Im Dezember haben acht Pharmazieprofessoren ihre Sorge um das deutsche Apothekenwesen geäußert – insbesondere was den Verkauf von Produkten angeht, für die es „keinen wissenschaftlich belegten Wirksamkeitsnachweis gibt“.
Möglicherweise macht ihr Beispiel weltweit Schule, denn im Medical Journal of Australia ist jetzt ein Plädoyer des Apothekers Ian Carr erschienen, Apotheken nicht zu einem Supermarkt für höchst dubiose „Heilmittel“ verkommen zu lassen.
In seinem Artikel „Trügerische Homöopathie“ zieht Carr das Fazit:
Apotheker sollten sich an die Spitze der wissenschaftsbasierten Medizin setzen, denn wir haben die Fachkompetenz, um unsere Kunden qualifiziert zu beraten, damit sie eine informierte Entscheidung für sich und ihre Gesundheit treffen können.
Ich fordere meine Kolleginnen und Kollegen auf, nicht länger bei den „dunklen Künsten“ wie Homöopathie und ähnliches zu verweilen.
Patienten aufrichtig gegenüberzutreten und sie auf der Grundlage der besten medizinischen Evidenz zu behandeln, sollte unser erklärtes Ziel sein!„
Ian Carr ist Mitglied der australischen Gesellschaft „Friends of Science in Medicine“.
Im April hatten australische Wissenschaftler eine umfangreiche Studie veröffentlicht, dass Globuli bei einer ganzen Palette häufiger Krankheiten nicht besser wirken als Placebos.
Zum Weiterlesen:
- Ian Carr: Peddling homeopathy, MJA am 10. Juni 2014
- Pharmazieprofessoren protestieren gegen Unwissenschaftlichkeit im Apothekenwesen, Ratgeber-News-Blog am 14. Dezember 2013
- Große Homöopathie-Studie: Hilft weder gegen Migräne noch gegen Asthma, FAZ am 9. April 2014
- Schwachfug aus der Apotheke, GWUP-Blog am 15. Dezember 2013
- Skepkon 2013: Globuli und Pharmazie – eine Liebesgeschichte? GWUP-Blog am 19. Mai 2013
- “Homöopathie in der Pharmazie” von Claudia Graneis (Teil 1), BlooDNAcid am 8. Oktober 2012
- “Homöopathie in der Pharmazie” von Claudia Graneis (Teil 2), BlooDNAcid am 5. November 2012
- Zauberzucker aus der Apotheke, GWUP-Blog am 23. November 2012
- Kommt eine Frau in die Apotheke, Frischer Wind am 17. Juni 2014
19. Juni 2014 um 00:32
Alles gut und schön und dieser Meinung bin ich auch, aber, die Apotheken müssen auch wirtschaftlich handeln – besonders, seit es günstige Alternativen (rezeptfreier Medikamente) im Netz gibt.
Gibt es eigentlich eine Apotheke in D, die keine Homöopathika verkauft?
Natürlich gibt es die „Ausrede“, daß man ein Angebot aufrechterhalten muß, daß der Kunde wünscht (ich glaube so ähnlich drückte sich hier mal ein Apotheker aus)
Gut, dann gibt es also nur die Möglichkeit, daß die Politik etwas verändert…also „Sturm auf die Bastille“ ;-)
19. Juni 2014 um 01:24
Ich will das Thema mal nutzen eine Frage zu stellen, die sich mir schon lange stellt.
Dazu muss ich aber etwas ausholen: Der Placebo-Effekt ist an sich nicht schlecht; ich denke da sind wir einer Meinung.
Schlecht ist, wenn das Mittel zum Zweck gemacht wird und 1. falsche Behauptungen verbreitet werden (egal bewusst oder unbewusst) UND 2. damit Geld verdient wird.
Der positive Effekt fördert jedoch wenigstens das subjektive Wohlbefinden, kann die Kassen des Gesundheitssystems schonen und außerdem: wo keine Wirkstoffe da auch keine (möglichen) Nebenwirkungen.
Der Placebo-Effekt ist für mein Verständnis etwas äußerst Nützliches, das man durchaus von praktizierender Seite aus nutzen sollte (bspw. angefangen bei der implizierten „positiven“ Diagnose durch den Arzt, welche im Vergleich nachweislich bessere Ergebnisse in der Folgetherapie erzielt).
