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„Energien von Verstorbenen“, Felder und Schwingungen wabern durch die FAZ

| 6 Kommentare

Wussten Sie schon, dass man die negativen Energien in einem Raum nicht einfach so ausräuchern kann?

Keinesfalls ist es damit getan, „mit einer Räucherschale durch das Haus zu gehen“.

Sondern:

Wer das Ritual anwendet, muss damit achtsam und respektvoll umgehen: einen Tag festlegen, an dem sonst niemand im Haus ist, um Schutz und Erlaubnis bitten und dann klar die Absicht formulieren, warum hier geräuchert wird – um etwa Energien vom Vorbesitzer zu neutralisieren oder nach einer Krankheit die Energie zu bereinigen. Dann durchschreitet man von der Eingangstür angefangen alle Räume, anschließend wird gut gelüftet.

So liest man jedenfalls.

Und wo? Nicht in der Raum & Zeit. Nicht in Happinez. Nicht in mystery.

Nein, die Frankfurter Allgemeine (FAZ) beglückt ihre Leserschaft mit einem Interview aus der lebhaften Phantasiewelt einer „Geomantin“. Jene Zeitung also, die man abonnieren soll, wenn man sich „intelligent informieren“ möchte und die laut Eigenwerbung für „sorgfältig recherchierte Fakten“ steht.

Schauen wir uns die aufgetischten „Fakten“ mal an:

  • Ein Grundstück, auf dem sich „einst ein Friedhof oder ein Schlachtfeld befand oder auch nur in der Nähe davon liegt“, ist mit den Energien der Verstorbenen belastet.
  • Strukturen und Flächen haben „ihre eigenen Schwingungen“.
  • Der menschliche Organismus reagiert auf „negative Energien“ aus der Umgebung mit „Kurzatmigkeit, Sauerstoffmangel und daraus folgen negative Emotionen“.
  • Man kann aber „unruhige Energien“ ins Positive wandeln, etwa indem man „Findlinge aus dem Bayerischen Wald“ auf das Grundstück setzt und sie auf bestimmte Weise „polarisiert“ und im Boden verankert.

Und so weiter, und so fort.

Dass die „Geomantin“ auch noch studierte Innenarchitektin ist, lässt diesen Aberwitz eher noch ärger erscheinen. Nach eigenem Bekunden wartet die Dame „seit zehn Jahren“ auf einen Großmeisterkurs (irgendwas mit „Feng-Shui“ oder „Tao-Geomantie“), der „demnächst auf Sri Lanka“ stattfindet:

Diese professionellen Kurse werden in Europa gar nicht angeboten.

Und möglicherweise zu Recht, denn man weiß bis zuletzt nicht, ob dieser Artikel ein Scherz, eine abgedrehte Eso-Parodie, eine Direktbewerbung fürs Goldene Brett, eine Fantasy-Kurzgeschichte, Leserverarsche, bezahlte Werbung oder – man wagt es kaum anzunehmen – ernst gemeint ist.

Falls Letzteres zutrifft, verwechselt die FAZ in ihrem aktuellen Marketingclaim anscheinend „freies Denken“ mit freischwebendem Unsinn.

Die Leser nehmen’s indes mit Humor. Bester Kommentar:

Aha, die FAZ hat jetzt also auch eine Comic- und Witzseite! Dann möchte ich die Redaktion doch bitten, unter allen Umständen eine Fortsetzung zu präsentieren, sobald unsere „Geomantin“ von ihrem Großmeisterkurs aus Sri Lanka zurück gekehrt ist, um von ihren bestimmt sensationellen neuen Erkenntnissen zu berichten. Merke: Lachen ist gesund!

Zum Weiterlesen:

