Profil zeichnet in einer Titelgeschichte die Historie der Impfgegner nach – von Immanuel Kant über Andreas Hofer bis hin zu den „Völkischen“, der Lebensreformbewegung und der Anthroposophie.
Der Artikel führt am Ende hin zu der Buchneuerscheinung
Die Medizin und ihre Feinde
von dem Journalisten Hebert Lackner und dem Mediziner Christoph Zielinski.
Kaiserin Maria Theresia und Johann Wolfgang Goethe waren für die Pockenimpfung, Immanuel Kant, Andreas Hofer und Karl Lueger agitierten dagegen. Hexenjäger, Naturheiler, NS-Mediziner: Der Journalist und Autor Herbert Lackner und der bekannte Onkologe Christoph Zielinski suchen die Wurzeln der heutigen Wissenschaftsgegner-Bewegung in der Geschichte und beschreiben ihre profunden Irrtümer.
Das Ergebnis ist die erste umfassende Darstellung eines Phänomens, das viele Fragen aufwirft:
- Warum marschieren plötzlich in ganz Europa Hippies mit Rasta-Locken in den Impfgegner-Demos Seite an Seite mit Rechtsradikalen?
- Was verbindet besorgte Mütter und abseitige Verschwörungstheoretiker?
- Warum vertrauen sie sonderbaren Wunderheilern mehr als der Wissenschaft?
- Und was ist aus der Sicht des Mediziners von ihren Argumenten zu halten?
„Die Medizin und ihre Feinde“ gibt die Antworten auf diese Fragen.
Der Kulturwissenschaftler Steffen Greiner fokussiert in seinem Buch
Die Diktatur der Wahrheit – Eine Zeitreise zu den ersten Querdenkern
auf frühe sozialanarchistische und antimodernistische Strömungen und vergleicht die heutigen „Querdenker“ mit den sogenannten Inflationsheiligen:
Das waren vor allem Männer mit einem quasi-religiösen Habitus, eine Art Wanderprediger, die in den 1920er-Jahren durchs Land zogen und wie die Querdenker heute ultimative Wahrheiten verkündeten. Auch damals ging es um Verschwörungsmythen, angebliche dunkle Machenschaften des Großkapitals, der politischen und gesellschaftliche Eliten. Einige dieser frühen Populisten waren regelrecht berühmt und hatten viele Anhänger,
erklärt Greiner in einem Gespräch mit Publik Forum.
Publik Forum: Waren die Inflationsheiligen also die Keimzelle der Querdenker?
Greiner: Es gibt mehrere historische Vorbilder. Sehr konkrete Parallelen sind erkennbar bei der Lebensreformbewegung, die Mitte des 19. Jahrhunderts als Reaktion auf die Industrialisierung und Urbanisierung entstand. Deren Vordenker propagierten ländliche Lebensformen und alternative Heilmethoden. Entsprechend waren sie auch strikte Impfgegner. Das ging bei vielen Strömungen der Bewegung einher mit dem Traum einer Wiedererweckung Deutschlands. Auch die Inflationsheiligen hatten diesen völkischen Impetus. Die meisten unterhielten enge Kontakte zur Reformbewegung.
Die sozialanarchischen Lebensreformgruppen waren Greiner zufolge der Nullpunkt für die Erweckung sowohl linksalternativer Bewegungen als auch der Nationalsozialisten.
Auch dieser historische Rückblick mag zum besseren Verständnis beitragen, warum heute „rechte Recken“, „tirilierende Esoterikerinnen“ und „Hippies mit Jutetaschen“ gemeinsam auf die Straße gehen, wie wiederum profil schreibt.
Zum Weiterlesen:
- Verschwörungsmythen: Der Stammbaum der Impfgegner, profil am 1. April 2022
- Andreas Hofer: Diese Schutzimpfung provozierte den bewaffneten Aufstand, Welt-Online am 19. März 2021
- Christoph Zielinski/Herbert Lackner: Die Medizin und ihre Feinde. Ueberreuther 2022, 184 Seiten 22 €
- Interview mit Steffen Greiner: „Ultimative Wahrheiten“, publik forum 5/2022
- Steffen Greiner: Die Diktatur der Wahrheit. Klett-Cotta 2022, 272 Seiten 20 €
- Esoterik, Impfskepsis, Demokratiekritik: Die lange Tradition des Querdenkens, Deutschlandfunk am 21. Februar 2022
- Mit der Impfung kamen die Schwurbler – Edward Jenner und die Impfgegner, Onkel Michael am 9. Mai 2019
- FAZ: Wie viel Homöopathie steckt in der Impfquote? GWUP-Blog am 14. März 2022
- ARTE-Doku: „Impfgegner – Wer profitiert von der Angst?“ GWUP-Blog am 15. Dezember 2021
- Impfpflicht aus historischer Sicht: „Sanktionen helfen nicht“, ndr am 28. Dezember 2021
- Malte Thießen: Immunisierte Gesellschaft. Impfen in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert. Vandenhoeck & Ruprecht 2017, 400 Seiten, 70 €
- Malte Thießen: Auf Abstand. Eine Gesellschaftgeschichte der Coronapandemie. Campus 2021, 222 Seiten, 24,95 €
4. April 2022 um 10:56
„Die Diktatur der Wahrheit“ habe ich mir kürzlich spontan gekauft und ziemlich verschlungen – hochspannend, ich kann es sehr empfehlen.