Da ich aber stark für die Aufklärung bin, stellt sich mir die Frage: Wie, ohne jemanden einen Bären aufzubinden?
Dass Viele mit Homöopathie gut auskommen -zumindest bei „Kleinigkeiten“; und NUR davon rede ich hier(!)-, ist für mich ein Hinweis, dass es nicht immer nötig ist Arzneimittel zu nehmen; eine breite Bevölkerung kann sich ganz offensichtlich ohne Wirkstoff bzw. nur mit Placebo „kurieren“.
Ich habe daher ein Problem damit, dass ich oft von Homöopathie-kritischer Seite die Aussage lese: ‚Homöopathie? Nehm lieber etwas mit belegter Wirkung‘, sprich einen Wirkstoff. Aber es geht doch offensichtlich auch ohne. Was essentiell für eine derartige Wirkung zu sein scheint, ist das Ritual: Gang zum Arzt, Heilpraktiker oder Apotheke und/oder letztlich die Einnahme von etwas vermeintlich „Heilsamen“.
Allein aus einer Erkenntnis heraus und einem dadurch resultierendem Unterlassen einer Placeboeinnahme entsteht sicherlich kein positiver Effekt (Der Spektiker, der bei Schnupfen Zucker nimmt?). Ich habe von einer Studie gelesen, die zwar belegt, dass Placebos auch „wirken“, wenn den Probanden bekannt ist, dass es sich um Placebos handelt. Aber das ist nicht wirklich gesellschaftsfähig, oder?
Macht es Sinn Placebos offiziell und offen anzubieten? Vorteil #1 läge auf der Hand: Der geringere Kostenfaktor v.a. durch den reinen Materialwert exklusive dem Homöo-Faktor. Aber funktioniert etwas so „billiges“ in den Köpfen der Kunden?
Die Akzeptanz wäre wohl gleich null, würde der Apotheker nicht wenigstens die Information irgendwie vorenthalten, um nicht aktiv lügen zu müssen (Was wenn der Kunde fragt. Und wie sieht die Deklaration aus?).
Naivität ist in diesem Zusammenhang also in gewisser Weise von Vorteil, was meinem Streben nach Aufklärung leider entgegensteht. Abschlussfrage: Wie sähe die „saubere“ Alternative zur Homöopathie aus?
19. Juni 2014 um 11:46
@Christian:
Das ist eine sehr gute und sehr schwierige Frage.
Im Grunde sind wir darüber noch in der Diskussionsphase, ob eine bewusste „Placebo-Medizin“ ethisch akzeptabel wäre oder aber Patientenbetrug – ich hänge Ihnen ein paar Links an. (c, d).
Ansatzweise haben wir das mal hier im Kommentarbereich diskutiert (b)
Dr. Weymayr, Autor von „Die Homöopathie-Lüge“, sagte dazu im GWUP Interview (a)
<< Eine ehrliche Placebo-Medizin ohne Hokuspokus wäre vertretbar. Ebenso wichtig wäre meiner Überzeugung nach, dass Ärzte ihren Praxisbesuchern auch mal sagen, dass sie gar nichts brauchen. Damit würde der Patient Vertrauen in den eigenen Körper gewinnen, und das könnte positiver und befriedigender sein, als einer Pille zu vertrauen, die von außen zugeführt wird. Im Buch formulieren wir das so: „Am besten ist dran, wer weder das eine noch das andere in Anspruch nimmt. Dann spart er Zeit, Geld und Nerven.“ Und außerdem: Unbewusste Placebo-Effekte bekommt man automatisch bei jeder medizinischen Handlung sozusagen gratis obendrauf. << a) https://blog.gwup.net/2012/12/23/die-homoopathie-luge-ein-interview-teil-2/
b) https://blog.gwup.net/2010/11/27/thema-der-woche-homoopathie/#comment-3870
c) http://diaphanoskopie.wordpress.com/2014/04/03/homoopathie-ist-placebo-now-were-talking/
d) http://dieausrufer.wordpress.com/2013/06/02/dzvha-bekennt-sich-zum-placebo-irgendwie/
19. Juni 2014 um 12:32
@ Ralf
„…die Apotheken müssen auch wirtschaftlich handeln!“
Was ist denn das für ein eigenartiges Argument?
