Bei den „Geschenktipps für Skeptiker 2019“ ist es genauso vertreten wie bei den im Netz kursierenden „Geschenkideen für alle, die mal wieder zu spät dran sind“:
das neue Buch von Franzi von Kempis.
Im neuen Skeptiker (4/2019) gibt’s ein Interview mit der Autorin, die bei Youtube, Twitter und Facebook als „Besorgte Bürgerin“ unterwegs ist.
Ein Auszug:
GWUP: Sie twittern und youtuben unter dem ironisierenden Namen „Die besorgte Bürgerin“ – wie ist das zu verstehen?
Franzi von Kempis: Der Name war volle Absicht. Ich wollte damit ausdrücken, dass jede und jeder von uns sich Sorgen machen kann, als Bürgerin, als Bürger. Ich mache mir ja ebenfalls Gedanken über die liberale Demokratie in unserem Land, ob sie angegriffen oder unterwandert wird und finde, wir sollten das Label „Besorgte BürgerInnen“ nicht so leichtfertig aufgeben.
In Politik und Medien wird kontrovers darüber diskutiert, ob man die Ängste und Sorgen von „besorgten Bürgern“ ernst nehmen sollte. Oder ob nicht langsam „Schluss mit Verständnis“ für irrationale und extreme Positionen sein müsse. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Wir müssen und sollten klar gegen extreme Positionen Meinung beziehen. Ebenso wichtig: Widerspruch einlegen. Während wir viel über Meinungsfreiheit diskutieren und wer sich vielleicht wo und wie eingeschränkt fühlt, vergessen wir: Widerspruch ist auch Teil eben dieser Meinungsfreiheit.
Das Problem mit Leugnern des anthropogenen Klimawandels, Verschwörungsgläubigen, Impfverweigerern, Antisemiten et cetera scheint uns zu sein, dass es diesen Leuten gar nicht um Dialog und Argumente geht, sondern sie wollen ihre ablehnende Haltung gegenüber Staat, Wissenschaft, Medien und Politik zum Ausdruck zu bringen. Wie sinnvoll oder erfolgversprechend ist dann aber argumentativer Widerspruch, wie Sie ihn in Ihrem Buch skizzieren?
Widerspruch einzulegen ist keine ultimative Lösung. Aber: Wer widerspricht, tut sich ja selbst auch etwas Gutes. Ich bestätige meine Meinung, ich mache mir überhaupt erst mal klar, dass ich eine Meinung habe. Und ich trete für diese ein. Auch für andere. Das vergisst man ja so schnell: Widersprechen ist auch ein Eintreten für andere.
Allerdings sollte man sich immer überlegen, welches Ziel man mit der Eröffnung einer Diskussion bezweckt. Wen will ich erreichen? Mit welcher Absicht? Menschen mit geschlossenen Weltbildern erreicht man mit Fakten nicht. Aber da gibt es ja stille Mitlesende, Verwandte, Freunde, ein Umfeld mit Menschen, das man mit Fakten und Inhalten vielleicht noch erreichen kann, abholen kann.
Und sich selber mit Informationen und Fakten in ein Thema einzulesen, macht einen ja auch sicherer in einer Diskussion.
Haben Sie eine Strategie, die Sie empfehlen können? Wie würden Sie etwa die Bedeutung von Fakten und Emotionen in einer Diskussion gewichten?
Keine Diskussion funktioniert ohne Emotionen. Fakten alleine reichen nie – wie praktisch wäre das denn?
Für wichtig erachte ich, sich bewusst zu werden, an welchem Punkt die eigenen Emotionen immer wieder hochkochen. Sind das bestimmte Themen? Warum gerade die? Hört man dem Gegenüber bei diesen Themen eigentlich noch zu oder stürzt man sich sofort auf dessen erste Aussage, weil man den Rest der Diskussion im Kopf schon für sich durchgespielt hat?
Wichtig für mich ist: Welches Ziel verfolge ich mit der Diskussion, wen will ich erreichen, was will ich erreichen? Und wir vergessen ganz oft: durchatmen. Das Gegenüber ausreden lassen. Und vor allem: Erstmal zuhören. Wirklich zuhören. Und dann auf das Gesagte eingehen, ohne direkt Gegenargumente zu präsentieren. Nachfragen.
Und trotz aller strategischen Ansätze weiß ich auch: Das klappt nicht immer.
Übrigens: Auch ein Skeptiker-Abo kann man zu Weihnachten verschenken.
Zum Weiterlesen:
- „Dranbleiben. Auch wenn es ermüdet“: Interview mit Franzi von Kempis, Skeptiker 4/2019
- Neu erschienen: Eine Anleitung zum Widerspruch von der „Besorgten Bürgerin“, GWUP-Blog am 9. Oktober 2019
22. Dezember 2019 um 13:24
Zitat Artikel:
„Keine Diskussion funktioniert ohne Emotionen. Fakten alleine reichen nie…“
Genau so ist es, wir sind keine Vulkanier, die nur auf reiner Rationalität funktionieren, sondern Wesen mit Emotionen und leider sind die Emotionen auch meist mächtiger als die Vernunft.
Man spricht auch von einer „Hierarchie von Unten nach Oben“, geschichtlich ältere Hirnareale haben eine größere Macht als neuere. Ein Beispiel: Wenn wir erschrecken, erleben wir schon einen Adrenalinausstoß, noch bevor unser Großhirn die Situation analysiert hat.
Ich denke, die meisten Menschen urteilen mehr aus dem Bauch heraus, als aus reiner Vernunft.
Es sollte weniger „Cogito ergo sum“ heißen, sondern mehr „Sentio ergo sum“.
Daß die Menschheit nach reiner Vernunft urteilt, ist eine Utopie (oder auch Dystopie ;-))…nur eine Künstliche Intelligenz könnte das leisten, aber dann würden Ergebnisse herauskommen, die wir vielleicht als unmenschlich bezeichnen würden.
zb: https://www.zeit.de/digital/2018-10/autonomes-fahren-kuenstliche-intelligenz-moralisches-dilemma-unfall
23. Dezember 2019 um 15:45
Sie erreichen die Menschen am schnellsten über die Emotionen. Nehmen wir zum Bsp. die Künste oder die Religionen. „Fakten“ gibt es hier so gut wie keine, aber Gefühle. Menschen vergleichen ihre Erfahrungen/Erlebnisse mit neuen Erfahrungen. Diese Bewertungen erfolgen auch über Gefühle. Die Werbeindustrie macht es vor, wie man da vorgeht: Positive Gefühle werden mit einem bisher neutralen Produkt verbunden(konditioniert) und der Kunde bekommt von nun an die Illusion, wenn er daran glaubt, dass er dieses Produkt unbedingt besitzen muss. Fakten kann man schnell vergessen, Gefühle bleiben ewig.
23. Dezember 2019 um 21:19
Ach Ralf, das Autonome-moralische-Dilemma ist doch dermaßen ausgelutscht. Wie oft kommt denn sowas vor? Was dagegen passiert (z.B. letzte Woche bei mir vor der Haustüre): möglicherweise überforderter Rentner überfährt nachts auf der Bundesstraße in einem 60kmh-Bereich einen Fußgänger und haut ab, ohne sich um das Opfer zu kümmern. Die KI hätte schon den Unfall mit Leichtigkeit vermieden. Und Unfallflucht? Wohl kaum.