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Wieder „Querdenker“-Wirbel um den PCR-Test und den Ct-Wert

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Auf vielfachen Wunsch noch einige Infos zu der „Studie“ der Uni Duisburg-Essen (in Wahrheit ein „Letter to the Editor“), die am Sonntag hier im Kommentarbereich von einem „Querdenker“ gefeiert wurde.

In den Antworten wird eigentlich schon alles dazu gesagt.

Im Kern geht es um zwei Behauptungen (die beide nicht neu sind):

  1. Die Ergebnisse von PCR-Tests allein hätten eine zu geringe Aussagekraft, um damit Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung zu begründen.

Dass man für die Lagebeurteilung mehr als die Testpositiven braucht, ist unstrittig und seit langem werden in die Lagebeurteilung viele andere Aspekte einbezogen.

Aber für den Verwaltungsvollzug braucht man einen einfachen Marker. Vergleichen Sie es mit der Regel, dass innerorts nur 50 km gefahren werden dürfen, auch wenn die Verkehrssituation manchmal mehr zulässt und manchmal weniger.

Auf unsere Nachfrage hin präzisierte Kuhn:

Nach § 28 a und b IfSG löst das Überschreiten von Inzidenzschwellen bestimmte Maßnahmen aus. Das ist sinnvoll, um einen zwischen den Kreisen halbwegs vergleichbaren Verwaltungsvollzug zu gewährleisten, siehe den Vergleich mit der 50km-Geschwindigkeitsbegrenzung innerorts.

In der Konkretisierung spielen aber weitere Faktoren eine Rolle, und auch bei der Festlegung dieser Inzidenzschwellen standen weitere Faktoren im Hintergrund. Die politische Lagebeurteilung beruht auf einem ganzen Bündel von Merkmalen, von der Inzidenz bis hin zu den Krankenhausbetten oder den Impfquoten.

Das spiegelt sich in den RKI-Situationsberichten wieder, in denen ja bei weitem nicht nur Inzidenzen berichtet werden. Siehe außerdem auch das ControlCovid-Konzept des RKI. Auch auf Länderebene sieht es ähnlich aus.

Staatliche und kommunale Maßnahmen beschränken sich nicht auf Infektionsschutzmaßnahmen i.e.S., sondern umfassen ein sehr breites Spektrum, von Wirtschaftshilfen bis hin zum Einkauf von Schutzausrüstung. Das hat nur sehr indirekt mit Inzidenzwerten zu tun.

2. Der PCR-Test könne nicht zwischen „Infektion“ und „Infektiosität“ einer Testperson unterscheiden und erlaube daher keine Aussage über die Ansteckungsgefahr durch positiv getestete Personen. Dabei geht es um den den sogenannten Ct-Wert, der Auskunft darüber gibt, wie hoch die Viruslast in einer Patientenprobe ist.

Für den aktuellen Skeptiker (1/2021) sprachen wir darüber mit dem Biologen Dr. Hendrik Borucki vom Labordienstleister Bioscientia:

Skeptiker: Christian Drosten von der Berliner Charité hat zu Beginn der Corona-Pandemie eine SARS-CoV-2-PCR entwickelt, die von Verschwörungsgläubigen sogleich als „Drosten-PCR“ geschmäht wurde. Welche Rolle spielt dieser Test überhaupt für ein niedergelassenes medizinisches Großlabor wie das ihrige mit mehr als 10 000 Corona-Proben täglich?

Borucki: Keine. Herr Drosten hat als Leiter des nationalen Referenzzentrums das SARS-CoV-2-Virus frühzeitig sequenziert und eine PCR entwickelt, mit der die spezifischen RNA-Sequenzen des Virus nachgewiesen werden können. Die Hersteller von Testkits für niedergelassene Routinelabore, wie zum Beispiel Roche oder Thermo Fisher, orientierten sich zwar unter anderem daran, entwickelten aber ihre jeweils eigenen Nachweise.

Beispielsweise unterscheiden sich in den verschiedenen Testsystemen die Zielgene der SARS-CoV-2-PCR – aber alle Anbieter müssen ihre Testkits unabhängigen Leistungsbewertungen unterziehen. Medizinische Routinelabore verwenden diese Tests von kommerziellen Testherstellern, weil derart große Probemengen pro Tag nur auf entsprechend automatisierten Plattformen bewältigt werden können.

Eine „Drosten-PCR“ als konkretes Testkit gibt es nicht.

Die Kritikpunkte am PCR-Verfahren sind seit Beginn der Pandemie dieselben: Der Zyklus-Schwellenwert sei zu hoch, was dazu führe, dass viele Covid-19-Patienten registriert würden, die kaum noch ansteckend seien, der Test könne ohnehin nicht zwischen einer Infektion und Infektiosität unterscheiden, und überhaupt sei der Spielraum bei der Interpretation der Ergebnisse viel zu groß.

