Eine neue Joseph-Beuys-Biografie, die vor wenigen Tagen im Aufbau-Verlag erschienen ist, sorgt für Wirbel.
Der umstrittene Künstler sei zudem „eine ziemlich gestrige und gefährliche Figur“ gewesen, gibt eine Spiegel-Rezensentin die Meinung des Biographen Hans Peter Riegel wieder.
Und zwar nicht nur im Hinblick auf Beuys „reaktionäres Alt-Nazitum“, sondern auch wegen seiner existentiellen Verbindung mit Rudolf Steiner.
In jedes einzelne Werk seiner symbolschweren Kunst sei Steiners Weltbild eingesickert.
Angestrebt habe Beuys – folgend „Steiner und dessen verqueren Ideen“ – eine totalitäre Gesellschaft.
Besagte Spiegel-Rezension der Beuys-Biographie wird derzeit ebenso leidenschaftlich diskutiert wie die Biographie selbst – und zwar deswegen, weil …
… im gesamten Text der Spiegel-Autorin Ulrike Knöfel nie [so richtig deutlich wird], wann sie über Erkenntnisse des Autors Riegel schreibt, und wann es ihre eigenen Erkenntnisse sind, die den Vorwurf untermauern sollen, Beuys sei Ewig-Gestriger gewesen“,
heißt es zum Beispiel bei Themen der Zeit.
Die Welt hat indessen beim Beuys-Biographen Hans Peter Riegel selbst nachgefragt.
Die Redaktion kommt zu dem Schluss, dass in der Tat …
… die eigentliche Sprengkraft des Buches in dem Nachweis [liegt], welchen gewaltigen Einfluss die anthroposophische Lehre Rudolf Steiners auf Beuys‘ Werk hatte. Riegels These: Beuys habe zeit seines Lebens unter einem grünen, anarchistischen Deckmäntelchen die Welt mit völkischen und totalitären Ideen in der Nachfolge Steiners missioniert.“
Ein Auszug aus dem Interview:
Die Welt: Wenn man „Beuys + Steiner“ googelt, findet man 184.000 Einträge. Es gibt kaum ein Beuys-Buch, das sich nicht mit Steiner beschäftigt. Warum haben auch Sie sich auf diese Fährte begeben?
Hans Peter Riegel: Die häufig zitierten Biografien […] sind aus meiner Sicht Hofberichterstattung. Benjamin Buchloh sprach in diesem Zusammenhang einmal von „kollektiver Verblendung“. Die Autoren haben keine kritische Distanz zu dem untersuchten Gegenstand. Es existiert eine Interpretengemeinde, die Beuys‘ Leben und Werk zum Wohl des Künstlers auslegt.
Von dieser Seite wird die Bedeutung Steiners für Beuys marginalisiert. Vermutlich, weil sie um die Gefährdung ihres Heroen durch die esoterischen und völkischen Aspekte wissen.“
Sie sprechen über die Anthroposophie, als handele es sich um eine gesellschaftszersetzende Sekte.
In Beuys‘ Weltsicht ist der Mensch nur dann frei, wenn er sich in die Hände der Anthroposophie begibt. In einem Gespräch mit Michael Ende sagte er: „Die Anthroposophie ist der einzige Weg“.
Die Anthroposophen eine Sekte zu nennen, wäre jedoch fatal. Man handelt sich schnell eine einstweilige Verfügung ein. Aber betrachtet man Steiners organisches Gesellschaftsmodell, das im ersten Moment wunderbar klingt, einmal genau, dann muss man zu dem Schluss kommen: Es ist totalitär.
Der Mensch steht bei Steiner in der Hierarchie auf der untersten Stufe der Existenz. Dann kommen „Erfinder, Künstler und Forscher“, dann die „geheimwissenschaftlichen Eingeweihten“ und schließlich „übermenschliche Wesen“. Der Mensch überantwortet seine Freiheit übergeordneten Instanzen. Nur die Eingeweihten sind erkenntnisfähig. Das nenne ich totalitär.
Und solches Denken ist wohl auch Sekten zu eigen. Joseph Beuys war geradezu besessen davon, derartige Überzeugungen Steiners weiterzutragen.
Wie Steiner hat auch er sich offenbar als Eingeweihter empfunden. Beuys‘ existenzielle Krise 1956/57 mündete in eine Überhöhung der eigenen Person. Er selbst beschrieb sie als eine Art Erweckungserlebnis. Seitdem fühlte er sich, wie er selbst bekundete, von Rudolf Steiner beauftragt, dessen Weltanschauung und letztendlich ihn selbst zu vertreten. Beuys nahm den Habitus Steiners an, die Vorträge, dessen verquaste grammatische Konstruktionen.
Zuletzt glich sogar die Fraktur, mit der Beuys seine Tafeln beschrieb, dem Schriftbild Rudolf Steiners.“
Gehen Sie nicht von einer falschen These aus? In Steiners Philosophie ist der Mensch ein freies Wesen, das sich gemäß seiner Fähigkeiten entwickeln kann.
Steiner hatte ein ambivalentes Verhältnis zur Demokratie und eine Abneigung gegen Liberalismus und Sozialismus. Das ist bekannt. So, wie auch sein rassistisches und völkisches Gedankengut, die Verknüpfung von deutschem Wesen und Geist und der damit verbundenen Weltmission nichts Neues ist.
Was ich für meine Untersuchung gemacht habe, ist, Steiners zahllose Schriften und Vorträge sehr akribisch mit Beuys Werken, Schriften und Interviews zu vergleichen. Niemand hat bislang in dieser Konsequenz Beuys‘ Werk auf diese Einflüsse hin untersucht. Und niemand konnte demzufolge entsprechende Schlussfolgerungen ziehen […]
Auch wenn die Werke von Beuys auf den ersten Blick avantgardistisch und demokratisch daherkommen, so ist ihre Botschaft problematisch, weil die Anthroposophie, denkt man ihre verqueren Ideen zu Ende, eine autoritäre und damit letztlich undemokratische Weltanschauung ist.
