Am 28. November, morgens um sechs Uhr, da haben sie ihn zum letzten Mal gesehen. Den Drachen. Feurig war er, flammend. An dem Haus von Dorothea Meermanns Tochter trieb er sich rum. Das sagten sie auch unter Eid, die Nachbarn, die wie viele andere Bürger von Bernau am 2. Dezember 1617 zur Ratsversammlung beordert wurden, um gegen Dorothea Meermann auszusagen.“
So beginnt ein Artikel zur heutigen Walpurgisnacht“, der bei Welt-Online erschienen ist.
Und weiter:
Dorothea Meermann gab nichts zu. Trotz Tortur. Weder gestand sie, dass sie das Getreide ihres Nachbarn verschimmeln ließ, noch die böse Absicht, die angeblich hinter dem Kuchen stand, den sie aus Blut und Haaren gebacken und einer Bernauerin geschenkt haben soll. Dorothea Meermann schwieg […]
Heute steht ihr Name auf einem Denkmal neben dem Henkershaus von Bernau. Es erinnert an 25 Frauen und drei Männer, die zwischen 1536 und 1658 wegen angeblicher Zauberei verfolgt, gequält und mitunter bei lebendigem Leib verbrannt wurden. Die Künstlerin Annelie Grund hat es geschaffen.
Sie war es auch, die die Bernauer Initiative zur Rehabilitierung der Opfer des Hexenwahns ins Leben gerufen hat.“
Die moralische und juristische Rehabilitierung von ehedem als „Hexen“ verurteilten Frauen ist auch Thema im aktuellen Skeptiker.
Holger von Rybinski sprach für die GWUP-Zeitschrift mit dem Saarbrücker Historiker Dr. Herbert Rätz:
Zahlreiche, meist private Initiativen fordern die öffentliche Rehabilitation von Frauen und Männern, die in früheren Jahrhunderten wegen Hexerei verurteilt und getötet wurden. Ergibt das nach so langer Zeit noch einen Sinn?
Rätz: Selbstverständlich. Es ist wohl wahr, dass die Zeiten der Hexenprozesse schon sehr lange vergangen sind, aber grundsätzlich hat jedes Justizopfer ein Recht auf Rehabilitation. Aber das muss auch eine tatsächliche Rehabilitation sein und nicht ein pflichtschuldigst dahingestammeltes Berufen auf die damaligen Zustände.
In der frühen Neuzeit bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, der Zeit der Hexenprozesse also, war die Tatsache, dass man nicht zaubern oder hexen kann, allseits bekannt. Dennoch wurden in Territorien mit schwachen Administrationen vor allem auf Wunsch der Bürger hin Menschen als Hexen verfolgt. In Gebieten mit starker Administration kam es hingegen nicht zu Verfolgungen.
Ein weiteres Indiz spricht für eine Rehabilitation der Opfer: Den Hexenprozessen lag als juristische Grundlage die „Carolina“, die Halsgerichtsordnung Kaiser Karls, zugrunde. In dieser wurde eindeutig festgelegt, dass die Folter nur ein Mal ausgeübt werden durfte. Kamen die Henker nicht zum gewünschten Geständnis, dann waren die Delinquenten freizulassen.
Das war aber nicht immer der Fall. Die Folterknechte behaupteten einfach, die Folter unterbrochen zu haben und folterten weiter, oft bis zum Tod der Beschuldigten. Daher ist heute prinzipiell zu prüfen, ob eine solche Rechtsbeugung vorgelegen hat, und in all diesen Fällen eindeutig von Justizmord zu sprechen.
Rechtmäßig verurteilt worden wären die Beschuldigten, wenn sie tatsächlich Magie ausgeübt hätten. Insofern sind die blödsinnigen Behauptungen moderner „Hexen“, dass sie über magische Kräfte verfügen, eine Verunglimpfung von Justizmordopfern, weil damit implizit behauptet wird, dass die Opfer rechtmäßig ermordet wurden.
Ich bin der Auffassung, dass solche Behauptungen aufgrund ihrer menschenverachtenden Tendenz mit Strafe belegt werden sollten.“
Ist es denn zeitgemäß, Menschen nach so langer Zeit zu rehabilitieren?
Ich erinnere mich, dass die katholische Kirche im Oktober 1992 den Astronomen Galileo Galilei rehabilitiert hat, allerdings mit dem Hinweis, die Richter der Inquisition hätten guten Gewissens gehandelt. Die allgemeine Reaktion kritischer Geister damals war, dass die Rehabilitation viel zu spät erfolgt sei.
