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Video: „Die Wahrheit liegt nie in der Mitte“ – Terra X über Verschwörungstheorien

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Heute Abend lief bei „Terra X“ im ZDF die Folge

Ein Fall für Lesch & Steffens: Die Wahrheit über die Lüge

„Alternative Fakten“ haben Konjunktur. Die Wahrheit kommt dabei unter die Räder. Harald Lesch und Dirk Steffens verfolgen Verschwörungsideologien und entdecken immer die gleichen Muster.

Es geht um die Mondlandung, Flacherdler, Chemtrails, die Templer und Klimafaktenleugner.

Besser als die rund 45-minütige Sendung selbst ist ein Interview mit Dirk Steffens ausgerechnet bei Focus-Online.

Ein Auszug:

Steffens: Wir Journalisten machen oft einen großen Fehler: Wir bieten kruden Thesen zu viel Raum […] Oft laden Talkshows ja einen Menschen ein, der verrückte Thesen vertritt, und versuchen das dann durch einen seriösen Gast oder einen Experten wieder auszugleichen. Das ist dieses vom Politjournalismus angelernte Muster: Es gibt zwei Meinungen und als Journalist muss ich beide zu Wort kommen lassen. Dieses Modell ist in uns Journalisten ganz tief reingeätzt worden.

Der Klassiker: „Die Wahrheit liegt immer in der Mitte“.

Die Wahrheit liegt verdammt nochmal niemals in der Mitte!

Stellen Sie sich vor, in einer Talkshow ist ein Geowissenschaftler zu Gast, der sagt: „Die Erde ist eine Kugel“, und neben ihm sitzt ein Spinner, der sagt: „Die Erde ist eine Scheibe.“ In der Mitte zwischen diesen beiden Aussagen liegt nur eine andere Verrücktheit. Und das müssen wir sehr, sehr schnell lernen – insbesondere im Wissenschaftsjournalismus.

Die Wahrheit liegt nicht in der Mitte, sondern nur bei der Wahrheit. Und nirgendwo anders. Wir müssen aufhören, abseitigen Meinungen ein Forum einzuräumen, als seien die genauso ernstzunehmen wie große wissenschaftliche Erkenntnisse. Das ist ein ganz schlimmer Fehler, den wir da begangen haben.

In der Klimadebatte übrigens, die wir im Film auch behandeln, kann man wie im Lehrbuch ablesen, was falsch gelaufen ist. Bis vor wenigen Jahren haben wir zu dem Thema in allen Talkshows den Satz gehört: „Aber es gibt ja noch andere wissenschaftliche Meinungen.“

Nein! Hat es in relevantem Umfang niemals gegeben. Niemals! Und dann saßen wieder selbsternannte „Klimaskeptiker“ in großen Talkshows oder durften Zeitungsinterviews geben. Wir müssen als Journalisten in der Lage sein, Unsinn als solchen zu erkennen – und ihm dann auch keine Plattform geben.   

Eine beliebte Gegenposition hierzu lautet, dass man die Menschen auch mit abstrusen Positionen konfrontieren müsse. Und dass man solchen Unsinn nur auf der Bühne entlarven könne, mit der Macht des besseren Arguments.

Das ist grundnaiv. Ich bin 52 Jahre alt und seit 30 Jahren Journalist. Ich habe noch keinen einzigen Fall erlebt, in dem zum Beispiel ein Rassist durch Argumente davon überzeugt worden wäre, dass Rassismus keine gute Idee ist. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich habe das noch nie erlebt. Auch nicht bei Flacherdlern oder Corona-Skeptikern. Es ist naiv zu glauben, man müsse Verschwörungstheoretikern nur die richtigen Argumente an die Hand geben. Die kennen diese Argumente ja auch. Die sind im Internet, in Zeitungen und im Fernsehen für die genauso zugänglich wie für uns.

Der Punkt ist ja: Die wollen das nicht glauben. Und warum nicht? Weil sie den Quellen misstrauen. Das haben wir auch versucht, in unserem Film herauszustellen: Politik, Behörden, Wissenschaft, Medien – daraus setzt sich ja das System zusammen, das unsere Demokratie am Laufen hält.

Und da überschneiden sich die Denkmuster von Verschwörungstheoretikern mit denen von Rechtsextremen. Diese grundsätzliche Systemkritik: Wir wollen diesen Staat, diese freie, pluralistische Gesellschaft nicht, weil wir glauben, eine pauschale Antwort zu haben, die alles erklärt und alle Probleme löst. Und so kommt es dann eben auch, dass Öko-Hippies oder Menschen mit Migrationshintergrund auf diesen Corona-Demos neben Nazis mitlaufen. Und hier wird es dann auch gefährlich.

Natürlich ist es albern, was Attila Hildmann oder die sonstigen Aluhut-Träger so erzählen. Aber wir dürfen nie vergessen: Die größte Verschwörungstheorie von allen war die von der jüdischen Weltverschwörung. Und wir wissen alle in Deutschland, wozu das geführt hat. Wenn Sie glauben, dass alles gesteuert wird, dann muss es auch immer einen Verantwortlichen geben.