Wenn man es zugespitzt sagen will, sind Beuys‘ Werke anthroposophisch determinierte Kultobjekte. Und damit bekommt das Werk eine andere Qualität.“
Die Debatte über „Beuys. Die Biographie“ wird wohl noch eine Weile andauern. Und hat auch schon Wissenschaftsblogs wie Denkmale erreicht.
Nebenbei widerlegt Riegel übrigens Beuys Behauptung, ein naturwissenschaftliches Studium absolviert zu haben:
Ganz unabhängig davon hatte das Magazin art im April eine Titelgeschichte zum Thema „Kunst und Okkultismus“ gebracht.
Darin heißt es über Beuys und Steiner:
Das Erbe Helena Blavatskys trat dagegen Rudolf Steiner an, der aus den Erfindungen der Theosophie einen seriösen Okkultismus entwickelte und unter dem Namen Anthroposophie lebensfähig machte.
Er verband Blavatskys Sphärenmodelle und ihre arische Wurzelrasse mit Gedanken von Nietzsche, Goethe und aus der Bibel zu einer esoterischen Gebrauchsreligion, die vor allem Joseph Beuys stark beeinflusste. Dessen Bewunderung für Steiners Erkenntnisstufen, die bis ins Übersinnliche reichen, findet sich nicht nur in Beuys‘ „schamanistischen“ Ideen wieder.
Das Vorbild Steiners prägte wohl auch Beuys‘ Zeichenstil, der stark an Steiners flüchtige Vortragsskizzen auf Schultafeln erinnert, die Beuys wiederum als plastisches Material in sein Werk integrierte.
Die Anleihen reichen aber tatsächlich bis in Beuys‘ berühmteste Sprüche. Steiners „Geld = Geist“ erneuerte Beuys beispielsweise zu Kunst = Kapital.“
Allerdings merkt der art-Autor an, dass …
… eine solch ernsthafte Reverenz an Äther, Aura und Astralleib in der Nachkriegszeit die Ausnahme [bleibt]. Hier regiert im Umgang mit Magie und Metaphysik doch eher Ironie […]
In der Gegenwart […] ist Spiritismus und Geheimwissen in der Kunst ein recht unspezifisches Thema unter vielen geworden, das von jüngeren Künstlern vor allem spielerisch behandelt wird.
Eine tiefe Faszination für Metaphysik oder Paranormales oder Madame Blavatskys spirituelle Evolution lässt sich bei diesen cleveren Ironisierungen und künstlerischen Partyscherzen kaum noch erkennen.“
Durchaus ein Fortschritt.
Zum Weiterlesen:
- Höhere Wesen befehlen! art 4/2013
- Wie von Geisterhand gemalt, Skeptiker 2/2008
- Geist-reich, Vogue 5/2013
- Mutmaßung über Jupp, Zeit-Online am 31. Mai 2013
- Mit Steiner in der Stuka, Welt-Online am 14. Mai 2013
- „Das ist völkische Diktion in Reinkultur“: Interview mit Hans Peter Riegel, Die Welt am 17. Mai 2013
1. Juni 2013 um 15:14
Beuys ist ein peinlicher Steiner-Plagiator:
ganz deutlich ist das an Beuys Tafelbildern (Kreidezeichnungen auf Tafeln) nachzuvollziehen – wenn man auch noch Steiners entsprechende “Arbeiten” kennt –, aber nicht nur dort gibt es allzu offensichtliche Übereinstimmungen …
Zur Beuys-Verehrung durch Anthroposophen:
In den “Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart” sind wir mit dem Dozenten Ralf Staschik vom “Seminar für Waldorfpädagogik Berlin” gepilgert:
“gepilgert” – in Andachts-Pose wurde eine leblose Anthroposophie-Vorlesung an ranzigen Beuys-Objekten gegeben …
1. Juni 2013 um 15:42
@ Bernd Harder
Sie haben die „Themen der Zeit“ zitiert und verlinkt …:
der Betreiber der website „Themen der Zeit“, Michael Mentzel, ist hardcore-Anthroposoph, verteidigt Rudolf Steiner und die Anthroposophie auch noch dann, wenn es wirklich nichts mehr zu retten gibt, ein Beispiel:
–
„Michael Mentzel: Anthroposophie und Nationalsozialismus
Ansgar Martins, Gastautor der Ruhrbarone, hat ein kritisches Buch über Rudolf Steiners Rassismus und Geschichtsbild geschrieben, das vom Historiker Prof. Peter Staudenmaier in einer Rezension als „sachliche und scharfsichtige Darstellung“ begrüsst wurde, „bei weitem die beste Darstellung, die bei einem anthroposophischen Herausgeber erschienen ist“. Das sorgt für einen bizarren Auftritt von Michael Mentzel, Propagandist der, Zitat Prof. Hopmann, „Sekte“ Anthroposophie (…)“
weiter: http://www.ruhrbarone.de/michael-mentzel-anthroposophie-und-nationalsozialismus/
1. Juni 2013 um 15:44
@Andreas Lichte:
<< der Betreiber der website "Themen der Zeit", Michael Mentzel, ist hardcore-Anthroposoph. << Unschwer zu erraten, wenn man die Kritik an der "Spiegel"-Rezension liest.
2. Juni 2013 um 21:01
Nach und nach stürzen die Helden meiner Jugend:
Kämpfer gegen das Böse (Derrick) und gegen Raketen (Beuys, „Sonne statt Reagan“).
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