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Keine Anklage gegen Michael Ballweg wegen Betrugs

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Das Landgericht Stuttgart will gegen „Querdenken“-Initiator Michael Ballweg nur wegen Steuerhinterziehung verhandeln. Was die gewichtigeren Vorwürfe angeht – gewerbsmäßig begangener versuchter Betrug in 9450 Fällen und Geldwäsche –, hat die 10. Große Wirtschaftsstrafkammer die Eröffnung eines Hauptverfahrens abgelehnt.

Beobachter sprechen von einer „Riesenüberraschung“ (Stuttgarter Zeitung) und einer „schweren Niederlage“ (Welt) für die Staatsanwaltschaft – die umgehend Beschwerde gegen den Beschluss einlegte.

Ballweg war bereits im April unter Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Ihm wurde unter anderem vorgeworfen, Spendengelder beziehungsweise „Schenkungen“ für private Zwecke verwendet zu haben und die insgesamt 9643 Zuwender darüber getäuscht zu haben, was mit dem Geld passiert.

Allerdings wiesen wir hier im Blog bereits im März darauf hin, dass völlig unklar sei, „wie das Ganze ausgeht“. Denn die entscheidende Frage war:

Hatten die Geber einen bestimmten Zweck im Sinn? Oder war es ihnen egal, wofür Ballweg das Geld ausgibt?

Schon im April verdichteten sich die Hinweise darauf, dass die meisten „Querdenken“-Anhänger Ballweg die Mittel wohl „zur freien Verwendung“ überließen.

Die Staatsanwaltschaft argumentierte trotzdem weiter damit, dass Ballweg Spendengelder auch auf andere Konten von ihm transferiert habe.

Genau das sieht das Landgericht Stuttgart aber nicht als problematisch an.

Welt+ hat heute Auszüge aus dem 56-seitigen Beschluss der Kammer dokumentiert. Darin heißt es:

Die Ermittler hätten verkannt,

… was „Querdenken“ eigentlich sei – nämlich eben keine „Organisation“ im juristischen Sinne mit eigenem Vermögen, sondern eine auf Ballweg ausgerichtete „Protestbewegung“. Dementsprechend habe Ballweg auch keine Pflicht getroffen, „Querdenken“-Gelder von seinem Privatvermögen getrennt zu halten.

Ballweg habe öffentlich auch schon gar nicht behauptet, dass er die Gelder ausschließlich für „Querdenken“-Zwecke einsetzen wolle.

Die Massen-Fragebögen, die die Staatsanwaltschaft verwendet hatte, um herauszufinden, mit welcher Intention die Spender das Geld überwiesen hatten, waren aus Sicht der Richter unbrauchbar, weil die Fragen schon nicht offen genug formuliert waren und die Ermittler auch keine individuellen Nachbefragungen mehr vorgenommen haben.

Im Gegenteil: Aus den Antworten der Schenker ergebe sich, dass viele nach eigener Internetrecherche und aus eigenem Antrieb heraus an Ballweg gespendet hätten – und nicht unbedingt auf einen Aufruf von Ballweg reagiert hätten. Somit könnten sie von ihm schon gar nicht getäuscht worden sein.

Dass die Staatsanwaltschaft einfach annehme, dass die Zahlungen, die sie nicht eindeutig „Querdenken“-Zwecken zuordnen konnte, „privatnütziger Natur“ gewesen sein müssen, halte das Gericht für rechtsstaatlich bedenklich.

Ballwegs Vermögen ist nun wieder entfroren, der Haftbefehl gegen ihn wurde aufgehoben.

Die Staatsanwaltschaft beruft sich in ihrer Beschwerde darauf, dass das Oberlandesgericht Stuttgart bei der Haftprüfung im April „das Fortbestehen eines dringenden Tatverdachts des versuchten Betrugs und der Geldwäsche bejaht“ habe.

Und dieses Oberlandesgericht muss nun über die Beschwerde entscheiden. Ballweg erklärte in einer Pressemitteilung, er habe „jeden Cent, den ich erhalten habe, für die Demokratiebewegung investiert“.

Zum Weiterlesen:

  • Warum es im Verfahren gegen Michael Ballweg zur überraschenden Wende kam, welt+ am 12. Oktober 2023
  • Staatsanwaltschaft wirft Michael Ballweg versuchten Betrug in mehr als 9000 Fällen vor, GWUP-Blog am 9. April 2023
  • Verfassungsbeschwerde gescheitert: Michael Ballweg bleibt in Untersuchungshaft, GWUP-Blog am 11. März 2023

9 Kommentare

  1. Man kann über die Staatsanwaltschaft nur den Kopf schütteln. Wenn seit mindestens einem halben Jahr bekannt ist, dass kein einziger der fast 10.000 Spender einen Vorwurf erhebt, noch nicht einmal auf explizite Nachfrage (Fragebögen), dann komme ich doch von alleine auf die Idee, die Sache (bzw. diesen Teil) fallenzulassen.

    Diese Hinkonstruiererei, nur um Recht zu behalten, ist wirklich unglaublich und eine Verschwendung von Steuergeldern.

  2. Ich würde behaupten, dass jemand, der hier Geld gibt und vielleicht möglicherweise die Verwendung argwöhnisch betrachtet, in keinem Fall das „System“ füttern würde, um dem Argwohn nachzugehen.

    Das wäre in einer Sekte auch nicht anders.

  3. Offenbar gab es trotz neun Monaten Untersuchungshaft nichts Justiziables.

  4. Das Landgericht Stuttgart hat die Anklage wegen Steuerhinterziehung gegen Michael Ballweg zugelassen. Das teilte das Gericht mit. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 48-Jährigen vor, er habe im Jahr 2020 zu versteuerndes Einkommen von über 700.000 Euro und zudem über eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mehr als 300.000 Euro erzielt – dieses Geld aber nicht versteuert.

    https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2023-10/querdenken-michael-ballweg-steuerhinterziehung-gericht

  5. Anwalt Jun:

    LG Stuttgart hat die Anklage der StA Stuttgart gegen Ballweg in Teilen nicht zugelassen. Wir erklären die Hintergründe.

    https://www.youtube.com/watch?v=cDK2D-SFGwE

  6. Nach einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft muss sich Ballweg nun doch wegen versuchten Betrugs in 9450 Fällen vor Gericht verantworten.

    https://www.zvw.de/mehr-nachrichten/deutschland/versuchter-betrug-querdenken-initiator-michael-ballweg-doch-angeklagt_arid-766321

  7. @Doris Köhler

    Danke für die Info. Das sind gute Nachrichten, dass das OLG zu einer anderen Enschätzung gekommen ist und die Entscheidung des LG revidierte.

    In der Leerdenkerblase werden sie jetzt mit hoher Sicherheit hyperventilieren.

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