Deutschlandradio Kultur hat jetzt das (im Februar erschienene) Buch „Bessere Ärzte, bessere Patienten, bessere Medizin“ ausführlich vorgestellt:
In dieser Aufsatzsammlung kommen Missstände der Medizin zur Sprache: Es geht um schlampig geplante Forschungsprojekte, um Ärzte, die perfekt operieren, aber nicht wissen, wann ein Eingriff sinnvoll ist oder darum, wie aufgebauscht die Medien über Gesundheitsstudien berichten.“
Der Autor und Mitherausgeber Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin sagt im dradio-Gespräch:
Es ist leider so, dass die Mehrzahl der Ärzte in Deutschland – nach unseren Untersuchungen – einen wissenschaftlichen Artikel im eigenen Fach nicht kritisch bewerten kann.“
Den wichtigsten Grund für dieses Defizit sieht er in der Verantwortung der Universitäten:
Das Problem ist, dass in den medizinischen Fakultäten das Verständnis von Evidenz, und die ist fast immer Statistik, nicht richtig gelehrt wird.“
Die Universitäten entließen Ärztinnen und Ärzte in den Beruf, die zwar gut geschult sind, mit einem Skalpell umzugehen oder auch darin, eine einzelne Röntgenaufnahme zu deuten. Doch die Frage, wann ein bestimmter Eingriff sinnvoll ist, werde an den Medizinfakultäten viel zu wenig diskutiert, meint Gigerenzer – oder ebenso wenig wie die Frage, ob es sich lohnt, bestimmte Röntgenaufnahmen millionenfach vorzunehmen. Und im Laufe des Berufslebens würden viele Ärzte die kritische Suche nach Informationen auch nicht mehr nachholen:
Und warum nehmen viele Ärzte das nicht zur Kenntnis? Weil sie Interessenskonflikte haben. Weil man etwas daran verdient. Oder weil man nicht wissen möchte oder noch nicht im Zeitalter der Aufklärung ist.“
Die FAZ hatte vor zwei Jahren die englische Ausgabe besprochen und angemerkt:
Das Buch ist ein Manifest […] für eine Medizin, die vornehmlich auf der Basis gesicherter wissenschaftlicher Daten agiert.“
Zum Weiterlesen:
- Gerd Gigerenzer/J.A. Muir Gray (Hrsg.): Bessere Ärzte, bessere Patienten, bessere Medizin. Aufbruch in ein transparentes Gesundheitswesen. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin 2013
- Der getäuschte Patient, Deutschlandradio Kultur am 29. September 2013
- Neu: „Die Pharma-Lüge“, GWUP-Blog am 6. August 2013
- “Wo ist der Beweis?” Verlässliche Informationen gegen haltlose Versprechen, GWUP-Blog am 24. August 2013
- „Es fehlt an Aufklärung auf beiden Seiten“, FAZ am 22. Juli 2011
2. Oktober 2013 um 19:16
Ich hatte während meines Biochemiestudiums in Tübingen mit Medizinstudenten zu tun, die bei uns ein Humanphysiologisches Praktikum absolvierten.
Was von uns eigentlich als wichtigstes Grundlagenfach für Mediziner angesehen wurde, welches die chemischen Zusammenhänge der Körperfunktionen vermittelt, wurde von den Meds als lästige Scheinerwerbsmöglichkeit empfunden.
Deshalb wissen sehr viele Mediziner nicht, wie ein Medikament wirkt und glauben demzufolge auch an die Wirksamkeit der Homöopathie.
2. Oktober 2013 um 19:54
Beim Lesen des Artikels kommt mir der Gedanke ob man den Erhalt des Dr.-Titels bei Medizinern nicht an zwei Bedingungen knüpfen sollte:
1) 3 Jahre Ausbildung in wissenschaftlicher Methodik (Labor, Statistik, whatever)
2) 3 Veröffentlichungen mit der Bedingung „Erstautor“ in peer-reviewed journals
Danach sollte man relativ fit sein, um Studien lesen und interpretieren zu können.
3. Oktober 2013 um 21:16
Bin zwar kein mediziner, aber was ich so mitbekommen habe über die Jahre, waren Mediziner nach ihrer Ausbildung noch nie gute Wissenschaftler.
die vorklinik ist lästig und gefürchtet, und viele Studenten sehen nicht ein, dass chemische, biochemische, physikalische Grundlagen für irgendwas gut sind.soll aber auch bei Biologen vorkommen. Wer aber als Mediziner Karriere machen will, muss sich spätestens dann auf die wissenschaftliche Methodik einlasen.
Aber warum Ärzte kritisieren, die Homöopathie verwenden. Ist das nicht die Heilmethode, die bei allen Wehwehchen wirkt?
3. Oktober 2013 um 21:29
@ anonym: Der Doktortitel bei den Medizinern steht in der Tat in der Diskussion.
Es gibt Alternativvorschläge, z. B. ein zweiteiligs Staatsexamen. Und es gibt in der Medizin auch durchaus Doktorarbeiten, die sich mit denen der Naturwissenschaften messen können.
Aber das hat alles nichts mit der Fähigkeit zum kritischen Denken zu tun. Wenn ich mir überlege, welchen unglaublichen Nullen man den „Dr.“ oder gar den „Prof.“ glauben muß…