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Eine Analyse der Kritik am „Münsteraner Memorandum Heilpraktiker“

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Über das zum Teil unterirdische Argumentationsniveau von Heilpraktikern als Reaktion auf das „Münsteraner Memorandum“ (MMH) berichteten wir unter anderem hier und hier – und auch im Kommentarbereich finden sich zahlreiche Diskussions-Beispiele.

Dr. Jan-Ole Reichardt und Dr. Daniel Friedrich vom Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin der Universität Münster – beide Gründungsmitglieder des Münsteraner Kreises – haben kritische Kommentare der Heilpraktiker-Zunft zum MMH systematisch gesammelt, sortiert und ausgewertet.

In einem Beitrag für die Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen fassen Reichardt/Friedrich die Einwände in sieben Kategorien zusammen, zum Beispiel „Ad Hominem“, „Heilpraktiker-Vorzüge“ oder „Schwächen der wissenschaftsorientierten Medizin“.

Die Autoren stellen das argumentative Feedback indes nicht nur dar, sondern diskutieren es auch inhaltlich, etwa die Ad-hominem-Einwände bezüglich „finanzieller Eigeninteressen“ des Münsteraner Kreises sowie des Nicht-Einbezugs von Heilpraktikern:

In der Sache ist dazu zu sagen, dass die federführenden Hauptautoren weder direkte noch indirekte Verbindungen zur Pharmabranche unterhalten, keine wirtschaftlich selbständigen (Arzt-)Praxen betreiben und auch von potentiellen Marktanteilsverschiebungen zwischen den im Gesundheitswesen konkurrierenden Berufsgruppen nicht persönlich profitieren würden.

Darüber hinaus konstatieren auch alle Nebenautoren ihre Freiheit von monetären Partikularinteressen bei der Erstellung des MMHs – eine Interessen-Neutralität, die durch Einbindung von Heilpraktikern in den Autorenkreis gerade nicht hätte gewahrt werden können.

Die HP-Regulierung, die Gegenstand des MMHs ist, bedarf überdies keiner „Insiderinformationen“. Hier geht es um die allgemeine Sicherstellung von Patientendienlichkeit und -sicherheit innerhalb des Gesundheitssystems. Zur Erfassung und Evaluation dieser Fragen bieten sich externe Beobachter mit Expertise in Medizin, Recht, Ethik und Wissenschaftstheorie sogar vorrangig an.

Ziel dieser Analyse kritischer Stimmen sei es, „die im Memorandum entwickelten Positionen zu schärfen, gegebenenfalls weiterzuentwickeln und bestehenden Forschungsbedarf zu identifizieren“.

In ihrem Fazit weisen Reichardt/Friedrich ziseliert darauf hin, dass …

… die inhaltliche Positionierung und Argumentation zahlreicher Diskussionsteilnehmer […] den bestehenden Bedarf der Vermittlung wissenschaftlichen Denkens und Handelns verdeutlicht.

Zum Weiterlesen:

  • Münsteraner Memorandum Heilpraktiker – Analyse und Bewertung kritischer Kommentare, Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen, Volumes 137–138, November 2018
  • Bundestagsfraktion: Gesundheitsexperten der FDP wollen Heilpraktikerberuf abschaffen, MedWatch am 13. November 2018
  • Focus über Gefahren und Erfahrungsfundamentalismus der Heilpraktiker-Zunft, GWUP-Blog am 3. November 2018
  • „Heilpraktiker sollte kein anerkannter Beruf sein“, GWUP-Blog am 6. Oktober 2018
  • „Gefährliche Hybris“: Interview mit Dr. Christian Weymayr zum Heilpraktiker-Unwesen, GWUP-Blog am 24. Januar 2018
  • „Ekelhafte Lobbyistenaktivität“: Münsteraner Kreis zu den Heilpraktiker-Vorwürfen, GWUP-Blog am 22. August 2017
  • Verzweifelt gesucht: Argumente pro Heilpraktiker, Psiram am 4. September 2017
  • Von Freiheit und Wahrheit – noch einmal zur Heilpraktikerdiskussion, Die Erde ist keine Scheibe am 31. August 2017

6 Kommentare

  1. Elsevier = Paywall. Zur Struktur und Problematik des heutigen Publikationswesens gibt es übrigens einen hervorragenden Podcast bei Resonator: https://resonator-podcast.de/podlove/file/3853/s/feed/c/mp3/RES146_Das_wissenschaftliche_Publikationssystem.mp3

    Dass sich die Heilpraktiker gegen das Memorandum des Münsteraner Kreises und das zart aufkeimende politische Pflänzchen einer Abschaffung des Heilpraktikerwesens wehren, ist nachvollziehbar – schließlich stellt das für sie eine existentielle Bedrohung dar.

    Selbst wenn es zu einem Verbot mit Bestandsschutz für bereits praktizierende HP käme (aber wer glaubt schon an den Weihnachtsmann?), wäre das zumindest für die Heilpraktikerschulen der Todesstoß.

    Verständlich ist auch die Reaktion der Apotheken, die sich gegen die Abschaffung der Apothekenpflicht für Homöopathika wehren: hier will ihnen jemand ans bare Geld. Aber egal, ob es ums Geld oder um das Selbstverständnis geht – beides stellt psychologisch eine massive Kränkung dar.

    Viele HP und Alternativmediziner sind so total von der Richtigkeit ihrer Theorien überzeugt, dass sie jede Kritik als persönlichen Angriff empfinden – zumal ihnen jede Möglichkeit einer rationalen, wissenschaftsbasierten Argumentation fehlt. Strike fast and hard ist da eine nachvollziehbare Reaktion.

  2. @ Norbert Aust:

    Scheint ’ne sehr enge zeitliche Befristung gewesen zu sein, ich bekomme leider nur den Abstract zu sehen.

  3. @ noch’n Flo
    … oben auf den Button klicken „doenload pdf“

  4. @ Norbert Aust:

    Nope, funzt nicht. Bin ich für den Zugang vielleicht im falschen Land?

  5. Hier ist der richtige Link mit dem der Artikel vollständig einsehbar ist:
    https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1865921718301491?dgcid=author

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