Prima Idee:
Mitten in der Diskussion um den „merkwürdigen Therapeuten“ (Süddeutsche), der mit Heilpraktikerschein und Pseudoverfahren den Ansbacher Selbstmordattentäter „behandelt“ hatte, bittet die Flüchtlingshilfe Solingen e.V. um Spenden für das Seminar einer Heilpraktikerin:
Kleiner Schönheitsfehler:
Die Dame ist keine Psychologin, sondern „Heilpraktikerin/Psychotherapie“ mit Weiterbildung in „energetischer Psychologie“. In dem Seminar, das sich an die ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer richtet, soll die „Trauma Buster Technique TBT nach Rehana Webster“ vermittelt werden. Dahinter verbirgt sich eine Kombination „aus Meridian-Klopfen und Formaten des NLP“.
Nun gibt es weder „Meridiane“ noch ist NLP in der akademischen Psychologie anerkannt. Psiram stuft die „Emotional Freedom Techniques“ daher als pseudowissenschaftliche Methoden ein.
Die „energetische Psychologie“ behauptet, dass man durch das Klopfen auf „Meridiane“ psychische Störungen beseitigen kann“,
schreibt der Psychologe Dr. Christoph Bördlein dazu im Skeptiker (2/2013):
Die bislang einzige placebokontrollierte Studie […] legt nahe, dass es sich bei den Erfolgen um reine Placebo-Effekte handelt […] Die Anhänger [geben an], sich mehr auf ihre Intuition zu verlassen, sie hatten mehr magische Vorstellungen im Bereich der Gesundheit und schnitten im Test zum kritischen Denken schlechter ab.“
Nichtsdestotrotz will die Flüchtlingshilfe Solingen ihre Mitarbeiter von einer „TBT-Practitioner, ausgebildet von Rehana Webster im April 2014“, für den Umgang mit psychisch belasteten Flüchtlingen trainieren lassen.
Honorarnote: 3300 Euro (2800 Euro soll das Kompaktseminar kosten, eine spätere Supervision wird mit 500 Euro veranschlagt).
Bislang ist bei der Spendenplattform Betterplace lediglich ein Prozent der Summe (von einem Spender) eingegangen.
Dass die Zurückhaltung gute Gründe hat, zeigt auch eine kontroverse Diskussion zu dem Spendenaufruf:
Traumatheraphie und Traumatherapeut sind nicht gesetzlich geschützt“,
warnte der Münchner Psychologie-Professor Willi Butollo nach Ansbach in der Süddeutschen Zeitung.
Fatal, wenn gutmeinende Flüchtlingsinitiativen in diesem hochsensiblen Bereich Heilpraktiker und andere Laien dilettieren lassen.
Zum Weiterlesen:
- Ansbacher Selbstmordattentat: Mit kleinem Heilpraktikerschein an Flüchtlingen rumdilettieren, GWUP-Blog am 1. August 2016
- Nach Todesfällen: Politiker fordern schärfere Gesetze für Heilpraktiker, GWUP-Blog am 17. August 2016
- Fast jeder Trottel kann Heilpraktiker werden, Ruhrbarone am 17. August 2016
- „Irgendwas mit Heilpraktikerin“: Pseudo-Promi drängt in die Pseudomedizin, GWUP-Blog am 16. August 2016
- Interview mit Anousch Mueller: Sollten wir uns den Besuch beim Heilpraktiker künftig sparen? GWUP-Blog am 1. Juli 2016
- Skeptiker-Interview mit Anousch Mueller, GWUP-Blog am 14. Juni 2016
- Von der Gutgläubigkeit hin zu Faktendenken: Anousch Müller über ihr Buch „Unheilpraktiker“, GWUP-Blog am 15. Mai 2016
- Klopf-Klopf und die Angst ist weg? Energiemeridiantechniken, Skeptiker 2/2013 (PDF)
21. August 2016 um 21:08
Leider gibt es viele Menschen, die sich zum Heiler berufen fühlen…mit gefährlichen medizinischen Achtelwissen trauen sie sich viel zu.
