Vor vier Wochen haben wir auf das Buch
Wir lieben Wissenschaft – Mit einer wissenschaftlichen Grundhaltung gegen Betrug, Leugnung und Pseudowissenschaft
des Wissenschaftsphilosophen Lee McIntyre (Übersetzung von Alexa Waschkau) hingewiesen.
In den USA ist gerade ein weiteres Buch von ihm zum Thema Wissenschaftsleugnung erschienen:
How to Talk to a Science Denier – Conversations with Flat Earthers, Climate Deniers, and Others Who Defy Reason
Der Chefkorrespondent Wissenschaft der Welt, Norbert Lossau, hat mit McIntyre gesprochen.
Ein Auszug:
Welt: Wie definieren Sie einen Wissenschaftsleugner?
Lee McIntyre: Ein Wissenschaftsleugner lehnt nicht nur einen in der Wissenschaft bestehenden Konsens ab, sondern er ist zudem nicht bereit, sich von neuen Erkenntnissen oder einer überwältigenden Evidenz überzeugen zu lassen.
Bei vielen wissenschaftlichen Fragen gibt es keinen 100-prozentigen Konsens.
Richtig, und das öffnet den Raum für wissenschaftliche Diskussionen und neue Erkenntnisse. Skeptisch zu sein, ist ein Markenzeichen von Wissenschaftlern. Der Kern von Wissenschaftlichkeit ist jedoch die Bereitschaft, eigene Ansichten zu ändern, sobald neue Erkenntnisse und Evidenzen das nahelegen.
Genau diese Bereitschaft gibt es bei Wissenschaftsleugnern nicht. Sie sind ideologisch festgelegt und beziehen aus ihren Ansichten oft sogar ihre Identität.
Wie können Sie unterscheiden, ob ein Mensch offen für neue Argumente oder ideologisch festgelegt ist?
Indem man fragt, welche Evidenz es geben müsste, um die Meinung zu ändern. Wissenschaftsleugner antworten darauf in aller Regel erst gar nicht. Und falls doch, dann reichen ihnen die geforderten Fakten, wenn man sie präsentiert, ihnen dann doch nicht und es werden plötzlich andere Aspekte in den Vordergrund gestellt.
Der Besuch einer „Flat Earth Conference“ habe McIntyre die Augen dafür geöffnet, dass viele dieser Menschen „von ihren Überzeugungen Gequälte sind“, denen es weniger um die Sache gehe als um ihre Identität und das Erleben von Gemeinschaft mit Gleichgesinnten.
Welt: Sie bezeichnen in Ihrem Buch eine Studie der deutschen Wissenschaftler Cornelia Betsch und Philipp Schmid als bahnbrechend. Warum?
Die beiden haben in USA und Deutschland eine brillante Studie mit 1700 Personen durchgeführt. Sie konnten damit erstmals empirisch belegen, dass Wissenschaftsleugner allein durch technisches Hinterfragen von Mechanismen von Überzeugungen abgebracht werden können, also ohne inhaltlich über das Thema zu diskutieren.
Die Studie [PDF] ist von großer Bedeutung, weil sie zeigt, dass jeder von uns etwas gegen Wissenschaftsleugnung tun kann. Man muss dazu kein Experte sein oder einen Doktortitel haben. Es reicht, im Gespräch die Strategien der Wissenschaftsleugner zu hinterfragen.
Haben Sie selbst Wissenschaftsleugner überzeugen können?
Nein. Ich habe es auf der „Flat-Earth“-Konferenz versucht, doch es ist mir nicht gelungen. Zum einen ist das in einer so großen Gruppe von Gleichgesinnten besonders schwierig. Zum anderen bin ich dafür einfach zu ungeduldig.
Heute weiß ich, dass ich nicht genug Zeit investiert habe, um erfolgreich sein zu können.
Zum Weiterlesen:
- Verschwörungsmythen: „Jeder von uns kann etwas gegen Wissenschaftsleugnung tun“, Welt+ am 7. Oktober 2021
- Lee McIntyre: How to Talk to a Science Denier – Conversations with Flat Earthers, Climate Deniers, and Others Who Defy Reason. MIT Press 2021, 280 Seiten, $ 24,95
- Empathie, Konsens, Geschichten: US-Wissenschaftsphilosoph Lee McIntyre über den Umgang mit Corona-Leugnern, GWUP-Blog am 20. August 2020
- Buchtipp: Mit Wissenschaft gegen Betrug, Leugnung und Pseudowissenschaft, GWUP-Blog am 4. September 2021
- skeptisCH – Folge 75: „Flache Erde“ vom 4. April 2018
- Die Zerstörung der flachen Erde, hpd am 29. September 2020
- Christian Drosten über das PLURV-Prinzip der Desinformation, GWUP-Blog am 4. April 2021
- The Debunking Handbook auf Deutsch: „Widerlegen, aber richtig“ als kostenloses PDF, GWUP-Blog am 21. November 2021
11. Oktober 2021 um 21:39
„Es reicht, im Gespräch die Strategien der Wissenschaftsleugner zu hinterfragen“ und „es ist mir nicht gelungen“.
So richtig überzeugend klingt das nicht.
13. Oktober 2021 um 07:04
@Joseph Kuhn,
naja, er war auf einer „Flat Earth Conference“ und hat dort seine Strategie ausprobiert, vergleichbar damit, Gläubige während einer religiösen Versammlung vom Atheismus zu überzeugen, Erfolg unwahrscheinlich.