Erst vor wenigen Tagen meldete sich der Geschäftsführer des NAV-Virchow-Bundes Dr. Dirk Heinrich zu Wort, der die sinnvolle Verwendung von Krankenkassenüberschüssen anmahnte – da vermeldet die Ärzte-Zeitung einen Plan der AOK Plus: Die „Gesundheitskasse für Sachsen und Thüringen“ will mit ihren Millionenüberschüssen zusätzliches Geld für Homöopathika bereitstellen. Rund 20 Millionen Euro sind laut Ärztezeitung dafür eingeplant.
Damit dürfte sich der Streit um die Verwendung der von den Krankenkassen erwirtschafteten Überschüsse weiter verschärfen, werden diese doch aus den Pflichtbeiträgen der gesetzlich Versicherten erwirtschaftet. Dabei erläutert die Kasse durchaus korrekt:
Für die Heilwirkungen wurden Theorien entwickelt, die nicht auf einer naturwissenschaftlich gesicherten Basis beruhen.“
Da sollte man doch meinen, dass das überschüssige Geld für wissenschaftlich belegte Therapien verwendet wird. Stattdessen wirbt die AOK Plus nun mit „Homöopathie für Groß und Klein“. Und, so die Kasse:
Immer mehr Menschen vertrauen auf die Wirksamkeit von alternativen Heilmethoden.“
Daher werde AOK Plus voraussichtlich ab Oktober 2012 die Kosten für Leistungen klassischer Homöopathie übernehmen. In wie vielen Fällen besagtes Vertrauen jedoch auf unzureichenden oder fehlerhaften Informationen basiert, kann nur vermutet werden. Ferner dürfte es auch bei dieser Kasse genügend Mitglieder geben, die nichts von der wissenschaftlich nie belegten Homöopathie halten – und derartige „Leistungen“ dennoch künftig mitzahlen müssen.
Dabei finden sich bei Informationen zu „alternativen“ Heilverfahren wie der Kinesiologie vernünftige Sätze wie
Die theoretischen Grundlagen der Kinesiologie widersprechen den medizinischen Kenntnissen vom Bau und der Funktion des menschlichen Körpers“
und
die postulierten Wirkungen (konnten) bisher von den Anwendern der Methode nicht glaubwürdig belegt werden.“
Deshalb handele man hier nach dem Grundsatz, die Versichertengemeinschaft nicht mit den Kosten für ein Verfahren zu belasten, das sich „ausschließlich auf unbewiesene Behauptungen“ stütze und nicht den kasseneigenen hohen Qualitätsansprüchen genüge.
Wer das Verfahren trotzdem anwenden möchte, nutze es eher als ein Element seiner persönlichen Lebensgestaltung – und weniger als notwendige medizinische Therapie. Die Kosten müssten daher vom Einzelnen selbst getragen werden. Das Gleiche trifft allerdings auch auf die Homöopathie zu. Virchow-Bund-Geschäftsführer Heinrich hatte bereits die Vermutung geäußert, dass Kassen mit solchen Angeboten eher Marketing betreiben, um eine bestimmte Klientel zu bedienen (und damit ggf. neue Kunden zu gewinnen).
Ferner wird mit dieser Art der Kundengewinnung, wie sie leider von vielen Krankenkassen auf ähnliche Weise betrieben wird, ein grundlegendes Problem sichtbar: Die Erstattung zweifelhafter Verfahren wie der Homöopathie durch gesetzliche Kassen führt zu einer scheinbaren Legitimation von Behandlungsmethoden, die – hier sei es noch einmal im Original zitiert, „nicht auf einer naturwissenschaftlichen Basis beruhen“ – also wohl auch eher ein Element der persönlichen Lebensgestaltung darstellen. Auch wenn das Sozialgesetzbuch im Falle der Homöopathie und der anthroposophischen Medizin Ausnahmeregelungen für die Erstattung kennt, der Mehrzahl der Versicherten ist damit sicher nicht geholfen.
Es ist allerdings zu befürchten, dass noch weitere Kassen diesem Trend folgen werden.
25. Juni 2012 um 11:11
Es war so sicher wie das Amen in der Kirche, dass das Beispiel der Techniker-Krankenkasse,ihrer gutsituierten aber intellektuell verarmten und metaphysisch orientierungslosen Klientel, den heilsamen Weltengeist in Form von solidargemeinschaftlich finanzierten Zuckerkügelchen anzubieten, den einen oder anderen Nachahmer finden würde.
Ich frage mich nur, wie die Krankenkassen zukünftig die Ablehnung einer Kostenübernahme für andere Quacksalber-Therapien begründen werden?