Man braucht nur mal im Bekanntenkreis „reinfühlen“, wie viele gutgemeinte Ratschläge da man bekommt…
Um auf den vorhergehenden Fall zurückzukommen. Es scheint nicht der Heilpraktiker „schuld“ gewesen zu sein, denn die Ermittlungen hatten einen klaren Kontakt zum IS nachgewiesen, deshalb hätte auch ein Facharzt hier wohl weniger machen können…
vielleicht hätte er aber früher die Anzeichen erkannt und die Behörden warnen können, wobei hier wieder das Arztgeheimnis greift.
22. August 2016 um 00:24
@Ralf:
<< vielleicht hätte er aber früher die Anzeichen erkannt und die Behörden warnen können, wobei hier wieder das Arztgeheimnis greift. << Nö: " Heilpraktiker gehören nicht zu den sogenannten Katalogberufen nach § 203 StGB (Verletzung von Privatgeheimnissen) und sind daher nicht an die Verschwiegenheitspflicht (juristischer Terminus für Schweigepflicht) gebunden. " Der Typ hat sogar nach der Tat überall Interviews gegeben und die Krankengeschichte des syrischen Flüchtlings breitgetreten. Da wusste er plötzlich ganz genau, warum das so kommen musste.
22. August 2016 um 15:08
Ich kann über das Vorgehen der Flüchtlingshilfe nur den Kopf schütteln.
Wenn sie ihren ehrenamtlichen Helfern ein Rüstzeug an die Hand geben wollen, wie diese sich in kritischen Situationen mit traumatisierten Flüchtlingen verhalten sollen und wie sie sich auch selber vor Belastungen schützen können, so ist das aller Ehren wert.
Aber das soll doch bitte durch professionlle Kräfte erfolgen und nicht durch eine geldgierige Schamanin.
22. August 2016 um 15:45
@ RPGNo1
„… und nicht durch eine geldgierige Schamanin.“
Beschämend – eigentlich ein Skandal, was da abgeht!
22. August 2016 um 16:08
Zitat
„Da wusste er plötzlich ganz genau, warum das so kommen musste.“
Dann könnte man ihm aber locker einen Hindsight bias bescheinigen
Oder doch etwas nur der Versuch sich einer imaginären Verantwortung zu entziehen oder zu verlagern. Er wäre besser beraten den Mund zu halten
Auf der anderen Seite tut er uns auch einen Gefallen. Exemplarische Präsentation der Szene, daraus kann man immer was machen. Mehr Geld fordert er auch, wofür eigentlich?
Sollte der Verein sich mal mit den richtigen Institutionen zusammentun.
Hat sich die Meridian-Klopfer-Tante selbst angeboten, wie kommt man den überhaupt auf so einen Unsinn?
Lt . Text. soll erkannt werden, wann ein Flüchtling tatsächlich zum Arzt muss … Und darin soll die HP einweisen?……Ach du Schande
Kriegt jeder Helfer einen Fleisch-Klopfer zur Perkussion?
Wir haben hier auch schon, mit Kollegen, Flüchtlingshelfer ausgebildet, ehrenamtlich am WE (Erste Hilfe und Sozial-Psychiatrisch)
So wird ein Schuh draus.
22. August 2016 um 16:25
Ein anderes Problem ist aber, dass viele Flüchtlinge auch ganz schnell „dichtmachen“, wenn man ihnen mit Psychotherapie kommt.
Ich betreue selber seit Februar ein neues Asylantenheim im Nachbardorf. Mindestens 3 meiner dortigen Patienten sind so stark kriegstraumatisiert, dass sie eigentlich dringend eine adäquate Traumatherapie benötigten – aber ich schaffe es einfach nicht, ihnen das klarzumachen.
Diese jungen Männer fressen lieber ihre Erlebnisse in sich rein, als sich einem Therapeuten zu öffnen.