Das Gleiche gilt für die Menschen, die als malefici, das war der mittellateinische Ausdruck für Hexen, frei übersetzt: als Übeltäter, verurteilt worden sind. Wichtig ist, dass eindeutig erklärt wird, dass die Beschuldigungen von Anfang an widerbesseres Wissen erfolgt sind und dass bereits zu Beginn der Verfolgungswellen, z. B. durch Erasmus von Rotterdam, das Hexereidelikt als Erfindung der Hexeninquisition gebrandmarkt wurde.“
Viele Entscheidungsträger – so auch Mitglieder des Düsseldorfer Stadtrates – argumentieren, dass sie gar nicht die Rechtsnachfolger der damaligen Richter seien. Sollten sie trotzdem öffentlich Stellung zu dem Thema beziehen?
Formaljuristisch stimmt das. Faktisch ist diese Behauptung jedoch dem routinemäßigen „Bin nicht zuständig“ eines subalternen Beamten gleichzusetzen.
Rechtsnachfolge kann aufgrund des langen Zeitraums und der wechselnden Obrigkeiten ausgeschlossen werden. Die Stadt Düsseldorf des Jahres 2011 ist zwar wesentlich größer als die Stadt Düsseldorf der frühen Neuzeit, aber das alte Territorium ist Teil des heutigen. Insofern ist die Stadt Düsseldorf zwar nicht Rechtsnachfolger, aber das gleiche Rechtssubjekt. Sie hat sehr wohl die Verpflichtung, sich zu Taten zu äußern, die in ihrem Namen veranlasst worden sind.
Abgesehen von der justiziablen Zuständigkeit hat ein jeder Bürger und ebenso eine jede Institution das Recht, einen Justizmord als Justizmord anzuprangern. Dazu bedarf es keiner Rechtsnachfolge.“
Was halten Sie von der Einschätzung eines Theologen in Bezug auf den Düsseldorfer Fall, nach damaliger Sicht seien die Frauen „nicht völlig unschuldig“, immerhin seien „beide verurteilten Frauen in abergläubische Praktiken und phytotherapeutisches Detailwissen involviert“ gewesen. Stimmt dieses Bild überhaupt, dass nur Menschen verurteilt wurden, die sich mit „abergläubischen Praktiken“ beschäftigten?
Wenn die Äußerungen so erfolgt sind, dann sind sie Unsinn.
Erstens: „Nach damaliger Sicht“ ist falsch, weil – der Fall ereignete sich im frühen 18. Jahrhundert – damals bereits aufgrund der Unhaltbarkeit der Vorwürfe das Ende der Hexenprozesse in Sicht stand.
Zweitens: Nicht völlig unschuldig bedeutet, dass die Angeklagten ihre Unschuld nachweisen sollten. Das meint ein Theologe des „aufgeklärten“ 21. Jahrhunderts. Halten wir ihm zugute, dass er kein Jurist ist, sonst müsste er wissen, das die Unschuldsvermutung In dubio pro reo Grundlage jeder Rechtsprechung ist und auch in der Carolina ausdrücklich verankert war. Aber ein Bürger eines demokratischen Staates sollte so viel über Rechtssicherheit wissen, dass er überhaupt nicht auf die Idee kommt, eine solche Formulierung zu verwenden.
Drittens: Der Vorwurf abergläubischer Praktiken gehört zu den Stereotypen, die in allen Hexenprozessen verwendet wurden. Sowohl die Stereotypen als auch die dabei gebräuchliche Sprache, das hat Christoph Daxelmüller überzeugend belegt, gehören nicht zum Inventar Unterpriviligierter, sondern entsprangen den pseudorationalen Wahnideen der verfolgenden Intellektuellen. Der Vorwurf entbehrt also jeder Grundlage.
Viertens: Mit dem „phytoterapeutischen Detailwissen“ wird durch die Hintertür die „Kräuterhexe“ esoterischer Provenienz eingeführt. Der Geschichtswissenschaft ist es nicht gelungen, einen nennenswerten Anteil an Hebammen oder Kräuterweiblein unter den Delinquenten nachzuweisen. Dennoch verkünden Partialgebildete im Brustton der Überzeugung, dass Kirchen und Medizin Hand in Hand an der Ausrottung alten und geheimen Wissens interessiert gewesen seien.
