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„Gefährliche Lügen“: Wird Deutschland zur letzten globalen Homöopathie-Bastion?

| 11 Kommentare

Die russische Akademie der Wissenschaft stuft (wie berichtet) Homöopathie als Pseudowissenschaft und Gesundheitsrisiko ein.

Auch andernorts hält die Kritik an der Nonsens-Methode unverwandt an.

Das australische Portal The Age schreibt von den „gefährlichen Lügen“ der Homöopathie:

theafe

Und der Deutschen Welle erklärt der Rheumatologe Prof. Hendrik Schulze-Koops vom Klinikum der Universität München:

Ich kann aus wissenschaftlichen Gründen die harte Position der Russischen Akademie der Wissenschaften gut verstehen.“

Ein Auszug:

DW: Wie kommt es, dass sich Homöopathie der wissenschaftlichen Methodik über die Jahrzehnte so gut entziehen konnte?

Schulze-Koops: Es sind historisch gewachsene Strukturen im Bereich der Medizin, die das weiterhin aufrecht erhalten – und wenn man ehrlich sein will: Gegen jedes bessere Wissen der Wissenschaft.

Auf der einen Seite haben wir in Deutschland eine unglaubliche Vielfalt verschiedener Möglichkeiten, sich zu entfalten. Das ist ein Liberalismus, der uns einerseits auszeichnet, andererseits aber manchmal auch Schwierigkeiten macht. Er ist Teil einer langfristig angelegten und geschützten Gesundheits-Strukturversorgung in Deutschland.

Dafür lässt er auch historische Argumente gelten, etwa nach dem Muster: ‚Die waren schon immer da, also können sie nicht schlecht sein.‘ Das ist zwar Quatsch, aber es gibt tatsächlich historisch gewachsene Strukturen und dadurch gegebene Einflussnahmen.“

Jüngster Beleg dafür: Die Null-Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin im BGM, Annette Widmann-Mauz (CDU), auf eine kritische Anfrage zu ihrer geplanten Schirmherrschaft beim Homöopathen-Kongress.

Arm.

Zum Weiterlesen:

  • Russland stuft Homöopathie als Pseudowissenschaft ein, Informationsnetzwerk Homöopathie
  • Sorry, alternative health people: feeling better after a therapy is no proof it works, Spectator Health am 8. Februar 2017
  • Homeopathy sells dangerous lies to patients, The Age am 8. Februar 2017
  • Medizinprofessor: Hätten Ärzte mehr Zeit für Patienten, wäre Homöopathie überflüssig, DW am 9. Februar 2017
  • Deutlich mehr Frauen als Männer haben schon einmal Therapien außerhalb der Schulmedizin angewendet, presseportal am 9. Februar 2017
  • Video: 100 Live-Fragen an Natalie Grams auf ZDF heute bei Facebook, GWUP-Blog am 7. Februar 2017
  • Video: „Homöopathie-Kritikerin Natalie Grams“ in der Landesschau Baden-Württemberg, GWUP-Blog am 6. Februar 2017
  • Gesundheits-Staatssekretärin als Homöopathen-Schirmherrin, GWUP-Blog am 9. Februar 2017
  • The ‘growing body’ of positive evidence for homeopathy… IN YOUR DREAMS !!! edzardernst am 11. Februar 2017
  • Placebo by proxy – was ist denn das? Informationsnetzwerk Homöopathie

11 Kommentare

  1. Es spricht nicht gerade für den Wissenschafts-Standort Deutschland, wenn solche pseudowissenschaftliche Mittelalter-Medizin sich so hartnäckig hält.

    Unsere Industrie ist stark in den absteigenden Ästen, wie Automobil und Maschinenbau – das digitale Zeitalter haben wir schon zur Hälfte verschlafen. In einer globalen Welt, kann man schnell von einem Gewinner zum Verlierer werden.

    Ein Land, in dem Einhörner gejagt werden, kann keine Zukunft haben.

  2. Sicher spielen historische Strukturen beim „Überleben“ vorwissenschaftlicher Methoden eine Rolle. In Bezug auf die Homöopathie wäre aber die Aussage von Prof. Schulze-Koops schon deutlich zu relativieren.