Dann wäre es z. B. auch in Ordnung, dass Elektromärkte (um ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern) Fernsehgeräte verkaufen dürfen, auf deren „Bildschirm“ (Panel) nichts zu erkennen ist?
Geräte ohne versprochene Funktion: BETRUG!
„Medikamente“ ohne Wirkung: BETRUG!
19. Juni 2014 um 15:22
Tja, nieder mit den Apotheken:
http://www.diewahrheit.at/video/nieder-mit-den-apotheken
19. Juni 2014 um 17:59
@ Martina Rheken
Danke für diesen tollen Videolink!
20. Juni 2014 um 10:37
Ein Fernseher hat aber keinen Placebo-Effekt, der visuelle Halluzinationen des Fernsehprogramms auslöst.
Wenn der Kunde des Elektromarktes weiß, dass er einen homöopathischen Fernseher kauft, der kein richtiges Bild erzeugt, ist das wohl kaum Betrug zu nennen.
An der Grenze des Betrugs wäre es wohl, würde der Apotheker dem Kunden als Alternative zu einem Mittel mit Wirkstoff ein homöopathisches Mittel empfehlen. Das bloße im-Regal-Stehen der Ware, die als homöopathische gekennzeichnet ist, wäre wohl noch kein Betrug.
Ist Zauberrei dann nicht auch Betrug?
20. Juni 2014 um 13:30
@ Abe
Ich bin mir sicher, dass Sie schon verstanden haben, was ich meinte.
20. Juni 2014 um 21:41
@Abe: ja, Zauberei ist auch Betrug. Ich bin selbst Zauberkünstler, ich kann das beurteilen. ;)
Es ist aber einfach ein moralischer Unterschied, ob man gesunde Menschen betrügt, um sie zu unterhalten, und ihnen das auch offen mitteilt – oder ob man kranke Menschen betrügt, um sich zu bereichern und/oder seine Weltanschauung zu verbreiten, und ihnen das auch noch verheimlicht.
20. Juni 2014 um 21:48
@ crazyx
Danke!
Mir war die Provokation von Abe einfach zu dumm, um darauf einzugehen…
20. Juni 2014 um 22:46
@Pierre Castell
Jetzt erst mal ruhig mit den scheuen Gäulen ;-)
Was ich meinte, war daß man nicht alles Regulieren kann oder auch darf.
Wir haben hier eine freie Marktwirtschaft, natürlich werden dadurch auch Möglichkeiten für einen „Betrug“ frei.
Aber, ist es immer die beste Möglichkeiten Menschen zu bevormunden, indem man Verbote ausspricht.
Und hier sind wir uns wahrscheinlich alle einig, daß solche Organisationen, wie zb die GWUP einen großen Beitrag zur Aufklärung leisten kann und gerade diese Aufklärung, würde den Markt für Homöopathika verringern.
Wer gleich die „Verbots-Keule“ schwingt, wird nur wenig erreichen.
(Ich war auch einmal anderer Ansicht ;-))
20. Juni 2014 um 22:56
@Christian
Alles gut und schön, wenn da nicht der „böse Zwilling“ des ‚Placebo-Effektes‘ wäre: der ‚Nocebo-Effekt‘.
Natürlich ist der ‚Placebo-Effekt‘ grundsätzlich etwas Gutes und so sollte er auch Einklang in die „Schulmedizin“ finden.
Wie heute die Patienten „abgefertigt“ werden, begünstigt mehr einen ‚Nocebo-Effekt‘ als einen ‚Placebo-Effekt‘.
Einen sehr großen Nutzen könnten wir schon daraus ziehen, wenn Ärzte mehr Zeit für einen Patienten aufwenden könnten.
Die (unbewußte oder bewußte) Zuwendung kann „Wunder“ wirken…
5. Juli 2014 um 08:53
Es wäre ohne Probleme denkbar, explizit Placebos anzubieten und zu verschreiben. Z.B. Placebo grün mit Geschmacksrichtung Waldmeister.