Fünftens: Eine große Zahl von Hexenbeschuldigungen beruht auf einem kleinbürgerlichen Normalverhalten, das im „Tausendjährigen Reich“ unter Blockwarten zu finden war, in moderner Sprache aber als Mobbing bezeichnet wird.
Summa summarum: Der Herr Theologe hat keine Ahnung, wovon er redet, aber das vertritt er eloquent. Hinter dieser Eloquenz kann er aber kaum verbergen, dass er unfähig ist, das Unrecht beim Namen zu nennen und erst recht unfähig, die Unschuld der Opfer anzuerkennen.“
Wie könnte eine zeitgemäße Aufarbeitung des Themas gestaltet werden?
Grundlage sollte zunächst eine absolut sichere Faktenbasis im Bereich der Schulbildung sein. Es geht nicht an, dass unbelegte Behauptungen – ähnlich wie beim Kreationismus – Teil der schulischen Grundbildung sein sollen.
Unabdingbar ist, dass Artikel 1 des Grundgesetzes endlich ernst genommen wird. Grundlage aller Bildung und allen öffentlichen Verhaltens muss eine menschenachtende Verhaltensweise sein. Jede Form von Menschenverachtung muss reflektiert und sanktioniert werden. Insofern hat jedes unschuldige Opfer einen Anspruch auf Rehabilitation, egal wie viel Wasser den Rhein mittlerweile runter geflossen ist.
Techniken der Konfliktverarbeitung und des geregelten Diskutierens sollten Teil der Allgemeinbildung werden. Das lässt sich z. B. hervorragend mit der von Georg Lind entwickelten Methode der KMDD (Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion) realisieren. Dazu wird weder ein hoher Finanz- noch ein großer Zeitaufwand benötigt.
Es reicht nicht, bei einem akuten Anlass nach Verbot der Demokratiefeinde zu schreien. Demokratie muss ebenso erlernt werden wie Zähneputzen.“
In Teilen Westafrikas werden nach wie vor Männer und Frauen als Hexen verfolgt. Könnte so etwas im Deutschland oder Europa des 21. Jahrhunderts auch heute wieder geschehen?
In Afrika werden Menschen aufgrund abergläubischer Ängste ermordet.
Das ist in Westeuropa nur bei pathologischen Sonderfällen möglich. Insofern können wir beruhigt sein. Was mir aber Sorge macht, sind die zunehmende Gewalt, das grassierende Mobbing, inklusive Cybermobbing, in den Schulen und die schnell voranschreitende Normierung menschlichen Verhaltens. Das führt bereits heute dazu, dass Menschen, die sich „auffällig“ benehmen, überwacht und ausgegrenzt werden. Ist dieser Schritt erst normalisiert, dann erfolgt bald die Dehumanisierung und Dämonisierung.
Die Resultate sind aus unserer Geschichte bekannt, obwohl die Normalbürger aller Zeiten sich vehement dagegen wehren, aus ihrer Geschichte zu lernen. Geschichte ist der alte Mist von gestern.“
Zum Weiterlesen:
- Walpurgisnacht und Hexen-Klischees, GWUP-Blog am 29. April 2010
- High mit Hexensalbe? GWUP-Blog am 28. April 2010
- Kinder, die als „verhext“ gelten, Straßenkinderreport im Januar 2011
- Im Tiefflug durchs Kühlregal, Skeptiker 1/2001
- „Teddybären-Okkultismus“: Interview mit Wolfgang Hund, Skeptiker 1/2001
- Hexen: Mythos und Realität, Deutschlandradio Kultur am 28. April 2012
- „Hexen“ bei 3SAT (mit GWUP-Beteiligung)
1. Mai 2012 um 18:58
Lieber Herr Harder,
das Theme hatten Sie doch schon vor einigen Wochen einmal. Halten Sie es für sinnvoll, wenn ich einmal versuche, darzulegen, welche Bekenntnisse abzulegen erforderlich ist, um für eine Rehabilitation argumentieren zu können?
Mit freundlichen Grüßen
Ano Nym
1. Mai 2012 um 19:08
@Ano Nym: Das können Sie gerne tun, sofern Sie bei der Sache bleiben und nicht bei der Person des Interviewten bzw. ihm keine Motive und Absichten unterstellen, die nicht im Entferntesten intendiert sind und die an der Grenze zur böswilligen Verleumdung changieren.