    Es wurde nach dem Krieg zwar weiterhin von Homöopathen herumtherapiert, aber im Großen und Ganzen war die Sache nach den vernichtenden Ergebnissen der Reichsgesundheitsamts-Untersuchungen 1936 bis 1939(Stichwort Donner-Report) erledigt. Der Nachkriegspräsident Rabe(mit dem Vorkriegspräsidenten identisch) des Zentralvereins weigerte sich kategorisch, irgendwelche Vorstöße zu unternehmen, die er hätte wieder „ausbaden“ müssen wie die „Blamagen“ 1936 – 1939.

    Es hätte alles den Gang der Erkenntnis weitergehen können. Bis mit der Stiftung des Ehepaars Carstens ein wirk- und finanzmächtiges Lobbyunternehmen auf den Plan trat. Excellent vorbereitet von Frau Carstens, die der Homöopathie ganz nebenbei das heute vorherrschende, völlig falsche Image einer blümchenunumwehten, sanften und schutzengelartig über dem Boden schwebenden „Naturheilkunde“ verpasste.

    Die Kooperation damit ließ sich der Zentralverein natürlich nicht entgehen, und so entstand im Zusammenwirken mit den Herstellern die heute in Deutschland so wirkmächtige propagandistische Lobby pro Homöopathie, die -sehr typisch- früh wieder damit anfing, der Methode nach Möglichkeit zu Ruhm und Ehre auf dem Felde der Wissenschaft zu verhelfen. Sprich, das scheinwissenschaftliche Mäntelchen dichter zu weben.

    Eine erste Krönung dieser Bemühungen war die Verankerung der Homöopathie im Binnenkonsens durch das Arzneimittelgesetz von 1976. Die letzte gesetzgeberische Glanzleistung war die Öffnung der Homöopathie für Satzungsleistungen in der GKV durch das 3. GKV-Versorgungsstrukturgesetz von 2012.

    Wie man sieht, ist das alles durchaus nicht so „historisch“. Es handelt sich um die wundersame Belebung einer eigentlich seit Rudolf Virchows Etablierung der Zellularpathologie (um 1850) wissenschaftlich mausetoten Uralthypothese.

    Ursache ist massive Lobbyarbeit in Verbindung mit einer Unwissenheit in der Gesundheitspolitik, die einen schaudern lässt. Verteidigt mit dem Pluralismus innerhalb der Selbstverwaltung des öffentlichen Gesundheitssystems. So wörtlich das Bundesgesundheitsministerium.

    Die russische Akademie der Wissenschaften deutet übrigens eine eigene These zu der erstaunlichen Frage an, weshalb die Homöopathie sich so lange etabliert halten konnte und kann: Sie habe bei jedem Versuch, sie endgültig in der Versenkung verschwinden zu lassen, immer wieder reklamiert, es gebe aber noch wissenschaftliche Fragen zu klären, wichtige Entdeckungen zu machen und dergleichen – und man hat sie dann wieder gewähren lassen.

    Exakt das ist die heutige Taktik, die sich auch wieder genau so in der Stellungnahme des Zentralvereins zum russischen Memorandum niederschlägt. Mehr Forschung! Nicht alles ist erklärbar in der Medizin! Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde…! Können Nobelpreisträger irren?

    Die RUS stellt nüchtern fest: Die Homöopathie hat nur eine „externe Szientabilität“ zu bieten, die unvereinbar außerhalb des konsistenten Systems wissenschaftlicher Erkenntnis steht. Darüber wissen wir genug. Das gibt uns das Recht, die Homöopathie als Pseudomedizin zu qualifizieren.

    Es braucht nur ein wenig Unvoreingenommenheit und Mut dazu.

  3. Man lässt ja auch die Parlamentarischen Staatssekretärin im BGM, Annette Widmann-Mauz gewähren, auf deren Facebook Seite habe ich eine kritische Meinung gelesen, auf der BGM überhaupt keine. Da ist der Zentralverein schon mutiger und cleverer…..

  4. Heute mit halbem Ohr in der Werbung irgendetwas von DAK und Homoöpathie gehört und tatsächlich auf deren Internetauftritt nachgeschaut:

    http://www.dak.de/dak/leistungen/Homoeopathie-1606746.html.

