Bei der Plasberg-Sendung letzten Montag zum Thema „Homöopathie“ war auch die homöopathische Ärztin Irene Schlingensiepen dabei, die kräftig Werbung für ihr Buch „Homöopathie für Skeptiker“ machen durfte.
Ich hoffe nur, dass niemand auf die Idee kommt, mir als Skeptikerin dieses Buch zu schenken“,
lautet ein treffender Kommentar im Psiram-Forum – denn diese 192 bedruckten Seiten sind eine Mogelpackung der schlimmsten Sorte.
Wenn sie nicht gerade als Autorin dilettiert, behandelt Schlingensiepen ihre Patienten Marke Eigenbau mit „Quellenhomöopathie“, was soviel bedeutet wie:
Das Simillimum schlummert bereits im Unterbewusstein eines jeden Patienten. Er selbst kann diesen kostenbaren Schatz mit der Hilfe eines geeigneten Therapeuten heben.“
Was von „Homöopathie für Skeptiker: Wie sie wirkt, warum sie heilt, was belegt ist“ zu halten ist, hat GWUP-Mitglied Ute Parsch ausführlich bei amazon dargelegt.
Auch Dr. Christian Weymayr („Die Homöopathie-Lüge“) hat sich das Teil genau angesehen und uns folgende Rezension zur Verfügung gestellt:
Dieses Buch ist gefährlich. Es verbreitet nicht nur irrationales Gedankegut, es behauptet dabei, rational zu argumentieren. Dieses Buch beweist einmal mehr, wie Homöopathen die Wissenschaft missbrauchen.
Schlingensiepen sagt, sie betreibe einen „faktenbasierten rationalwissenschaftlichen Diskurs“ – und ich fürchte, das meint sie wirklich ernst.
„Hart aber fair“ hat dem Buch Verkaufszahlen beschert, die „Die Homöopathie-Lüge“ zu ihren besten Zeiten nicht hatte (nach Amazon-Rang). Gefährlich finde ich das Buch und die Autorin, weil es auf bedrückende und alarmierende Weise zeigt, wie leicht sich rationale Argumente weglachen und weganekdotieren und eines Tages vielleicht auch wieder wegblaffen und weghetzen lassen, wenn am Ende nur die gefühlte Wahrheit zählt.
Irene Schlingensiepen ist studierte Medizinerin und sie war auch einmal an einem Max-Planck-Institut.
Sie sagt, sie hat dort geforscht.
Viel Niederschlag hat diese Forschung allerdings nicht gefunden – internationale Forschungsdatenbanken wie Medline führen ganze zwei wissenschaftliche Arbeiten, an denen sie vermutlich beteiligt war.
Wissenschaft heißt für sie, sich die wenigen Grundlagen- und Patientenstudien mit positiven Ergebnissen für die Homöopathie herauszupicken und den Rest zu ignorieren. Nach diesem Schema gehen auch die anderen Verquerdenker und Verschwörungstheoretiker vor.
In ihrem Buch schreibt Schlingensiepen viel über Studien und deren Qualität, um in der nächsten Zeile mit der ihr eigenen Unbekümmertheit von ihrem Erweckungserlebnis zu erzählen, das sie von der Schulmedizinerin zur Homöopathin werden ließ: die „Heilung“ ihres asthmatischen Sohnes.
Und so geht es in einem fort mit ihren grotesken Verdrehungen.
Nur drei Beispiele:
- „… einzelne Erfahrungen beweisen nicht das Durchbrechen der Naturgesetze.“
Sie akzeptiert also offenbar, dass Homöopathie Naturgesetze durchbricht, immerhin. Deshalb führt sie „Wirksamkeitsbeweise“ an, die sie aus den vorgestellten „Forschungsergebnissen“ ableitet.
Und deshalb plädiere ich mit meinem Konzept der Scientabilität dafür, Homöopathen diese Argumentationsgrundlage zu entziehen und klinische Studien in diesem Kontext als irrelevant abzulehnen, da auch sie das Durchbrechen der Naturgesetze nicht beweisen können.
- „Auch die Ablehnung der Homöopathie selbst speist sich übrigens oft aus den Defiziten des Medizinstudiums. Viele Ärzte haben bis heute ein mechanistisches Weltbild auf der Grundlage der Newtonschen Mechanik. (…) Mit seinen Modellen werden wir die Homöopathie nicht erklären können, und wir sind gut beraten, uns nicht exklusiv an die Weltsicht einer atavistischen Rohskizze zu klammern.“
Das, was über die Rohskizze eines mechanistischen Weltbildes hinausgeht, bezeichne ich als Esoterik.