3. Mai 2012 um 11:27
@Bernd Harder: Sie zitieren Rätz mit den Worten: „Abgesehen von der justiziablen [gemeint ist die justizielle-A.N.] Zuständigkeit hat ein jeder Bürger und ebenso eine jede Institution das Recht, einen Justizmord als Justizmord anzuprangern. Dazu bedarf es keiner Rechtsnachfolge.“
Ich vermute Rätz meint mit Institutionen öffentlich-rechliche Körperschaften. Ob öffentliche-rechtliche Körperschaften rechtlich befugt sind, solche möglicherweise mit Rechtsfolgen belasteten Erklärungen quasi nach Inausgenscheinnahme des Sachverhaltes abzugeben, ist alles andere als klar. Immerhin könnte eine solche Erklärung als hoheitliches Handeln verstanden werden, welches in der Bundesrepublik bekanntlich an Recht und Gesetz gebunden ist. Für die Aufhebung von Rechtsakten in „abgeschlossenen“ Verfahren sind normalerweise die Gerichte zuständig.
Eine Erklärung, ein bestimmter Sachverhalt stelle einen Justizmord dar, ist auch nicht unproblematisch etwa im Hinblick auf das Andenken der am damaligen Verfahren Beteiligten (Richter, Folterknechte etc.). Es ist nicht ausgeschlossen, dass etwa ein Abkömmling eines Folterknechts durch die Justizmordbehauptung soetwas wie die Ehre des Familienmitglieds bzw. der Familie selbst beschädigt sieht. Es ist ja gerade intendiert die Justizmordbehauptung dahingehend auszulegen, dass den an der Verurteilung beteiligten Personen vorgeworfen werden soll, an einer Rechtsbeugung (§ 339 StGB) mitgewirkt zu haben. Da diese Rechtsbeugung aber mangels Urteil „nicht erweislich wahr“ ist, würde wohl auch der Tatbestand des § 186 StGB (Üble Nachrede) erfüllt.
Dem könnte man entgegenhalten, dass seinerzeit der Straftatbestand der Rechtsbeugung nicht existierte. Wenn das aber der Fall gewesen sein soll, welchen Sinn ergibt dann eine Aussage wie
„Daher ist heute prinzipiell zu prüfen, ob eine solche Rechtsbeugung vorgelegen hat“
Nach rechtsstaatlichen Grundsätzen ist nur zu prüfen, ob das zur Zeit der Tatbegehung geltende Recht verletzt worden ist.
3. Juni 2012 um 16:10
Bevor ich mit meinem realen Namen Stellung beziehe, zu den Einwänden Ano Nyms möchte ich zunächst etwas in eigener Sache klären. Ich habe nicht promoviert und mein korrekter Abschluss ist der Magister Artium.
Weiterhin ist mir die Formulierung „auf Wunsch der Bürger“ viel zu schwach geraten. Richtig wäre gewesen zu erläutern, dass die Verfolgungsbegehren der umwohnenden Bevölkerung sehr oft mit massiven Drohungen einhergingen, die bis hin zur Androhung von Gewaltakten gingen. Wohlgemerkt, nicht der Administration, sondern der „normalen“ Leute.
Im Blog ist die Rede vom „Hexenwahn“. Der Begriff kann allenfalls für das derzeitige Phänomen in Afrika verwendet werden. Die europäische Hexenverfolgung hatte dagegen einen vollständig anderen Charakter. Die Sprachuntersuchungen Christoph Daxelmüllers belegen eindeutig, dass der Zaubereidiskurs in der gebildeten Oberschicht entwickelt und in die „ungebildeten Schichten“ transferiert wurde. Walter Stephens benennt sogar konkret die Gelehrten, überwiegend der Renaissance, die in scheinbar rationalen Verfahren die Existenz von Hexen und deren Pakt mit dem Teufel belegen. Der wohl bekannteste Hexenpropagandist war der Universalgelehrte und Jurist Jean Bodin. Also: von Wahn kann man nicht reden, eher von einem Verblendungszusammenhang, der verhindert, dass des „Kaisers neue Kleider“ als solche erkannt werden können. Ein Thema also, dessen sich die Skeptiker im internationalen Maßstab annehmen.