Da ist durchaus Richtiges dabei – allerdings nichts, was Empörung rechtfertigen könnte.

Erstens weist die PCR zuverlässig nach, dass sich ein Erreger in jüngster Vergangenheit im Organismus des getesteten Patienten vermehrt hat. Über das Ansteckungsrisiko, das vom Getesteten akut ausgeht, macht sie keine Aussage.

Zweitens wird die Viruslast in der Probe gemessen, nicht im Menschen. Bei einem nicht standardisierten Probenmaterial wie etwa einem Nasen-Rachen-Abstrich haben mögliche Entnahmefehler direkten Einfluss auf das Resultat. Auch deswegen sind Ct-Werte – also die Anzahl der Vervielfältigungszyklen für eine positive PCR – nicht so vergleichbar, wie wir das gerne hätten.

Diese Vervielfältigungszyklen, oder anders gesagt die Kopiervorgänge beziehungsweise Vermehrungsschritte der Virus-RNA in einer Patientenprobe, sind einer der entscheidenden Punkte. Bei Patientenproben mit viel Virusmaterial schlägt der PCR-Test meist schon nach 15 Zyklen an. Ab etwa 30 Zyklen findet sich in der Regel kaum noch ein vermehrungsfähiges Virus im Körper.

Kritiker werfen deshalb den Laboren vor, dass sie trotzdem weit über diese Zyklusschwelle von 30 hinausgehen und damit Corona-Fallzahlen schaffen, die praktisch keine Relevanz mehr hätten und nur die Inzidenz künstlich nach oben treiben würden.

Die Aussage „Bei Ct-Werten > 30 besteht kein Ansteckungsrisiko mehr“ ist problematisch, weil Ct-Werte über 30 ebenso aus der abnehmenden wie aus der zunehmenden Phase einer Covid-19-Infektion stammen können. Das ist mit der Messung im Labor, ohne weitere Informationen zu dem Patienten, nicht bestimmbar. Wir würden also fahrlässig handeln, wenn wir bei Ct-Werten > 30 unkommentiert „negativ“ befunden würden. Unsere Vollautomaten fahren zwischen 45 und 50 Zyklen, und bis zu einem Ct-Wert von 39 geben wir das Ergebnis als positiv heraus.

Denn, noch einmal: Ein hoher Ct-Wert kann am Ende des Infektionsverlaufs stehen und würde dann tatsächlich darauf hindeuten, dass der Patient kaum noch ansteckend ist. Ebenso gut kann ein solcher Wert aber den Beginn einer Covid-19-Infektion mit noch geringem Virenwachstum markieren.

Und alles ohnehin unter der Voraussetzung, dass der Rachen-Abstrich fachgerecht entnommen wurde, weil ansonsten die Viruslast in der Probe schon zum Beginn der PCR „falsch niedrig“ wäre.

Deshalb hat die Weltgesundheitsorganisation im Januar 2021 eine „Information Notice for IVD Users“ herausgegeben, in der empfohlen wird, einen zweiten Covid-19-Test durchzuführen, wenn nach vielen PCR-Zyklen ein schwach positives Ergebnis herauskommt und der Patient keine Symptome zeigt.

Verschwörungsideologen drehten auch dieses Paper wieder so, als würde die WHO vor der Unzuverlässigkeit von PCR-Tests warnen, obwohl das immer schon so gehandhabt wurde.

Laborbefunde gehen klassischerweise an einen Arzt, der diesen Befund einordnet in seine Kenntnis über klinische Symptome und Anamnese des Patienten. Das ist seit Jahrzehnten geübte Praxis, und selbst dabei findet immer wieder der Dialog unter den Arztkollegen statt, um Seltenes oder Besonderes richtig einzuordnen.

Der PCR-Test stammt aus den frühen 1980ern, und seit Jahrzehnten werden damit Infektionskrankheiten wie HIV und HCV diagnostiziert. Plötzlich, im Jahr 2020, treten Verschwörungsideologen und Corona-Leugner auf und kritisieren das Verfahren als extrem unzuverlässig und die Ergebnisse als reihenweise falsch. Hat Sie das überrascht?

Diese Art Zweifel ist mir neu und hat mich tatsächlich überrascht. Die PCR ist aus der infektiologischen Diagnostik nicht mehr wegzudenken, weil sie sehr empfindlich und ebenso spezifisch das genetische Material von Erregern findet und damit einen direkten Nachweis von Infektionen erbringt.