Wenn sich rumgesprochen hat, dass Placebos wirklich Placebo-Effekte hätten, gäbe es die gleiche suggestive Wirkung und man müsste nicht verdünnte Hundepisse in Zucker verkaufen, den professionellen Scharlatanen wäre das Geschäft kaputt gemacht und alles soweit ethisch akzeptabel und vertretbar. Zudem wäre es volkswirtschaftlich sinnvoll, da billiger.
Na vielleicht sollte ich so ne Firma aufmachen ;-)
5. Juli 2014 um 09:48
Nun gut, in Apotheken werden ja auch Badesalze, Kosmetika und Traubenzuckerbonbons verkauft. Diesen Mittelchen unterstellt ja auch niemand sie wären Medikamente, bloß weil sie in der Apotheke verkauft werden.
Das Problem ist nicht, dass Apothekern Globuli verkaufen. Das Problem ist, dass therapeutisch nutzlose Kügelchen in der öffentlichen Wahrnehmung als Medikamente erscheinen. Sicher haben daran einige Apotheker eine Mitschuld, da sie diesem Irrglauben zumindest nicht entgegenwirken. Aber allein den Apothekern den schwarzen Peter zuzuspielen trifft den Kern des Problems nicht.
Vielleicht wäre es ein erster Schritt, den Globulikram und die potenzierten Wässerchen auf die frei zugänglichen Verkaufsflächen neben die Badesalze, Kosmetika und Traubenzückerli zu verbannen.
Solange der Apotheker den Homöopathie-Humbug aus seinen Arzneimittelschänken holt, erhalten sie für den Kunden/Patienten dadurch gewollt oder ungewollt die Weihen eines Medikaments.
Von mir aus sollen Apotheken auch weiterhin Globuli verkaufen.
Wenn, dann aber sauber und nachvollziehbar getrennt von pharmazeutischen Produkten.
5. Juli 2014 um 09:56
Was erwarten sich Menschen, die in die Apotheke gehen und eine Arznei suchen?
Antwort: Ein wirksames Mittel.
Für ein Placebo Effekt geht doch keiner in die Apotheke. Und weil Placeboeffekte durch alles mögliche ausgelöst werden, macht es meiner Ansicht nach keinen Sinn, ausgerechnet die Homöopathie in den Apotheken zu belassen, zumal sich die HP nur ungern auf Placebo reduzieren lassen möchte.
Also, meiner Meinung nach, entweder alle Placebomedizin rein oder alle raus aus der Apotheke. Ersteres wäre ein schönes Chaos.
Bis heute bin ich nicht so recht überzeugt, ob die Placeboeffekte wirklich der Menschheit mehr Lebenszeit bringen, wobei ich dessen physiologischen Grundlagen sehr interessant finde.
5. Juli 2014 um 13:05
@ Nils
„…in der öffentlichen Wahrnehmung als Medikamente erscheinen!“
Wahrnehmung?
Und WER sorgt für diese Wahrnehmung, mit der die unwissenden Menschen verschaukelt werden?
Aha.
Sie sehen das in meinen Augen erheblich zu locker…
Toleranz ist hier aus meiner Sicht absolut nicht angebracht.
5. Juli 2014 um 13:11
Wenn ich als Patient in eine Apotheke gehe, um etwas gegen meine Beschwerden zu erwerben, bin ich per se bereit, etwas zu kaufen. Dem Apotheker entgeht also kein Umsatz, wenn er mir keine Globuli in die Tüte drückt, denn ich bin bereit, ihm etwas abzukaufen. Und dann hätte ich gerne, dass ein studierter Pharmazeut mir bitteschön etwas Wirksames empfiehlt, den Zucker kaufe ich bei Aldi.
Es ist ja nicht so, dass ich nichts kaufen würde, wenn ich keine Globuli möchte. Den meisten Einkäufern ist doch gar nicht klar, dass es Unterschiede gibt.
Und ich würde wirklich immer den Apotheker unterstützen, der mir keine Placeboprodukte andreht, ohne mir mitzuteilen, dass es sich um solche handelt.
Umsatzeinbrüche erlebt er meiner Meinung nach nur bei den Kunden, die explizit nach „sanften Alternativen“ fragen. Eventuell. Es sei denn, er informiert und bietet Alternativen zu diesen „Alternativen“ an. Die gibt es. Und wenn es eine Tüte Gummibärchen ist. Allemal besser als Zucker. Auch damit ist ihm kein Umsatz entgangen.