  • Geomantin im Interview: „Mit einer Party ziehen gute Energien ein“, faz.net am 21. Oktober 2023
  • Wünschel Dir was, spiegel.de am 27. Februar 2012
  • Magisch-religiöse Vorstellungen in der Architekturtheorie, Skeptiker 2/2002
  • Warum Wünschelrutengehen keine Wissenschaft ist, GWUP-Blog am 17. November 2013
  • Wünschelrute: Muter zwischen Vermutungen und Wirklichkeit, GWUP-Blog am 7. Februar 2015
  • Das Berliner Ensemble und der Geomant: entstört oder gestört? GWUP-Blog am 30. August 2017
  • Feng-Pfui-Affäre in Bamberg: negative Schwingungen, GWUP-Blog am 18. August 2023
  • GWUP-Infos: Feng Shui
  • Feng-Shui bei Psiram
  • GWUP-Info: Morphische Felder
  • Felder ohne Früchte, Skeptiker 3/2004
  • Ein WLAN für das Übersinnliche, futurezone am 2. Oktober 2018
  • Morphogenetische Felder: Wie man Quantenquark potenziert, Relativer Quantenquark am 1. Januar 2017
  • „Morphisches Feld“ bei Psiram
  • Ulrich Magin: Geheimwissenschaft Geomantie. Der Glaube an die magischen Kräfte der Erde. Beck’sche Reihe 1996, 175 Seiten, ab 3,96 €

6 Kommentare

  1. Als ähnlich befremdlich empfand ich Anfang des Jahres einen Artikel in der taz, in dem der Eindruck vermittelt wird, als wäre Geomantie eine seriöse Wissenschaft oder Tätigkeit:

    https://taz.de/Unfallschwerpunkt-in-Hamburg/!5910397/

  2. Ach du liebes Bisschen!

    Na hoffentlich quittieren das die Leser u Abonnenten beider Zeitungen mit gepfefferten Leserbriefen u (Ankündigung von) Abo- Kündigungen!

    „Wasseradern, in denen das Wasser in falscher Richtung fließt“ – etwa bergauf?? Oder von West nach Ost? Mit oder gegen die Uhrzeiger- Richtung? Um das zu verstehen, sollte jeder, der nur halbwegs gebildet erscheinen möchte, unbedingt einen Trip nach Sri Lanka buchen.

  3. Pingback: „Dahinter steckt immer ein kluger kopf“ | Schwerdtfegr (beta)

  4. Nun, letztlich kann man das Ganze im Interesse der ureigenen Psychohygiene nur von der humoristischen Seite nehmen. Denn sonst müsste man konstatieren, dass wir nicht im postfaktischen, sondern im Zeitalter des völligen Irrsinns angekommen sind.

    Wofür „postfaktisch“ zweifellos ein unangemessener Euphemismus wäre.

    Jedem Tierchen sein Pläsierchen und es mag in mancher, auch größeren, Redaktion Menschen geben, deren persönliche Gedankenwelten in seltsame Koordinatensysteme geraten sind. Nur stellt sich bei JournalistInnen, die ja eine öffentliche Verantwortung tragen, doch dringlich die Frage nach der Eignung für den Beruf, sollte dieser Irrwitz womöglich doch ernst gemeint sein.

    Nicht gerechnet die Frage, wie es dieses Stück über die Redaktion tatsächlich bis in den Print geschafft hat …

    Mystisch Umherirrende werden durch solch höheren Blödsinn weiter bestärkt, was mühsame Aufklärungarbeit im Handumdrehen konterkariert. DIeser Schaden wird auch nicht durch den Unterhaltungswert aufgehoben, den die Causa bei einigermaßen normal orientierten LeserInnen hervorruft.

    Deutlich gesagt: Solche Stücke aus dem Tollhaus haben Schadenpotenzial und sind umso unverantwortlicher, je größer die Reichweite der Publikation ist!

    Tatsächlich könnte man die „geomantischen Thesen“ schon mit reiner Logik widerlegen. Ich habe einmal gelesen – ich glaube, es war seinerzeit sogar beim Club of Rome – dass von Anbeginn des Homo sapiens an so viele Menschen gestorben seien, dass etwa 25 auf jeden Quadratmeter der Erdoberfläche kommen.

    Strahlen die alle ihre „Energie“ ab? wenn ja, wärs ja auch egal …

    Undsoweiter.

    Ich komme nun doch zu dem Schluss, dass sie Sache ernst gemeint gewesen sein muss. Einfach nur schlecht recherchiert, mit Geomantie macht man schließlich keine Scherze. Das wussten schon Gandalf und sein Kollege Radagast ganz genau.

  5. Ich wohne in einem Haus aus dem 12. Jahrhundert. Negative Schwingungen oder Ähnliches habe ich aber noch nicht erlebt.

  6. Wie der investigativ recherchierende Postillon titelt, gibt es auch nützliche Anwendungen:

    Witwer wendet sich an Medium, um seine verstorbene Frau zu fragen, wo seine Socken sind

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