Zur Erläuterung warum gerade in der Renaissance eine solche Scheinrationalität um sich greift soll der Hinweis auf zwei typische Zeiterscheinungen dienen. Erstens: Wir kennen heute noch das böse Wort vom finsteren Mittelalter und sehr viele Leute glauben daran. Faktum ist: Das Schlagwort wurde in der Renaissance erfunden, um die eigenen Positionen gegenüber der näheren Vergangenheit aufzuwerten, während gleichzeitig die Antike in fundamentalistischer Manier (ich bin mir des anachronistischen Ausdrucks bewusst) beschworen wurde. Das zweite Beispiel erläutert, warum ich von fundamentalistischer Manier rede: Zur Zeit der Renaissance wurden Abstammungskonstruktionen erfunden, die die Deutschen z.B-. von den (nicht existierenden) Thuata de Danaan ableiten, oder das deutsche Königtum auf einen Herrscher namens Mannus zurückgehe (Übrigens sind manche heutige Esoteriker noch von der Wahrheit jener Fälschungen überzeugt). Solche Beispiele sind zu jener Zeit massenhaft und nicht nur in Deutschland zu finden. Eine regelrechte Abstammungsmanie, die eine bessere, goldene Vergangenheit beschwört, um die verkommene Gegenwart als solche zu geißeln, gehörte damals zur alltäglichen Praxis.
Anders gesagt: Rationale und wahre Kriterien waren nicht unbedingt zur Zeit der Renaissance vonnöten, um ein „Faktum“ zu belegen. Der Bezug auf die Vergangenheit diente wie beim modernen Fundamentalismus dazu, die Legitimation für eine zu errichtende absolute Herrschaft zu schaffen. Es ist daher kein Zufall, dass gerade in der Renaissance der Boden für die Hexenverfolgungen bereitet wurde.
Kommen wir zu den Einwänden Ano Nyms. Ich habe Institution gesagt und damit allgemein jedwede Institution gemeint. Mir geht es nicht darum, dass ein bestimmtes konkretes Urteil aufgehoben wird, sondern darum, dass grundsätzlich jede Form der Hexenverfolgung als Rechtsakt ohne konkrete Basis abgewiesen wird. So ist auch für mich nicht wichtig, das Düsseldorfer Hexenurteil inhaltlich zu überprüfen, sondern das Urteil im Rahmen eines allgemeinen Konsens als nicht relevant zu erkennen. Zudem wäre die juristische Prüfung aller Hexenprozessen eine viel zu kostspielige Angelegenheit um praktikabel zu sein. Abgesehen von den Kosten haben wir auch nicht genügend Juristen, um alle Opfer gleichermaßen vor Gericht zu rehabilitieren.
Zunächst wäre zu klären, ob der Sachverhalt der Hexerei als Gegenstand eines Justizaktes überhaupt zulässig ist. Dazu müsste Hexerei zweifelsfrei konkret nachweisbar sein. Das war niemals der Fall, denn mit dem Hexereivorwurf entstand auch der Nachweis, dass die Behauptungen haltlos sind. Bekannt war auch, dass das Hexenstereotyp in Frankreich innerhalb einer Generation seit den 70er Jahren des 13. Jahrhunderts entstanden ist, um Missliebige aufgrund von dubiosen Anklagen verurteilen zu können. Erst mit dem Hexenhammer (1468) kommt eine neue Dimension in den Diskurs. Nun wird den Hexen die freie Einwilligung in den Pakt mit dem Satan unterstellt, während im gesamten Mittelalter die Kirche das Delikt der Zauberei zwar kennt, aber als Erfüllung des Willen Gottes nicht nennenswert ahndet.
War ursprünglich die Anrufung von Dämonen lediglich eine Sünde, so wurde daraus innerhalb relativ kurzer Zeit ein Pakt mit dem Teufel konstruiert, der als Ketzerei und damit als todeswürdiges Verbrechen galt. Au ch hier muß der zeitliche Zusammenhang berücksichtigt werden. Zwischen 1563 und 1604 stieg das Strafmaß für die gleiche Tat von einem Jahr Gefängnis auf Lebenslänglich bzw.Todesstrafe.