Das ist nicht nur frustrierend, das macht mir auch gewaltig Sorgen.
22. August 2016 um 17:02
„Ein anderes Problem ist aber, dass viele Flüchtlinge auch ganz schnell “dichtmachen”, wenn man ihnen mit Psychotherapie kommt.“
Da stimme ich zu. Das kulturelle Selbstverständnis, vor allem bei Männern, ist da oft eine Hürde. Bei Frauen und Kindern kommen wir da leichter durch und haben bessere Erfolge
Vor fast 6 Jahren, als ich noch für einen sozial-psychiatrischen Dienst mit einer Schulaufsichtsbehörde gearbeitet habe, wurde ich sogar von den Eltern eines 9-jährigen Jungen aus Syrien bedroht, nachdem der auf dem Schulhof durchgedreht ist und Kinder verletzt hat und wir uns das mal anschauen sollten.
Sein Sohn ist normal, alle anderen sind verrückt.. na dann
Ist zwar OT, aber dennoch schreibe ich es mal:
Ein ähnliches Problem habe ich in der Arbeit mit Konsumenten von diversen Substanzen aus eben diesen Kulturen.
Schwierig zuzugeben, dass er ein Problem im Umgang mit Alkohol hat, den er gar nicht trinken dürfte. Infolgedessen er aber Straftaten begeht
Die Vorteile eines §64 nutzen wollen, um zuerst dem Strafvollzug zu entgehen, oder gegebenenfalls abzukürzen, aber dann weigern mitzu- machen
Gibt es so etwas in der Schweiz auch? Bin da aktuell nicht im Bilde
Alles nicht so einfach.
Und dann sollen HP-Schamanen regeln.
Macht mir auch Sorgen
22. August 2016 um 17:55
@ Lanzelot:
„Gibt es so etwas in der Schweiz auch?“
Meinst Du einen Fall, wie den von Dir geschilderten? Keine Ahnung, mir ist sowas bislang jedenfalls noch nicht untergekommen.
23. August 2016 um 08:46
@noch’Flo
In Deutschland gibt es den Maßregelvollzug und ein Täter kann auch in einer Einrichtung eingewiesen werden in der er therapiert wird.
Das Gericht legt die Reihenfolge der Vollstreckung fest,
Dort herrschen andere Rahmenbedingungen als im normalen Strafvollzug, etwas „entspannter“, diverse Programme, Therapie.
Und es besteht die Möglichkeit, bei entsprechendem Erfolg, dass der
Rest der Strafe auf Bewährung ausgesetzt wird.
Bzw. es kann sogar von vornherein Bewährung gewährt werden, bei entsprechender Prognose und Bereitschaft (§67b)
In dem Fall war dass so, aber das war wohl eher Prozess-taktischen Gründen geschuldet, danach sah es anders dann aus
Formal kein Problem, dann geht der Täter später in den normalen Vollzug, fertig.
Löst aber eben nicht das eigentliche Problem
Die Prognose ist dann sehr schlecht und weitere Straftaten sind zu erwarten
Es geht nicht nur um den Täter, auch um zukünftige mögliche Opfer
23. August 2016 um 16:59
@ Lanzelot:
Klar, sowas gibt es hierzulande auch.
28. Februar 2018 um 14:03
Die wollen es einfach nicht verstehen:
„Egal wo wir vorsprachen, ob beim Gesundheitsamt, der Krankenkasse oder auch öffentlich hier auf dieser Seite, niemand zeigte sich bereit, das Thema einmal sachlich aufzugreifen und uns bei einer notwendigen Evaluierung zu unterstützen. Wenn doch nachweislich die traumatisierten Menschen bereits nach einer oder zwei Sitzungen endlich wieder schlafen können, sollten sich dies nicht auch einmal die Profi‘s wenigstens ansehen? “
https://www.facebook.com/fluechtlingshilfe.solingen/posts/1917807821842965