- „Keine Pillen zu schlucken, ist zur Marotte einer Minderheit geworden“.
Sie meint damit nicht etwa die Frank Plasbergs, die ihren Kinder bei einer Beule fünf Globuli einwerfen, sondern die Menschen, die nachgewiesen wirksame Tabletten einnehmen.
Aus der Feder ihres Sohnes stammt das Kapitel „Wie gefährlich ist Homöopathie?“. Darin beschäftigt er sich mit den Kritikern:
- „Dass diese Hardliner Diskussionen verweigern, Studienergebnisse ignorieren und ihre Gegner persönlich diskreditieren, war für mich überraschend. Die Denkweise dieser Wissenschaftspositivisten hat auf mich nur selten den Eindruck intellektueller Reflektiertheit gemacht. Viele Artikel strahlen viel mehr einen Fundmentalistisch-religiösen Kampfgeist aus“.
Ich bin kein Psychologe, aber ich denke, allein diese Zeilen zeigen, dass bei Sohn und Mutter eine gravierende Wahrnehmungsstörung vorliegt.
Apropos Sohn: Schlingensiepen hat ihn nicht nur von seinem Asthma „geheilt“. Dasselbe Mittel, schreibt sie, „hat bei meinem Sohn in den vergangenen siebzehn Jahren auch bei allen anderen Erkrankungen einschließlich einer schweren Tropenkrankheit gewirkt“.
Das dürfte selbst Homöopathen überraschen.
Sie begründet diese unorthodoxe Sichtweise mit der von ihr erdachten Quellentheorie und dem „ins Unterbewusste verdrängte innere Wissen über tiefe Krankheitsursachen und Heilung in jedem von uns“.
Konkret sieht das dann bei einer Patientin so aus:
- „In unserem mehrstündigen Anamnesegespräch fasste sie ihre gesundheitlichen Beschwerden, ja ihre ganze Weltsicht schließlich aus der Perspektive eines Pferdes zusammen. Ich bin ihr auf diesem Weg entlang der sprachlichen Eigentümlichkeiten in ihrem Bericht gefolgt. Und gemeinsam haben wir so ihr Quellenmittel gefunden.“
Das Mittel ist Lac equinum, ein Homöopathikum aus Pferdemilch.
Zugegeben, ein wenig lustig ist das Buch auch.
Da sie vehement für medizinischen Pluralismus eintritt, ist etwa die Stelle sehr nett, an der Schlingensiepen sich über Alternativpluralismus und entsprechend aufgeklärte Patienten beklagt:
- „Von Tantra bis Schamanismus haben sie es manchmal schon versucht. Dann ist eben mal Homöopathie dran. Und noch bevor die grundlegenden Beschwerden aufgenommen wurden, hat der Patient schon ein Panoptikum von New-Age-Mythodologien ausgebreitet und verknüpft munter alle erdenklichen Bilder, Geschichten und Gefühle.“
Üblicherweise liest man, dass schulmedizinische Therapien die Wirkungen homöopathischer Arzneien stören können – dass auch alternativmedizinische Therapien die homöopathische Anamnese stören können, war mir neu.
Mein Fazit: In seiner ganzen Verquerheit könnte dieses Buch zur Bibel von Homöopathen und Patienten werden, die gerne glauben möchten, dass Homöopathie wissenschaftlich fundiert ist.“
Zum Weiterlesen:
- “Die Homöopathie-Lüge” – ein Interview (Teil 1), GWUP-Blog am 23. Dezember 2012
- “Die Homöopathie-Lüge” – ein Interview (Teil 2), GWUP-Blog am 23. Dezember 2012
- Homöopathie: Wenn Skeptiker Hoffnungen zerstören, GWUP-Blog am 18. April 2013
- Skeptiker als Pharma-Söldner? GWUP-Blog am 21. April 2013
- Was hat die GWUP gegen Homöopathie? Teil I, GWUP-Blog am 1. Februar 2011
- Homöopathie: Parallelwelt ohne Naturgesetze, Teil II, GWUP-Blog am 2. Februar 2011
- Medizin ohne geistige Umweltverschmutzung,Teil III, GWUP-Blog am 3. Februar 2011
- Homöopathie: Unmögliches muss man nicht erklären, Teil IV, GWUP-Blog am 4. Februar 2011
- Interview mit GWUP-Vorsitzender Amardeo Sarma: Sicherheitsrisiko Homöopathie, sicherheitsberater am 31. März 2014
6. April 2014 um 20:39
Ich habe die schizophrene Denkweise der Homöopathie-Anhänger und -Patienten immer noch nicht verstanden.
