Gute Pillen – Schlechte Pillen referiert in der aktuellen Ausgabe (6/2023) einen Fallbericht aus der Zeitschrift Arzneiverordnung in der Praxis der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft:
Ein Heilpraktiker hatte einem Patienten MMS (Miracle Mineral Supplement) für eine „Darmkur“ empfohlen. Die 25-prozentige Natriumchlorit-Lösung geriet in die Hände des zweieinhalbjährigen Enkelsohnes, der darauf mit Erbrechen, Durchfall und einem sich rapide verschlechternden Allgemeinzustand reagierte.
Im Krankenhaus wurden künstliche Beatmung und neben anderen Behandlungen Bluttransfusionen nötig:
Beim Blick in den Magen zeigte sich, dass die giftige Lösung die Schleimhaut stark verätzt hatte.
GPSP rät:
Wenn bei Ihnen oder bei Familie, Freunden und Bekannten Zutaten der MMS-Lösung stehen sollten: Entsorgen Sie die Lösungen schnellstmöglich.
Und das Fazit der AVP:
Zum Weiterlesen:
- MMS: Lebensgefährliche Verätzung bei Kleinkind, gutepillen-schlechtepillen 6/2023
- Miracle Mineral Supplement: akzidentelle Ingestion durch ein Kleinkind, akdea 2/2023
- Die „Science Cops“ zu MMS, GWUP-Blog am 26. September 2021
- Science Cops-Video: „MMS – Bleichmittel mit eigener Religion“
- Sinans Woche: Bodo Schiffmann empfiehlt jetzt Chlorbleiche, GWUP-Blog am 3. Juli 2022
- MedWatch: Darum geht es bei Chlordioxid und MMS, GWUP-Blog am 17. November 2021
17. November 2023 um 09:58
Nun ja, die Dosis macht das Gift. Unabhängig von der völligen Wirkungslosigkeit von MMS in den behaupteten Indikationen, nehme ich mal an, dass eine 25%-ige Lösung nicht unverdünnt angewendet werden sollte. In der richtigen Verdünnung kann jeder von uns „MMS“ (aka Natriumchlorit) anwenden, vor allem in bestimmten Regionen der Welt – nämlich als Wasserdesinfektionsmittel.
Das so behandelte Wasser kann dann problemlos getrunken werden, schließlich wenden auch Wasserwerke und Schwimmbäder Chlorverbindungen als Prophylaxe oder Behandlung von bakteriellen Verunreinigungen an.
Die Schuld liegt in diesem Fall rein formal also nicht bei MMS als Substanz, sondern in einer unzureichenden Beaufsichtigung, vllt. auch in einer Flasche ohne Sicherheitsverschluss. Das aufzuklären ist Aufgabe der Polizei resp. der Arznei- oder Lebensmittelaufsicht.
17. November 2023 um 10:25
Was soll man dazu überhaupt noch sagen? MMS ist kein Arzneimittel und der Vertrieb als solches unter Strafe. Fragt sich, ob es plötzlich doch zum Arzneimittel wird, wenn ein Heilpraktiker es „gegen Darmbeschwerden verordnet“?
Und mit welchem Leichtsinn wird mit dem Zeug zu Hause umgegangen?
Dieser Fall berührt so viele Aspekte von Schwurbel, Aberglaube, fahrlässigem Unwissen und auch noch die Heilpraktikerproblematik gleichzeitig, dass man beim verzweifelten Kopfschütteln gar nicht nachkommt.
Immer wieder bleibt eine Frage: warum sind die Leute so?
Wahnwitzige Selbstüberschätzung beim Heilpraktiker trifft auf null Gesundheitskompetenz beim Patienten. Ablehnung von „BigPharma“ und die „Schulmedizin“ trifft versus grenzenloses Vertrauen auf Laienheiler und „Bauchgefühl“? Vom fehlenden Risikobewusstsein ganz zu schweigen.
Wie gesagt – wie soll man so etwas überhaupt noch kommentieren?
17. November 2023 um 15:04
Genau so, wie Du es tust, Susannchen. Gegen Selbstüberschätzung und fehlende Gesundheitskompetenz hilft nur Widerspruch und Aufklärung. Vielen Dank.
17. November 2023 um 18:09
@Doc Nemo:
Vor MMS ist umfangreich gewarnt worden – aber klar, wir wissen, dass das noch lange nicht alle erreicht …
Warnungen der Bundesbehörden:
http://www.bfr.bund.de/cm/343/bfr-raet-von-der-einnahme-des-produkts-miracle-mineral-supplement-mms-ab.pdf
http://www.bvl.bund.de/DE/05_Tierarzneimittel/05_Fachmeldungen/2014/2014_12_12_Fa_Miracle_Supplement.html
http://www.bfarm.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/mitteil2015/pm3-2015.html
http://www.bfarm.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/mitteil2014/pm08-2014.html
Warnung der Verbraucherzentrale
https://www.verbraucherzentrale.de/miracle-mineral-supplement
Warnung von Swissmedic
https://www.swissmedic.ch/aktuell/00673/00688/01540/index.html?lang=de&print_style=yes
Spiegel-Artikel:
http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/mms-bfarm-warnt-vor-anwendung-als-arzneimittel-a-972571.html
http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/mms-quacksalber-werben-auf-kongress-in-hannover-a-967307.html
http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/mms-wundermittel-trotz-risikowarnung-weiter-im-einsatz-a-977184.html
Kann fortgesetzt werden.
Aber den Heilpraktiker vor allem, aber auch die Familie sollten wir nicht aus der Verantwortung entlassen. Vor allem der HP MUSS wissen, dass MMS als Arzneimittel nicht zulassungsfähig und nicht vertriebsfähig ist.
Ist es im Kern aber so, dass es nach dem Misslingen einer breiten Propagierung dieses Zeugs vor einigen Jahren (tatsächlich!) sich eine verschworene Gemeinschaft gebildet hat, die der Chlorbleiche und ihrem Messias Jim Humble im Halbverborgenen huldigt. Und die sind Hardcore, vermutlich zählt zumindest der hier beteiligte Heilpraktiker dazu.
17. November 2023 um 21:27
Das Problem ist, dass MMS, so eingesetzt wie vorgesehen als MMS (und nicht Natriumchlorit/ Chlordioxid), eben NICHT auf Schwimmbad-/ Wasserwerkniveau verdünnt wird.
MMS ruft bei „sachgemäßem“ Gebrauch schwere gesundheitliche Schäden hervor.
Chlordioxid ist bei sachgemäßem Gebrauch ein wichitges Mittel zur Hygiene.
21. November 2023 um 09:24
@Christian Becker
Genau das habe ich gesagt – die Dosis macht das Gift. Auch als MMS wird nicht die 25%-ige Lösung pur appliziert, sondern es wird ein „Tropfen“ (ca. 1/20 ml) mit 60 – 110 ml Wasser verdünnt (https://bio360.de/blog/alternative-heilmethoden/wundermittel-mms/). Damit bleibt MMS bei den behaupteten Indikationen natürlich weiterhin unwirksam.
Ob es in dieser Dosierung allerdings auch per se gefährlich ist, habe ich nicht explizit recherchiert. In der Trinkwasserverordnung liegt der zulässige Grenzwert für freies Chlor (müsste man also messen bzw. umrechnen) bei 0,3 mg/l. Trotzdem sollte man Desinfektionsmittel nicht als Medikament missbrauchen.