Mit dem Hinweis auf einen eklatanten Mangel an belastbaren Wirksamkeitsnachweisen?
Ich bin schon auf den ersten cleveren Fachanwalt für Sozialrecht gespannt, der für seinen Mandanten den ganz individuellen Regentanz einfordert und die GKV vor dem Bundessozialgericht vorführt.
25. Juni 2012 um 16:51
Gibt es irgendwo eigentlich Online-Kassenvergleiche, bei denen ich so einen Mumpitz als Ausschlusskriterium definieren kann?
25. Juni 2012 um 17:36
Da freut man sich, dass andernorts die Vernunft wenigstens kleine Siege erringen kann, und dann das. Bevor die Kassen hergehen und ihren Beitragszahlern Geld zurückerstatten oder wenigstens die Beiträge senken finanzieren sie demnächst Hokuspokus. Wenn ich mir als Kind mal wehgetan hatte wurde ich mit Smarties, Tictac oder Gummibärchen „behandelt“ – mir hat’s geholfen! Kann ich damit rechnen dass die zukünftig auch von der Kasse bezahlt werden?
25. Juni 2012 um 19:50
die Stoßwellentherapie, deren Wirkung wissenschaftlich erwiesen ist, wird von der AOK nicht bezahlt.
Solch ein Humbug wie Hundekot D10 oder Vollmond vom 23.5.89 D8 wollen die bezuschussen.
Aber genau das spiegelt den Zustand unserer Gesellschaft wieder, in der alles, was sich nach Pharmazie, Chemie oder Gentechnik anhört, als Teufelszeug verdammt wird, während Schamanentum, Energiemeridiane, Mondkalender, Urincocktails und ähnliche gequirlte Sch… als die Zukunft der Menschheit propagiert werden.
Das alles wird von einer Journaille unterstützt, in der naturwissenschaftliches Denken dermaßen unterbelichtet daherkommt, dass es einen graust.
Unsere lokale Tageszeitung, die sonst als grünes Kampfblatt absolut gegen jegliche Gentechnik feuert, brachte vor einiger Zeit einen Bericht über das Golden-Rice-Project, der äußerst positiv war. Im letzten Abschnitt stellte sich dann heraus, warum. Die Leiterein des Projekts hatte den Schalk im Nacken und erklärte dem Reporter, dass es sich dabei nicht um Gentechnik handelte. Der dachte sich wohl, kann ja auch gar nicht sein, dass so ein tolles Projekt etwas mit diesem Teufelszeug zu tun hat.
Armes Deutschland, alles was uns stark macht, unsere Ingenieurskunst, unsere (wissenschaftliche) Forschung wird auf dem Altar des Aberglaubens und der Quacksalberei geopfert.
25. Juni 2012 um 21:47
Zitat: Wenn ich mir als Kind mal wehgetan hatte wurde ich mit Smarties, Tictac oder Gummibärchen “behandelt” – mir hat’s geholfen!
Folgt man Harald Walachs Erklärungen zum Wirkmechanismus Homöopathie, muss es sich bei Gummibärchen,Smarties oder TicTac um sehr systematisierte Magie handeln. Deshalb wird man auch wahrscheinlich auf Dauer keine kausalen Signale in Gummibärchen, Smarties oder TicTac finden.
Was einen weder bei Gummibärchen, Smarties oder TicTac wundert, noch bei der Homöopathie.
Magic Harry hat also mal wieder den Placebo-Effekt entdeckt, darf ihn aber so nicht nennen, weil er ganz gerne noch ein paar „fremdfinanzierte“ Arzneimittelprüfungen abhalten möchte.
Da darf man Heel und Co. nicht vergraulen.
25. Juni 2012 um 22:55
Gibt es nicht den Straftatbestand der Veruntreuung von Geldern, wenn sie nicht bestimmungsgemäß verwendet werden (in diesem Fall Heilung von Krankheiten)?
26. Juni 2012 um 11:53
@Martin: Cornelius Courts drüben bei den Scienceblogs hatte vor einiger Zeit (als die TK damit anfing) schon mal nach sowas gefragt: http://www.scienceblogs.de/bloodnacid/2011/12/kann-mir-jemand-eine-esoterikfreie-krankenkasse-empfehlen.php
Der Link zu so einer Seite und die Anleitung, wie man bei der Suche vorgehen muss, findet sich ziemlich zu Anfang in den Kommentaren.
Ich bin leider nicht bei denen versichert, aber könnte nicht mal jemand (mit Rückendeckung der GWUP und ähnlicher Organisationen) einen Musterprozess dagegen anstrengen? Mit der Feststellung, dass die Wirkung Homöopathie nicht naturwissenschaftlich belegbar ist, dürfte sich die AOK doch schon selbst gefoult haben, oder?