Antisemitismus ist ein typisches Merkmal von Verschwörungstheorien. Selbst ein alberner Aluhut-Träger trägt daher das Potenzial totalitärer Weltanschauungen in sich. 

In ähnlicher Form gibt es das Interview auch bei spektrum.de.

Zum Weiterlesen:

  • Unhaltbare Aussagen: Rezension zu Harald Leschs Buch „Die Menschheit schafft sich ab“, GWUP-Blog am 27. September 2017
  • skeptisCH – Folge 75: „Flache Erde“ vom 4. April 2018
  • „Terra X“-Moderator Dirk Steffens: „Die Wahrheit liegt nie in der Mitte, verdammt!“ Focus-Online am 18. Oktober 2020
  • Skeptiker“-Sonderheft zum Thema Verschwörungstheorien, GWUP-Blog am 18. August 2020
  • Klimafaktenleugner: Der Zweifel bleibt, Deutschlandfunk am 11. Oktober 2020

8 Kommentare

  1. Lesch mal beiseite – Hut ab vor Dirk Steffens, auch für seine schon vor kurzem erschienenen klaren Worte.

    Im Grunde zeigt er auf, dass der heutige Journalismus sich nach wie vor damit schwertut, die Veränderungen der gesellschaftlichen Realität durch das Medium Internet in Bezug auf die eigene Arbeitsweise zu rezipieren. Viel zu oft – wir sehen Beispiele hier ständig auf diesem Blog – ist die völlig verquere false balance – aka die Verwechslung oder Gleichsetzung von Meinungen und Fakten – immer noch so eine Art Grundprinzip. Nicht immer, nicht überall, sei angemerkt, ich könnte eine ganze Reihe löblicher Gegenbeispiele anführen. Aber doch – zu oft, zu viel.

    In Sachen Homöopathie beispielsweise fällt der aufmerksame Beobachter sozusagen im Wechsel in Ohnmacht und in einen Freudentaumel (mal leicht zu illustrativen Zwecken übertrieben).

    Neuland eben… nicht nur in technischer Hinsicht.

    Steffens konstatiert im Grunde einen gewaltigen Aufholbedarf gesellschaftlicher wie medialer Art.

    Eines fehlt mir in seiner Analyse:

    Die Notwendigkeit, bereits in den Schulen wissenschaftliches Denken, zu vermitteln, allem voran die schlichte Tatsache, dass und warum Wissenschaft eine Methode zur Erlangung halbwegs gesicherten Wissens ist (und keine Ideologie / Religion / Dogma), für die es nach derzeitigem Stand der Dinge keine Alternative gibt.

    Wäre dies in den letzten 30, 25 Jahren systematisch geschehen, würde uns heute so manche Dummschwätzerei und auch so manche unkritische Hörigkeit gegenüber Wahrheitspropheten erspart bleihen.

  2. ausgerechnet bei Focus-Online.

    Auch ein blindes Huhn trinkt mal ein Korn. ;)

    Scherz beiseite, das Interview ist gut, da Steffens auch nicht an Kritik an seiner eigenen Branche spart, Stichwort „falsche Ausgewogenheit“.

  3. Die Wahrheit in der Mitte, da fällt mir immer der hier ein

    https://xkcd.com/690/

  4. „ausgerechnet bei Focus-Online“ – das Interview fand ich auch gut.

    Und dann machte ich den Fehler, mir die Kommentare anzusehen (es ist wie ein Autounfall – man weiß, man sollte nicht hinsehen). Und jetzt habe ich Kopfweh. Vom Kopf-mit-Tischplatte-benutzen…

  5. @ Stefan R.

    Ich tröste mich in solchen Fällen damit, dass es in den Kommentarbereichen dieser Medien die meisten Vernünftigen schon lange aufgegeben haben, dort Land zu gewinnen. Daher ensteht der Eindruck, dass fast alle verrückt geworden sind, weil man dort fast nur mehr Wahnwichtel antrifft.

    Sie sind nicht die Mehrheit, sondern nur eine besonders laute Minderheit, die die anderen weggebrüllt hat. Die muss und wird man aushalten, auch wenn es manchmal schwerfällt.

  6. @Stefan R.

    Ich kenne zumindest zwei seriöse Online-Medien, deren Kommentarbereiche sehr oft bei mir die von dir beschriebenen Reaktionen auslösen: Welt und Focus Online.

    Nirgendwo anders versammeln sich soviel Dummheit, Borniertheit, Ignoranz, Gehässigkeit. Wie es trotzdem immer wieder einige wenige Personen schaffen und genug Geduld aufbringen, gegen den Chor dieser Brüllaffen mit Vernunft und Argumenten anzugehen, ist mir ein Rätsel.

    @RainerO

    Sie sind nicht die Mehrheit, sondern nur eine besonders laute Minderheit, die die anderen weggebrüllt hat. Die muss und wird man aushalten, auch wenn es manchmal schwerfällt.

    Ja, das muss man sich immer wieder in den Verstand rufen, auch wenn es schwer fällt.

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