Es war also durchaus erkennbar und nachvollziehbar, dass der Hexereivorwurf nicht durch ein reales Verhalten aufrecht zu erhalten war, selbst dann nicht, wenn dubiose Praktiken und seltsame Rituale ausgeübt wurden. Entsprechend kam es auch nur in verschiedenen Territorien (z.B. Kurköln, Erzbistum Trier) zu nennenswerten Verfolgungen, während manche (z.B. Erzbistum Salzburg) überhaupt keine Verfolgungen verzeichneten. Im Fall der Stadt Düsseldorf, die zu Recht auf den Grafen Jan Wellem, während dessen frühen Regierungszeit keine Hexenverfolgung erfolgte, erst in seinen letzten Regierungsjahren sind wenige Fälle bekannt, stolz ist, wirkt der Unwille sich mit der Rehabilitation der zu Unrecht Hingerichteten zu befassen, befremdlich.
War die Hexenverfolgung also Justizmord oder war sie es nicht? Nun, wenn man die Existenz entsprechender Gesetze als Grundlage der Bewertung heranzieht, dann zweifelsfrei nicht. Allerdings könnten Nachfahren der Henker und ihrer Gehilfen dann aufgrund dieser Argumentation heute nicht auf Beschädigung der Familienehre klagen, denn ihre Vorfahren waren „rechtlose“ Leute, d. h. sie waren nicht ehrbar. Die beteiligten Juristen hingegen wären vollkommen geschützt. Um den Sachverhalt in einem modernen Zusammenhang zu erläutern: Der Mörder in Auschwitz, Josef Klär, wurde zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt. Die Stichwortgeber der nazistischen Ideologie, wie Jakob Wilhelm Hauer oder H.F.K. Günther hingegen kamen nahezu ungeschoren davon.
Bereits zu Zeiten der Hexenverfolgungen waren Vorstellungen von Magie und Zauberei ebenso, wie der Pakt mit dem Teufel und ihre Umsetzung in Rechtsform umstritten. Das äußerte sich sowohl darin, dass die Mehrzahl der deutschen Territorien keine bis wenige Verfolgungen kannte, dass keine kontinuierliche Verfolgung (auch nicht in den Territorien, die am stärksten in die Hexenverfolgung involviert waren) erfolgte, sondern Verfolgungswellen und dass die historische und juristische zeitgenössische Diskussion sehr kontrovers geführt wurde. Da die Unhaltbarkeit des Vorwurfs erkennbar war, gilt, dass der Verblendungszusammenhang nicht als Argument dienen kann, um die Beteiligten vom Schuldvorwurf zu exkulpieren. Sowenig es faktisch das Delikt der „Rassenschande“ gibt, sowenig kann es ein Delikt „Hexerei“ geben. Da besonders die Henker und ihre Gehilfen an den Prozessen verdient haben, ist das Merkmal des niedrigen Beweggrundes gegeben. Insofern ist also der Begriff Mord hier richtig angewandt.
Ebenfalls wurde unter Zeitgenossen heftig darüber diskutiert, ob eine angeblich unterbrochene Folter fortgeführt werden darf. Mehrheitlich sprach man sich dagegen aus. Es kam sogar vor, dass Folter und Hinrichtung beschleunigt durchgeführt wurden, um ein anstehendes Berufungsverfahren am Kammergericht, das gute Aussichten auf Erfolg versprach, auszuhebeln. Insofern ist der Sachverhalt, der heute als Rechtsbeugung gesehen wird, damals durchaus Gegenstand der juristischen Diskussion gewesen. Ob der heutige Begriff auf die damalige Rechtslage angewendet werden kann, ist folglich eine sekundäre Frage. Nicht sekundär hingegen ist der Umstand, dass sich Ano Nym um den Ruf der Täter und ihrer Nachfahren sorgt, dem guten Ruf der Opfer aber kein klares Wort gelten soll.
Was ist also zu tun, um der Sache gerecht zu werden? Da aufgrund der historischen Forschung der Konstruktionszusammenhang des Hexereivorwurfes bekannt und als Beliebigkeitsvorwurf (umgangssprachlich: Gummiparagraph) erkannt worden und in der gesamten Naturwissenschaft ein Sachverhalt der Hexerei bzw. Zauberei nicht nachweisbar ist, sollte eine sich für zuständig erklärende Bundesinstanz ( am liebsten wäre mir das Bundespräsidialamt) eine Grundsatzerklärung veröffentlichen, die diese Prozesse, die auf dem Territorium der heutigen Bundesrepublik stattgefunden haben, für von Anfang an ungültig erklärt. Zudem sollte die Zauberei- bzw. Hexereibehauptung unter Strafe gestellt werden, weil damit die Würde der Opfer (Hexen) erneut beschädigt wird.