Verschwörungsmythos oder -erzählung oder -ideologie oder -narrativ?
Von dieser Debatte hält Andreas Edmüller wenig.
Mich stört, dass praktisch jeder, der etwas zum Thema Verschwörungstheorien schreibt, sich eigene Begriffe ausdenkt. Da blickt doch keiner mehr durch,
sagt der LMU-Dozent im Skeptiker-Interview:
Als Philosoph mit dem Hintergrund Logik/Wissenschaftstheorie lege ich sehr großen Wert auf klare Begrifflichkeiten. Gerade deswegen sehe ich keinen Grund dafür, „Verschwörungstheorie“ durch etwas anderes zu ersetzen.
Behalten wir doch den Begriff bei – und prüfen einfach fallweise nach, ob es sich um eine „gute“ oder „schlechte“ Theorie handelt, ob sie haltbar ist oder nicht. Oder ob es sich um eine Pseudotheorie handelt.
Dafür haben wir verschiedene Kriterien, die wir ziemlich erfolgreich in der Wissenschaft und auch im Alltag einsetzen.
Welche das sind, skizziert Edmüller in seinem Buch „Verschwörungsspinner oder seriöser Aufklärer? Wie man Verschwörungstheorien professionell analysiert“.
Im Gespräch mit unserer Zeitschrift gibt der Philosoph und HVD-Beirat eine Kurzanleitung:
In 30, 40 Minuten sollte man jede Verschwörungstheorie einer Prüfung unterziehen können: Haben wir es überhaupt mit einer Theorie zu tun? Und wenn ja, ist sie haltbar oder nicht haltbar?
Zur Qualitätseinschätzung tragen beispielsweise diese Fragen bei: Stagniert die Theorie oder kann sie immer neue Phänomene integrieren? Welche Hilfs- und Zusatzannahmen braucht die Theorie, um zu funktionieren? Wie passt sie zu anderen Erkenntnissen, mit denen wir seit langem gut arbeiten? Wie schneidet der Theorievorschlag im Vergleich mit anderen Theorien ab? Und ganz wichtig: Können wir mit dieser neuen Theorie erfolgreich arbeiten, hilft sie uns, die Welt besser zu verstehen? Liefert sie zutreffende Vorhersagen?
Daran scheitert zum Beispiel die Chemtrail-Theorie, denn sie würde unter anderem voraussetzen, dass die herkömmliche Meteorologie die Verschiedenheit von Gestalt, Länge und Lebensdauer der beobachteten Streifen am Himmel nicht erklären kann. Bei QAnon wiederum fehlt nicht nur eine sinnvolle theoretische Fragestellung, sondern auch ein verbindlicher theoretischer Kern.
Dieses Bündel an Kriterien hilft uns dabei, zwischen einer respektablen und einer nicht akzeptablen Verschwörungstheorie zu unterscheiden – und Pseudotheorien zu erkennen.
Geht das auch schneller als in 30, 40 Minuten?
Klar, zur Ersteinschätzung von Verschwörungstheorien können wir den gesunden Hausverstand, unsere Lebenserfahrung und Menschenkenntnis heranziehen. Wichtig ist, dass das nur ein Schnelltest ist – keine endgültige Festlegung, ob die Behauptung wahr oder falsch ist.
Im Kern geht es dabei um die Begründungslast. Denn wer uns von etwas überzeugen möchte, muss dafür gute Gründe anbieten. Und je unwahrscheinlicher das ist, wovon wir überzeugt werden sollen, desto stärker müssen diese Gründe sein.
Schnell misstrauisch werden können wir bereits dann, wenn die Verschwörungstheorie dem widerspricht, was ich die „Goldenen Regeln für Verschwörer“ nenne. Dazu gehört zum Beispiel, dass der Kreis der Verschwörer und Mitwisser so klein wie möglich gehalten werden und sehr schwer zu infiltrieren sein sollte.
Außerdem erfordert erfolgreiches Handeln von Verschwörern eine straffe Koordination und hohe Disziplin aller Beteiligten.
Im zweiten Band, der im Herbst erscheint, geht es dann um das Thema „Verschwörungstheorien als Waffe – Wie man die Tricks der Verschwörungsgauner durchschaut und abwehrt“.
Eine Projektseite (mit FAQ etc.) ist bereits online. Das Skeptiker-Interview ist auch hier und hier zu finden.
Zum Weiterlesen:
- Andreas Edmüller: Verschwörungsspinner oder seriöser Aufklärer? Wie man Verschwörungstheorien professionell analysiert. Re Di Roma-Verlag 2021, 320 Seiten, 14,95 €
- Der Verschwörungs-Check, Skeptiker 1/2022
- Seriös oder Unfug? Wie man Verschwörungstheorien checkt, BR am 22. Dezember 2022
- Rezension: Wie man Verschwörungstheorien professionell analysiert, hpd am 25. Januar 2022
- Interview mit Andreas Edmüller, awq.de am 22. Mai 2022
- Mythos, Erzählung, Ideologie? Oder nicht besser doch einfach „Verschwörungstheorie“? GWUP-Blog am 30. Dezember 2020
- Das Unbehagen an dem Begriff „Verschwörungstheorie“, GWUP-Blog am 15. November 2021