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Kein Aprilscherz: Zwei Städte schalten nachts das WLAN ab – wegen „Elektrosensibilität“

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Klar, es müsste ganz dringend mal untersucht werden, wie diese vermaledeiten Windkrafträder den Luftdruck verändern:

Über diesen erlauchten Unsinn mag man noch schmunzeln oder einen verspäteten Aprilscherz dahinter vermuten.

Leider gibt es aber anscheinend Stadtoberhäupter und Gemeinderäte, die sich für keinen Kotau vor dem grassierenden Humbug zu schade sind:

Wie die schwaebische.de berichtet, schaltet die Stadt Wangen im Allgäu nachts das öffentliche WLAN ab. Grund seien die Strahlungsängste einer Bürgerinitiative, die davon ausgeht, dass Mobilfunk eine erhebliche Gesundheitsgefahr darstelle.

Mit der Stadt Ravensburg sei ebenfalls eine entsprechende Vereinbarung getroffen worden.

Die Bürgerinitiative „Verantwortungsvoller Mobilfunk“ argumentiert mit „zahlreichen Studien“, die belegen sollen, dass WLAN für alle Menschen schädlich sei, „insbesondere aber für Kinder, Säuglinge, ältere Menschen und an Elektrohypersensibilität Erkrankte“.

Das Magazin Quarks schrieb dazu:

Laut dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) bezeichnen sich etwa ein bis zwei Prozent der deutschen Bevölkerung als elektrosensibel. Als Krankheit wird die Hypersensibilität in Deutschland jedoch nicht eingestuft. Denn laut BfS und der Weltgesundheitsorganisation WHO konnte bislang nicht nachgewiesen werden, dass tatsächlich elektromagnetische Strahlung die Ursache für die Beschwerden ist.

Vielmehr spielten das Wissen um die Existenz der Felder, Besorgnis und Erwartungshaltung eine Rolle.

Auch das Portal medizin-transparent von Cochrane Österreich erklärt, dass die wenigen bisherigen Studien zu Elektrosensibilität eher darauf hindeuteten, dass nicht die Handymasten selbst die Gesundheit elektrosensibler Menschen beeinträchtigen.

Oder geht es den beiden Städten letztendlich um etwas ganz anderes, als Rationalität und Wissenschaft in der Bevölkerung zu untergraben?

Der SWR nennt jedenfalls noch zwei weitere Gründe, die eher auf ein starkes Eigeninteresse schließen lassen:

Außerdem will die Ravensburger Stadtverwaltung mit der Maßnahme Strom sparen. Zudem erhofft man sich den Effekt, dass sich bei abgeschaltetem nächtlichem WLAN weniger Menschen unter freiem Himmel treffen und Lärm machen.

Fatal wäre es allerdings trotzdem, das öffentlich als Ergebenheitsbekundung gegenüber äußerst fragwürdigen Ansinnen zu verkaufen.

Zum Weiterlesen:

  • Zwei oberschwäbische Städte gehen nachts offline, swr am 4. April 2023
  • „Elektrosensibel“: Warum die Bürger in zwei baden-württembergischen Städten kein WLAN mehr wollen, rnd am 4. April 2023
  • Video: Krank durch Bluetooth, WLAN & Handy? Biologische Wirkungen des Elektrosmogs, GWUP-Blog am 20. September 2016
  • Was ist dran an „Elektrosensibilität“? GWUP-Blog am 28. Mai 2017
  • Elektrohypersensibilität: Macht Strahlung krank? Das sagt die Foschung, quarks.de am 13. Juni 2019
  • Die Telekom errichtet einen Mobilfunkmast …, mimikama am 12. September 2022
  • 5G – Strahlung, Frequenzen und Verschwörungsgeschwurbel, GWUP-Blog am 15. April 2019

16 Kommentare

  1. WTF??? Das darf doch nicht wahr sein!

    Ich schäme mich für meinen Wohnort, dass sie auf solch ein pseudowissenschaftliches Geschwätz hereinfallen bzw. es als billige Entschuldigung zum Stromsparen aufnehmen.

  2. Ja, zumindest das letzte Ziel könnte vielleicht erreicht werden, immerhin können sich die Teenager und Heranwachsenden bei dem oft schlechten Mobilfunknetz hierzulande dann nur auf ihr eigenes Vertrags-Datenvolumen verlassen fürs Videogucken in der nächsten Bushaltestelle nächtens. Na, das wird sie aber Mores lehren!