    Wie soll der Normalbürger die Homöopathie für das halten, was sie ist – Schwurbelmedizin -, wenn gesetzliche Krankenkassen einen Zuschuß für derartige Zuckerpillen versprechen?

    Ich bin pessimistisch, bei einer derartigen Einstellung der Krankenkassen wird es noch in Jahrzehnten Zuckerpillen geben. Im Zweifelsfall muss man halt immer noch einige wichtige Studien zur Wirksamkeit durchführen.

    Ich kann mich Ralfs Satz nur anschließen:
    >> Ein Land, in dem Einhörner gejagt werden, kann keine Zukunft haben.<<

  5. @ Gast:

    Ja, es ist erstaunlich ruhig um die Schirmherrschaft der Frau Staatssekretärin. Vielleicht auch ein Trump-Effekt, Empörungserschöpfung bei kleineren Absonderlichkeiten?

  6. Ich habe gestern auf Phoenix eine Reportage über die Rolle der Ehepartner der Bundespräsidenten gesehen.

    Dort wurde kurz, aber doch eindeutig auf die Rolle von Veronika Carstens eingegangen, dass Homöpathie im Bewusstsein der bundesdeutschen Gesellschaft durch die Gründung ihrer Stiftung erst so richtig etabliert wurde.

    Der Abschlusskommentar über Veronica Carstens lautet ungefähr, dass erst durch ihre Aktivitäten die Naturheilkunde (!) weitgehende Akzeptanz in der BRD erfahren hat. Im Porträt kam dazu dann noch eine unkommentierte Anekdote eines ehemaligen Mitarbeiters des Bundespräsidialamts, der sehr beeindruckt war, wie Frau Carstens einer Kollegin von ihm mittels Einsatzes einer Wünschelrute geholfen hat, die Ursachen ihrer gesundheitlichen Probleme „aufzudecken“.

    Mein Fazit: Mildred Scheel (Ärztin) hat sich mit Einrichtung der Deutschen Krebshilfe sehr verdient gemacht. Veronica Carstens (Ärztin) hat mit der Karl und Veronica Carstens-Stiftung der Medizin in Deutschland einen Bärendienst erwiesen. Es ist eigentlich unverständlich, dass die Frau trotzdem immer noch so verehrt wird.

  7. @ RPGNo1:

    Und dass über die Bemühungen von Frau Cartens der Aberglaube in die Medizin zurückkehrt, wurde damals auch schon kritisiert: http://www.zeit.de/1991/37/unter-falschem-etikett

    Aber Macht und Geld ebnen manche Wege.

  8. Ohne Frau Carstens wäre nicht nur die Homöopathielobby heute so stark in Deutschland, die Homöopathie hätte auch wohl nicht ihr sanftes Naturheilimage. Aus einem meiner Blogartikel:

    „Und dann trat wunderbarer- und unerwarteterweise Frau Dr. Veronica Carstens auf den Plan, damals Gattin des amtierenden Bundespräsidenten, und sammelte Sympathien für natürliche, sanfte Therapieverfahren, was ihr mit dem persönlichen Charisma und der Rolle der First Lady der Bundesrepublik nicht allzu schwer fiel. Eine völlig neue Taktik.

    Niemals zuvor war die Homöopathie derart als Naturmedizin und Gänseblümchentherapie propagiert worden als in der Ära von Frau Dr. Carstens. Jubel, Tränen und Freudenschreie überall. Enge Beziehungen zur Politik auch nach der Amtszeit von Carl Carstens waren natürlich auch nicht von Nachteil. Das Ehepaar Carstens hat sein Vermögen 1982 in die Carl und Veronika Carstens-Stiftung zur Förderung von Naturheilkunde und Homöopathie eingebracht, die inzwischen zusammen mit dem Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte und der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Homöopathie e.V. eine Lobbygemeinschaft von nie dagewesener Schlagkraft bildet.“

    Die x-te Wiederbelebung der seit etwa 1850 toten Homöopathie.

  9. @Habra: Es gibt einige Krankenkassen, die auf unerträgliche Weise nicht nur Werbung für Homöopathie machen, sondern auch regelrechte Heilungsversprechen propagieren. Die populärste darunter ist wohl derzeit die Knappschaft. Es laufen einige Beschwerden bei den Aufsichtsbehörden für die GKV. Illusionen mache ich mir allerdings nicht…

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