Bei manchen Erregern kann man diskutieren, ob für die jeweilige Fragestellung andere Methoden, etwa die Kultur – also die Vermehrung von Viren oder Bakterien durch Anzucht auf einer Platte – besser geeignet sind. Dabei wird aber nie die Tauglichkeit der PCR infrage gestellt.

Bei näherem Hinsehen zeigt sich zudem eine gewisse Diskrepanz zwischen der Pressemitteilung der Uni Duisburg-Essen und der Originalveröffentlichung mit dem Fazit:

Asymptomatic individuals with positive RT-PCR test results have higher Ct values and a lower probability of being infectious than symptomatic individuals with positive results.

Although Ct values have been shown to be inversely associated with viral load and infectivity, there is no international standardization across laboratories, rendering problematic the interpretation of RT-PCR tests when used as a tool for mass screening.

Das ist kaum mehr als eine Binsenweisheit, die alle Labore und Testauswerter wissen. Was die Medien, vor allem Bild und Welt, daraus gemacht haben, orientiert sich offenbar an der Pressemitteilung der Uni und an dem, was der Erstautor dafür an Zitaten geliefert hat, zum Beispiel:

Ergebnisse allein ungeeignet als Grundlage für Pandemie-Maßnahmen.

Das Problem mit dieser Behauptung ist, dass die PR-Leute der Universität offenbar von allen gruppierten Daten der Arbeit nur einen Einzelzeitraum mit der allerkleinsten Anzahl positiver Tests und den zugleich höchsten Ct-Werten herausgegriffen haben, um zu dieser Überschrift zu gelangen, was sich an diesem Satz zeigt:

In den Wochen 10 bis 19 waren es sogar 78 Prozent, die sehr wahrscheinlich nicht mehr ansteckend waren.

Tatsächlich aber liegt im Mittel aller Tests der Ct-Wert bei relativ niedrigen 26,6 – was völlig im Rahmen eines positiven Testergebnisses liegt. Erst Ct-Werte von >30 weisen auf eine niedrige, Ct-Werte > 35 auf eine sehr niedrige Virkuskonzentration in der Probe hin.

Weitere aktuelle Infos zum Thema gibt es hier:

Zum Weiterlesen:

  • Video: Gibt es gar keine Epidemie nach dem Infektionsschutzgesetz? GWUP-Blog am 26. November 2020

4 Kommentare

  1. Man kann es wirklich nicht mehr hören.

    All diese Herumreiterei auf unbestrittenen Details und die darauf folgende Umdeutung von einzelnen Aspekten eines Sachverhalts zu angeblichen allein maßgeblichen Kriterien (ein Unterschieben falscher Prämissen) zeigt doch immer wieder nur, dass diese Leute nicht imstande sind, einen einmal halbwegs verstandenen Begriff in einen größeren Kontext einzuordnen.

    Man nennt das Denken.

    Das ist im Grunde die gleiche Limitierung der Urteilsfähigkeit wie bei denjenigen, die für jede medizinische Intervention als Grundvoraussetzung sowohl hundertprozentige Wirksamkeit als auch hundertprozentige Sicherheit fordern.

    So nenne ich z.B. Herrn Arvay gerne schon mal einen „Hundertprozenter“.

  2. Die Publikation von Stang et al. ist ein „Letter to the editor“.

    Man müsste einmal schauen, ob solche Beiträge beim „Journal of Infection“ peer reviewed werden. Wenn nicht, könnte das manches erklären.

  3. Das passiert halt, wenn man nicht denken kann, sondern nur labern.Ich will nicht wissen, wie etwas ist, sondern ich weiß schon wie etwas ist und argumentiere und denke immer so, dass meine These unterstützt (motivated reasoning)wird und ich suche nach Bestätigung und ignoriere Fakten, die gegen meine These sprechen (Bestätigungstendenz). Oder ich will nur Empörung erzeugen und jage jede noch so dünne These durchs mediale Dorf, Hauptsache es regt sich jemand auf, oder meine Fanbase wird in ihrem Glauben gestärkt.

  4. Soweit ich mich noch erinnern kann, sagte Prof. Drosten in einen der ersten Podcasts, daß der CT-Wert auch „laborabhängig“ ist, da es auch von den Maschinen abhängt und auch vom Personal, wie genau die Proben analysiert werden.
    Auch hier thematisiert:

    …Daher kann die. CtAngabe abhängig vom Test und Labor variieren, aber der Schwellenwert hat immer dieselbe Bedeutung….

    https://ladr.de/sites/all/themes/cont/files/_02_pdfs/01_medizin/03_information/ladr-informiert/117154_LADR_Info_320_SARS-CoV-2_Ct-Wert_Web.pdf

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