    Welch eine Überraschung, dass diese Städte im querdenkerisch versumpften Süden liegen.

  3. Die einzige elektromagnetische Strahlung, die mich nachts echt stört, geht von ca. 385 – 789 THz. Da liegt WLAN allerdings nicht drin.

    Glücklicherweise haben viele Gemeinden da auch schon was getan, aber erst, nachdem Strom so teuer wurde und man auch CO2 einsparen wollte.

    Ernsthaft, ich fände die Abschaltung aus Gründen des Umweltschutzes und Energieverbrauchsreduktion deutlich besser nachzuvollziehen als zu sagen, dass ein paar Leute meinen, das WLAN könnte schädlich sein und es deshalb zu machen.

    Naja, Bayern halt. Da wundert mich echt nix mehr.

  4. @ Christian Becker:

    Ravensburg liegt in BaWü. Die Bayern waren wenigstens ehrlich, da weiß man, woran man ist.

  5. Wenn erst einmal der SWR wohlwollend über dieses Vorgehen berichtet haben wird (was er gewiss tun wird, wobei auch die unvermeidliche Heilpraktikerin irgendwann zu Wort kommen darf), dann sehe ich schon andere Gemeinden am Nachziehen.

  6. Wangen, Landkreis Ravensburg, liegt direkt an der Grenze zum bayerischen Allgäu. ;)

  7. Hinter der wilden Fürstin sieht man Palmen. Die heiße Luft, die sie produziert, sorgt für ein exotisches Ambiente.

  8. „Absurder Kulturkampf: Anti-Windkraft-Propaganda… mit Walen“:

    https://www.volksverpetzer.de/faktencheck/anti-windkraft-propaganda-walen/

  9. @ RPGNo1:

    Hast ja Recht, ich widerrufe und berichtige: Die Allgäuer waren ehrlicher als die Oberschwaben…

  10. Ich habe beiden Städten mitgeteilt dass die genau darum aus meiner Urlaubsplanung fallen.

    Für den Besuch des Ravensburger Spiellandes suche ich dann ausdrücklich eine Unterkunft mit 24×7 WLAN.

    Evtl. nachmachen?

  11. @Bernd Hader: Danke für den Link zu Spektrum. So etwas habe ich gesucht.

  12. @klauszwingenberger
    Peinlich. :(
    Nächstes mal gucke ich vorher im Atlas nach.

  13. Einknicken vor dem Nocebo-Effekt.

    Wir haben ein schweres Problem in der naturwissenschaftlichen Bildung, das offensichtlich bereits voll auf Verwaltung und Politik durchschlägt – was mich nicht verwundert, bei 1 Stunde Physik im Vergleich zu 6 Stunden Sprachunterricht pro Woche in der Sekundarstufe.

  14. @Doc Nemo:

    Dass der SWR das tut, sehe ich leider auch als realistische Chance, immerhin gab es dort auch mal völlig unreflektiert einen Bericht über eine Frau mit chronischen Schmerzen, für die die Ärzte keine offensichtliche Ursache fanden.

    Die Frau hat dann für sich beschlossen, dass sie an Elektrosensibilität leide und war an einen Ort gezogen, wo es kein Handynetz gab (ein einsames Haus außerhalb von allen Ortschaften).

    Dort ging es angeblich besser.

    Der Bericht war wie gesagt völlig unreflektiert. Statt den Stand der Wissenschaft entgegenzuhalten, wurde darauf verwiesen, dass es ja Länder gäbe, in denen die Elektrosensibilität als Krankheit anerkannt sei, nur im bösen Deutschland nicht. Und immerhin würde nun auch der Ehemann Symptome zeigen (würde ich an seiner Stelle auch…).

    Eine Beschwerde meinerseits brachte mir eine Antwort, dass die Aufklärung, wie ich sie forderte, nicht „in dieses spezielle Format“ passe, in dem Leute einfach aus ihrem Leben erzählen.

    Mit anderen Worten: Jeder kann hier jeden Blödsinn ohne Einordnung erzählen. Zum Kopfschütteln…

  15. @Retho

    Dass es der Frau in einem abgelegenen Haus besser ging, kann ja tatsächlich stimmen. Landluft und eine ruhigere Umgebung sind schließlich gesund. Was aber nichts daran ändert, dass Elektrosensibilität nicht existiert.

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