in die Christensekte, taz am 12. November 2013
  • Retterin der gefallenen Mädchen, taz am 19. Februar 2014
  • Die Zeit – Die verlorenen Kinder, Infoportal Satanic Panic am 26. Mai 2024
  • Skeptiker in England und USA warnen vor der „Rituelle Gewalt“-Verschwörungstheorie, GWUP-Blog am 13. Juli 2024
  • Rituelle Gewalt – Mind Control: „Elitenverschwörung oder Verschwörungstheorie?“ jetzt kostenlos zum Download, GWUP-Blog am 17. Juni 2024

7 Kommentare

  1. Den Bericht bei Panorama fand ich etwas schwach. Vermutlich weil ich selbst nicht so viel über die Auswirkungen eines „Christlichen Fundamentalismus“ weiß.

    Der Artikel von der Süddeutschen Zeitung fand ich schon besser.

    Den Blog-Beitrag hier finde ich aufgrund der Ausführlichkeit noch am aufschlussreichsten!

    Allerdings ist mir wirklich schleierhaft, wie denen eine Lizenz zugeteilt werden konnte. Allerdings finde ich es in dem Fall auch etwas schwammig, für welchen Aufgabenbereich die Erlaubnis erteilt wurde. Wohl nicht für eine psychologische Betreuung.

    Angesichts der bisher bekannten Fälle aus dem Spiegel und von der Zeit, scheinen wir in Deutschland ein wirkliches Problem in der öffentlichen Jugendhilfe zu haben.

  2. Pingback: Kinderschutz mit problematischem Background - Debunking SRA

  3. „„Panorama 3“-Beitrag kritisiert christliches „Haus Seenest“ – mit wenig Substanz“:

    https://www.pro-medienmagazin.de/panorama-3-beitrag-kritisiert-christliches-haus-seenest-mit-wenig-substanz/

  4. @Martina:

    Auch wenn dieses „Medienmagazin“ im Prinzip wohl in einer ähnlichen Ecke zu verorten ist wie MF, haben sie nicht ganz Unrecht.

    Tatsächlich beschränken sich beide Medienbeiträge relativ vage auf den fundamentalchristlichen Hintergrund von MF.

    Vermutlich wäre es zielführender gewesen, konkret den aberwitzigen Verschwörungsglauben dahinter offenzulegen, der die ganz konkrete Gefahr von Falschtherapien, vor allem bei Kindern und Jugendlichen, birgt.

  5. An der NDR-Doku „Mission unter falscher Flagge“ aus dem Jahr 2014 gab es Kritik durch die evangelische Community und ich musste etwas schmunzeln …

    >> Diese Bilder seien – so der Vorwurf – mit versteckten Kameras aufgenommen worden. Die Persönlichkeitsrechte seien durch all dies verletzt worden.

    Ähnlich als der Spiegel den Namen einer Psychotherapeutin nannte.

    >> Immer wieder wird der Vorwurf erhoben, diese Dokumentation hätte pauschal alle Christen oder evangelikale Gläubige diffamiert, den „Glauben an Gott“ ins Lächerliche gezogen.

    >> „Hier werden 1,3 Millionen evangelikale Christen in Deutschland diffamiert und als dumm, mit schlichtem Weltbild, von vorgestern, als intolerant und sogar gemeingefährlich, weil sie fundamentalistisch sind, dargestellt“.

    Pauschal werden alle Therapeuten diffamiert und durch Böhmermann das Thema Missbrauch ins Lächerliche gezogen

    >> Wir haben während der Recherchen zu dieser Dokumentation mit vielen, auch gläubigen Menschen gesprochen, die detailliert beschreiben, wie ihr Glaube, ihre Vorstellung von einem christlichen Leben ausgenutzt wurde und sie in eine totale Abhängigkeit zu den Gruppen und ihren Leitern geführt hat.

    Eine totale Abhängigkeit zu den Gruppen, kennt man auch

    >> Erschreckend und äußerst befremdlich finden wir auch den vielfach geäußerten Vorwurf, die Intention des Filmes sei vergleichbar „mit der Verfolgung und Ermordung von Juden während des Naziterrors“.

    Wo war das noch mit der Hetzjagd auf Psychotherapeuten?

    >> Angebliche „Einseitigkeit der Dokumentation“
    >> Der Film blende die Realität aus, beleuchte nur einige wenige „Randgruppen“, verzerre so die Arbeit der christlichen Arbeit

    Hallo Betroffenenrat und die einseitige Berichterstattung der letzten Monate in den Medien.

    >> Vorwürfe, man hätte auch andere Menschen interviewen müssen

    Tja, kommt mir auch irgendwie bekannt vor.

    >> Oftmals wird auch gegen die Aussage eines im Film zu Wort kommenden Aussteigers protestiert, nach der sich vieles „um Geld, Anerkennung und Macht“ drehe.

    Parallele: Ist ja nachvollziehbar, dass sich jemand gegen Rituelle Gewalt ausspricht wenn das Sorgerecht fürs eigene Kind entzogen wird.

    >> Die Entscheidung des Hamburger Senats und des LKA Hamburg gegen eine Zusammenarbeit mit „Mission Freedom“ wird von vielen ebenfalls heftig kritisiert. Dies zeige, so der Tenor, „wie christenfeindliche Elemente die Stadt mittlerweile beherrschen“ würden.

    Alles unterwandert von irgendwelchen mächtigen „Satanisten“.

    >> Tatsache ist auch, dass in mittlerweile rund 7000 Mails, Briefen und Anrufen (Stand 12. August) scharfe Kritik formuliert wurde. Diese hohe Zahl ist teilweise erklärbar. So liegen der Redaktion mehrere Mails von Organisationen und Gemeinden vor, in denen die jeweiligen Mitglieder und Anhänger aufgefordert werden, sich beim NDR zu beschweren.

    Ja ja, die üblichen Shitstorms. An die Menge kommt die SRA Bubble aber nicht ran.

    Habe es nur im Archiv finden können:

    https://web.archive.org/web/20140819190202/http://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/ndr/stellungnahme-mission-unter-falscher-flagg-100.html

    Spannend … wie da wohl Korrelation und Kausalität zusammenhängen?

  6. Die großen Pläne ‘Gottes’ … sind undurchschaubar

    Staat und Kirche | Veröffentlicht in MIZ 2/24 | Geschrieben von Matthias Pöhl

    https://miz-online.de/die-grossen-plaene-gottes-sind-undurchschaubar/

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