Einerseits fordern sie „wissenschaftliche Belege“ für die Wirksamkeit ein, andererseits schlagen sie jede fundierte Kritik in den Wind und geben sich esoterischem Blendwerk hin.
Da sind die Religionen ja noch ehrlicher. Die geben wenigstens zu, dass ihre Götter nicht wissenschaftlich belegbar sind.
6. April 2014 um 20:47
@fips
Interessanter Gedanke…
Ob das aber so viel besser ist, wenn man „Götter“ einer wissenschaftlichen Beweisbarkeit entzieht?
Die Wissenschaft und das (Glaubenssystem)Homöopathie können jedenfalls mit den selben Waffen kämpfen.
Genaugenommen ist der Kampf für die Homöopathie schon verloren…aber sie hat den Knall nicht gehört ;-)
6. April 2014 um 21:17
Zitat Irene Schlingensiepen
Ach ja, Frau Schlingensiepen…Sie wollen wahrscheinlich wieder die „Quantenphysik“, den Rettungsanker aller Esoteriker, werfen…
Eigentlich kann es kein Vorwurf sein, der „Newton’schen Mechanik“ verhaftet zu sein, da sie unsere Erfahrungswelt am besten wiederspiegelt.
Das im Gegenzug die „Homöopathie“, den Naturgesetzen widerspricht, verleugnen Sie. Stichwort: Potenzierung durch Verdünnen. Auf welchen Misthaufen, ist dieser Schwachsinn gewachsen :-)
…nun ja, es wird halt dabei noch etwas geschüttelt, um „Energie“ zuzuführen und das ganz im Sinne der „Newton’schen Mechanik“, soviel dazu ;-)
7. April 2014 um 09:59
Also in PubMed ist nichts wirklich wissenschaftlich relevantes von Frau Schlingensiepen zu finden.
Was sie an einem Max-Planck Institut gesucht hat? Einen Absatz in ihrem CV, der nach Seriosität klingt?
Gott schütze uns vor solchen Medizinern! :-)
7. April 2014 um 16:53
„Dass diese Hardliner Diskussionen verweigern, Studienergebnisse ignorieren und ihre Gegner persönlich diskreditieren, war für mich überraschend. Die Denkweise dieser Wissenschaftspositivisten hat auf mich nur selten den Eindruck intellektueller Reflektiertheit gemacht. Viele Artikel strahlen viel mehr einen Fundmentalistisch-religiösen Kampfgeist aus“.
Man braucht nur „Wissenschaftspositivisten“ durch „Homöopathiegläubige“ zu ersetzen, und schon hat man eine perfekte Beschreibung der Homöopathieszene. Schlingensiepen jun. weiß also, wovon er spricht.
„Viele Ärzte haben bis heute ein mechanistisches Weltbild auf der Grundlage der Newtonschen Mechanik.“
Da hat Frau Schlingensiepen sen. wohl im ersten Semester bei der Physikvorlesung nicht richtig aufgepasst (die ist für die meisten Medizinstudenten sowieso nur lästiges Übel).
Und im späteren Studium wohl auch nicht, sonst hätte sie bemerkt, dass die moderne Medizin mit Newtons Mechanik wenig zu tun hat. Es sei denn, sie meint damit das Ursache-Wirkungs-Prinzip, das ihrer Meinung nach in der Medizin also nichts zu suchen hat.
Dennoch – bei aller Hochachtung, die ich für für Christian Weymayr hege, sollte man Bücher nicht als „gefährlich“ bezeichnen.
Alles sollte gesagt und geschrieben werden dürfen.
7. April 2014 um 19:49
Hallo nota.bene, Du schreibst:
„Dennoch – bei aller Hochachtung, die ich für für Christian Weymayr hege, sollte man Bücher nicht als “gefährlich” bezeichnen.
Alles sollte gesagt und geschrieben werden dürfen.“
Das eine schließt das andere nicht aus.
Ein Buch (habe es gesehen: „Krebs mit Homöopathie heilen“) darf man schreiben und veröffentlichen, ist aber trotzdem gefährlich. Im Übrigen darf man NICHT alles schreiben oder sagen – es gibt zum Beispiel Ehrschutz.
Ich dürfte zum Beispiel nicht schreiben, X ist ein Kinderschänder, wenn ich das nicht belegen kann, und das ist doch wohl auch richtig so, oder nicht?