26. Juni 2012 um 20:44
Danke für die vielfältigen Kommentare. Tatsächlich findet man, wenn man auf die Websites der Krankenkassen geht (ich bitte jeden Interessierten, einfach mal ein paar dieser Seiten zu studieren), fast nur noch Kassen, die wenngleich nicht die Medikamente, dann zumindest die Behandlung erstatten. Und Klagen auf Erstattung von ,,alternativen“ Heilverfahren gibt es ja schon seit etlichen Jahren (http://www.gwup.org/infos/nachrichten/261-erstattung-von-alternativmedizin). Letztlich ist die Begründung, dass viele Menschen ihr Vertrauen in eine Heilmethode setzen,
natürlich noch kein Argument, diese auch zu erstatten. Die belegte Wirkung sollte das Hauptkriterium für die Erstattung sein. Und bei gut überprüften Anwendungen wie der Homöopathie ist die Erstattung schlicht nicht nachvollziehbar.
27. Juni 2012 um 09:44
Nebenbei finanzieren wir die Homöopathie nicht nur als Krankenkassenmitglieder, sondern auch noch als Steurerzahler. In meiner Ausbildung zur Altenpflegerin war für die völlig unkritische Darstellung der Homöopathie ein ganzer Unterrichtstag vorgesehen – genauso viel wie für Evidence Based Nursing. Wer unter meinen Mitschülern nicht schon vorher kritisch dachte, musste beides gleichwertig scheinen. Und das sind öffentliche Gelder.
6. Juli 2012 um 02:00
….sagt mal Ihr Alle die Ihr hier eure Kommentare abgebt incl. dem skeptischen Autor, habt Ihr euch schon jemals mit Homöopatie und der Philospie die dahinter steht, wirklich auseinandergesetzt ??? …oder plabbert Ihr nur das nach was irgendwann einmal Irgendwer irgendwo gesagt hat ?
Wenn die Pharmaindustrie sich ein Schweinegeld für Medikamente,(die sog. Wissenschaftler während eines, von eben Dieser bezahlten, 3 wöchigen Mauritius intensiv Seminares als wirksam erklärten) abkassiert habt Ihr offensichtlich keine Probleme damit….oder ?
…vermutlich glaubt Ihr auch alle noch dass der Euro 2020 auch noch was wert ist…..tssssss
6. Juli 2012 um 08:17
Ja, haben wir. Ich z.B. sogar sehr intensiv – Du auch? Oder plapperst Du vielleicht einfach nur das nach, was Homöopathen erzählen (die wiederum nur das nachplappern, was Hahnemann mal erzählt hat). Fakt ist: es wirkt nicht (damit meine ich: nicht besser als ein auf gleiche Weise verabreichtes Placebo), und daran ändern auch die teilweise kriminellen Machenschaften der Pharmaindustrie nichts.
Was irgendwann mal mit dem Euro ist weiß ich nicht, ich warte es einfach mal ab.
6. Juli 2012 um 10:30
@Gudio: Solange Sie glauben, dass hinter Homöopathie eine „Philosophie“ stehen sollte (und nicht etwa Wissenschaft, Studien, Wirksamkeitsnachweise etc.), wundert mich Ihr Statement nicht.
6. Juli 2012 um 11:05
@ Guido
Polemik pur!
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@ Bernd Harder
Herr Harder, es wundert mich, dass Sie auf Guidos Kommentar so freundlich reagiert haben. Oder erhoffen Sie sich von ihm da etwa noch sachliche Argumente oder gar eine informative Diskussion? Ich spiele mal Hellseher: Nee, da kommt nichts mehr von Guido;-)
6. Juli 2012 um 14:00
@Pierre Castell:
<< es wundert mich, dass Sie auf Guidos Kommentar so freundlich reagiert haben. Oder erhoffen Sie sich von ihm …<<
Nein, ich habe nur mal einen freundlichen Tag heute …
7. Juli 2012 um 10:38
@Guido: Ja, die „Philosophie“ hinter Homöopathie ist mir durchaus bekannt. Meine Mutter hat mich eine ganze Weile mit Schüssler-Salzen und ähnlichem vollgestopft.
Persönlich halte ich es da aber lieber mit Medizin, deren Wirkweise wissenschaftlich erklärt und bewiesen werden kann. Ich verstehe vor allem bis heute nicht, warum beim Verdünnungsprozess das Wasser genau weiß, dass es die Informationen des Wirkstoffs behalten muss, die der Fäkalien, denen es in der Kläranlage begegnet ist, aber nicht.