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Verschwörungstheorien zu einem Thema von Kunst machen: der Komponist Moritz Eggert im neuen „Skeptiker“

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Mit „Die letzte Verschwörung“ hat der Komponist Moritz Eggert einen „schwindelerregenden Ritt durch die verrücktesten zeitgenössischen Verschwörungsmythen“ vorgelegt. Nach der Uraufführung am 25. März 2023 in Wien erfolgte die deutsche Erstaufführung am 19. Oktober 2024 in Augsburg.

Eggert gilt als einer „der vielseitigsten und interessantesten Komponisten der Gegenwart“. Sein Werkverzeichnis von knapp 300 Stücken enthält 19 abendfüllende Opern, mehrere Ballette sowie Arbeiten für Tanz- und Musiktheater, Orchestermusik, Kammer- und Ensemblemusik und vieles mehr, darunter auch die Musik für die Eröffnungszeremonie der Fußball-WM 2006 in Deutschland.

Für den Skeptiker (4/2024) sprachen wir mit ihm über Flatearther, Nena und modernes Musiktheater.

Moritz Eggert (Pressefoto: Astrid Ackermann)

GWUP: Sie haben sich schon zu Beginn der Coronakrise 2020 in ihrem Bad Blog of Musick sehr dezidiert zu „Virusverharmlosern“ wie Wodarg, Bhakdi und Hildmann geäußert, ebenso zu der „Dramaturgenschande“ Anselm Lenz, denen Sie „Falschpropaganda“ und „Dummheit“ vorwarfen. Man sieht förmlich vor seinem geistigen Auge, wie Sie sich gleich danach ans Klavier setzen und voller Furor eine Oper zum Thema Verschwörungstheorien komponieren.

Moritz Eggert: Schönes Bild – stimmt aber so nicht. Tatsächlich ist „Die letzte Verschwörung“ ein Kompositionsauftrag von der designierten Intendantin der Wiener Volksoper gewesen. Lotte de Beer stand 2021 kurz vor ihrem Amtsantritt und wünschte sich für ihre erste Uraufführung eine moderne Oper oder Operette.

Zeitlich korrelierte das zwar mit der Corona-Pandemie, aber die Inspiration war eine andere, nämlich die Netflix-Doku „Unter dem Tellerrand“ von 2018 über die Flat-Earther-Bewegung. Die hatten wir beide gesehen und Lotte de Beer fragte mich, ob mir dazu etwas einfiele. Bei einer Zugfahrt habe ich dann ein Exposé entworfen, das von der Flat-Earth-Theorie ausgeht und in dem im Handlungsverlauf immer mehr Verschwörungstheorien wahr werden.

Sogar im GWUP-Blog gibt es Kommentatoren, die darauf beharren, dass die Flat-Earther-Bewegung ein Satire-Projekt und gar nicht ernst gemeint sei.

Das ist falsch, ich kenne Menschen, die an die Flache Erde glauben – darunter sogar eine Stewardess, die es eigentlich besser wissen müsste.

Sie kann ab einer gewissen Höhe die Erdkrümmung doch mit eigenen Augen durchs Flugzeugfenster sehen.

Das ist wirklich erstaunlich. Sie erklärt sich das irgendwie damit, dass die Fenster einen Effekt wie ein Fischaugenobjektiv erzeugen würden. Dabei ist die junge Dame durchaus intelligent. Ihr Vater, ein studierter Mathematiker, verzweifelt an ihren Ansichten und streitet sich dauernd mit seiner Tochter. Aber man kommt da nicht weiter, keine Chance.

Ging es Ihnen als Musiker und Kulturschaffender während der Pandemie nicht ähnlich, etwa mit Kollegen wie dem besagten Anselm Lenz oder vielleicht auch Nena und Naidoo?

Ja, ich war schon ziemlich sauer auf die und auch enttäuscht. Das sind ja zum Teil Helden unserer Kindheit und auch Leute, die man persönlich kannte und in gewisser Weise bewunderte. Das fand ich ziemlich hart. Gleichzeitig war ich für jeden dankbar, der vernünftig geblieben ist.

Im Bad Blog of Musick habe ich einfach den Versuch unternommen, darüber aufzuklären, dass ich in dieser Pandemie keine Elitenverschwörung mit einer Agenda der Kulturvernichtung sehe.

Sie schrieben: „Man möchte Idioten wie Michael Wendler, Xavier Naidoo oder Attila Hildmann gerne schütteln und ihnen ins Gesicht brüllen: Es gibt keine Chemtrails! Es gibt keine jüdische Weltverschwörung! Es ist keine Fake-Pandemie!“ Trotzdem spielt das Thema Corona in Ihrem Stück „Die letzte Verschwörung“ keine Rolle, bis auf einen Halbsatz über Merkel und die Impfung.