7. April 2014 um 20:37
@ralfnausk:
Danke für den Einwurf.
Selbstverständlich fallen Beleidigungen und Verunglimpfungen nicht unter die Freiheit von Wort und Schrift.
Es soll aber der Eindruck vermieden werden, wir würden bestimmte Bücher für „gefährlich“ halten, weil sie überzeugend geschrieben sind, ein großes Publikum ansprechen und nicht unsere Meinung wiedergeben.
Ich habe es schon öfters gesagt: die Esoteriker bringen ihre Botschaften in allen Medien einfach sehr viel besser unter die Leute als wir Skeptiker. Frau Schlingensiepen hat bei Plasberg zwar viel Unsinn geredet, aber sie hat auf die meisten Zuschauer einfach einen sympathischen Eindruck gemacht. Da kam es auf den Inhalt dessen, was sie sagte, gar nicht so sehr an.
Die Menschen glauben ihr, weil sie sich gut darstellt.
Sebastian Herrmann hat die psychologischen Fallstricke, in die wir Skeptiker uns ständig verheddern, in seinem Buch ja anschaulich dargestellt.
8. April 2014 um 14:42
@Ralf: Unsere Erfahrungswelt gäbe es nach der Newtonschen Mechanik gar nicht.
Atomaufbau, chemische Bindung, Stabilität der Materie, Magnetismus und und und – alles Phänomene, die mit Newton allein nicht zu erklären sind.
Das gibt noch lange keinem Esoteriker das Recht, Quantenquark zu produzieren. Quantenheilung, „schwache Quantenmechanik“, Telepathie durch Verschränkung – keines dieser oder ähnlicher angeblichen Phänomene wird durch die Quantenmechanik nach Born, Heisenberg und Jordan (oder etwas moderner QED nach Feynman) auch nur eine Spur plausibler.
Und @Bernd Harder: „Das, was über die Rohskizze eines mechanistischen Weltbildes hinausgeht, bezeichne ich als Esoterik.“ – nee, so kann man das auch wieder nicht sagen. Genau diese Bedingung erfüllt auch die Quantenmechanik und wäre damit eine spezielle Form von Esoterik.
Damit würde man wiederum den Esoterikern in die Hände spielen, denn die Quantenmechanik ist empirisch bestens bestätigt und zu Recht das Herz der modernen Physik.
Der Laplacesche Dämon ist tot, noch nicht mitgekriegt?
8. April 2014 um 14:44
@Gernoth Buth:
<< Und @Bernd Harder: << Muss ich mich hier angesprochen fühlen?
8. April 2014 um 15:41
Oh, ich sehe, das war noch Teil eines Zitats. Sorry.
Also ich korrigiere: @Dr. Christian Weymayr: …
8. April 2014 um 20:44
@Gernoth Buth
Das bestreite ich nicht, aber ist es einem Mediziner vorzuwerfen, wenn er noch der „Newton’schen Mechanik“ „verfallen“ ist?
Wenn Sie mehr in diesem Blog gelesen haben, werden Sie merken, daß gerade Physiker sich gegen die „Homöopathie“ wenden (ich denke Ärzte sind da sogar aufgeschlossener)
…und das der „Laplace’sche Dämon“ tot ist, habe ich hier schon – mal nachdenken – 100x geschrieben ;-)
11. April 2014 um 13:07
Das bestreite ich ebenfalls nicht. Und wenn man Martin Lambeck kennt, braucht man dafür nicht mal diesen Blog zu lesen.
Aber das ist doch, mit Verlaub, eine Nebelkerze, denn es gibt nicht die eine Wahrheit für die Physiker und eine andere für die Mediziner (Dr. Weymayr ist keines von beiden).
Wenn einer „alles was über die Rohskizze eines mechanistischen Weltbildes hinausgeht“ (aus dem Kontext: Newtonsche Mechanik) als „Esoterik“ bezeichnet, schließt er zwangsläfig die QM mit ein und hilft damit, den Esoterikern die Brücke zu bauen, die sie nur allzu gerne betreten.
In der Tat kennt die QM Phänomene, die an Spuk denken lassen (ich erwähne nur beispielhaft Aharonov-Bohm), weshalb die Esoteriker gerne die QM als „Erlärung“ für den von ihnen behaupteten Spuk (da zähle ich die Homöopathie dazu) hernehmen. Aber so ‚rum funktioniert’s eben nicht.
Wenn die QM Phänomene kennt, die wie Spuk aussehen, heißt dass nicht, dass die QM jedweden Spuk erklärt.