Ich habe Verschwörungserzählungen über die Pandemie ausgeklammert, weil ich sicher war, dass wir alle von dem Thema genug haben. Es war zwar schon so, dass die Arbeit an „Die letzte Verschwörung“ für mich persönlich auch etwas Kathartisches hatte, weil ich mir den ganzen Corona-Frust ein wenig von der Seele schreiben konnte.

Und natürlich habe ich Brüche erlebt, auch im engsten Bekanntenkreis, ich kenne Kollegen, die so weit abgedriftet sind, dass sie ihre Karriere ruiniert haben. Das ist alles sehr traurig, aber ich möchte das Publikum nicht mit Problematiken langweilen, die uns bis hier stehen.

Stattdessen beginnt „Die Letzte Verschwörung“ mit einem Flacherde-Anhänger, der einen Talkmaster von seinem Glauben überzeugen will – so ähnlich wie es mal ein Anrufer bei „Domian“ versucht hat.

Ja, ich fand das einen guten Ausgangspunkt, weil die Flache Erde offenbar für viele der Einstieg in den Verschwörungsglauben ist. Das liegt wohl auch daran, dass es da so ein paar Taschenspielertricks gibt, die auf den ersten Blick recht überzeugend klingen.

Wollen Sie mit Ihrer Oper Verschwörungsgläubige zum Umdenken bringen?

Wir pflegen in Deutschland so ein wenig das Klischee, dass Kunst erziehen soll. Bei einer Podiumsdiskussion von Kulturschaffenden ist mal der Satz gefallen: „Wir wollen unser Publikum zu liberalem Denken erziehen.“ Das halte ich für hochproblematisch.

Wenn ich einen Stoff wie „Die letzte Verschwörung“ behandele, dann möchte ich, dass das Publikum sich am Ende sich seine eigenen Gedanken macht, zu eigene Antworten kommt – die will ich nicht vorgeben. Kunst ist für mich ein wilder Raum, wo Ideen und Probleme verhandelt werden. Wichtig war mir nur, Verschwörungstheorien zu einem Thema von Kunst zu machen, damit diese Auseinandersetzung stattfinden kann.

Kann man das Stück auch als Nicht-Opernkenner genießen?

Wenn man neugierig und offen ist, hat man sein Erlebnis, denke ich, auch ohne Opern kennen zu müssen. Gesellschaftliche Themen werden ja in allen Bereichen von Kunst und Kultur verhandelt – nur in der Sparte der zeitgenössischen Oper hat sich in letzter Zeit wenig getan.

Eher war es so, dass man alte Stoffe auf modern getrimmt hat, wie zum Beispiel „Der Freischütz“, der dann hinter einem Gaze-Vorhang gespielt wird, auf den Videos des Bühnengeschehens projiziert werden. Ich finde das viel gezwungener, als Autoren von heute neue Stücke schreiben zu lassen, die etwas mit unserer Zeit zu tun haben. Die relevant und authentisch sind.

Das zeichnet meines Erachtens „Die letzte Verschwörung“ aus.

Ist das Thema damit für Sie erledigt?

Ich glaube schon, dass ich eine grundsätzliche Affinität zu dieser Problematik habe. Das nächste Stück, das ich plane, soll eine Mystery-Oper werden, und danach möchte ich das aufgreifen, was in den USA passiert ist und auch weiterhin passiert, die Erstürmung des Capitols, der Kampf um die Demokratie.

Das sind verwandte Themen, insofern bleibe ich dran.

Das vollständige Interview mit Moritz Eggert sowie mit dem Tenor Wolfgang Schwaninger und dem Intendanten André Bücker gibt’s im Skeptiker 4/2024, der heute erschienen ist. Einzelhefte kann man hier bestellen.

Ein Artikel von Moritz Eggert zum Thema „Ambivalenz aushalten“ ist im aktuellen Dreiklang-Magazin (Nr. 13) der Oper Leipzig zu lesen.

„Die letzte Verschwörung“ wird am 28. Dezember 2024 und 6. April 2025 im martini-Park Augsburg aufgeführt. Karten gibt es hier.

Zum Weiterlesen:

  • „Die letzte Verschwörung“: Eine Oper zur Lage der Aufklärung feierte deutsche Erstaufführung, GWUP-Blog am 23. Oktober 2024
  • Verschwörungstheorien und KI haben in Augsburgs Theatern Hochkonjunktur – nur noch düstere Aussichten? augsburg-journal am 10. November 2024
  • Gespräch mit Moritz Eggert über seine Oper „Die letzte Verschwörung“, br-klassik am 16. Oktober 2024

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