gwup | die skeptiker

… denken kritisch seit 1987.

Das Medium: Fischen im Drüben

| 5 Kommentare

Jetzt isses also raus: Uwe Barschel ist ermordet worden.

Hat er selber erzählt – heute Abend in der RTL-Zuschauerverarsche „Das Medium“. Phänomene gibt’s, die glaubt man gar nicht. Hat die medial schwer begabte Kim-Anne Jannes, Dolmetscherin zwischen Diesseits und Jenseits, tatsächlich Kontakt mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein hergestellt?

Aber nicht doch. Vermutlich hat Jannes – wohl eher jenseits von Gut und Böse – bloß den Skeptiker 1/2007 aufmerksam gelesen. Darin findet sich nämlich der Artikel „Cold Reading“ von Ray Hyman. Untertitel: „Wie man Fremde davon überzeugt, dass man alles über sie weiß.“ In dreizehn leichten Lektionen erklärt darin der amerikanische Psychologie-Professor, wie „Wahrsagen“ und „Hellsehen“ funktioniert. Geben wir Punkt 13 an dieser Stelle einfach mal wörtlich wieder:

Zu guter Letzt, die goldene Regel, die Sie nie vergessen sollten: Erzählen Sie dem Kunden, was er hören will!

Sigmund Freud machte einmal eine faszinierende Entdeckung: Eine seiner Patientinnen war vor vielen Jahren bei einer Wahrsagerin gewesen, die ihr vorhergesagt hatte, sie werde Zwillinge bekommen. Tatsächlich war sie jedoch kinderlos geblieben. Obwohl die Wahrsagerin falsch gelegen hatte, lobte die Patientin sie in den höchsten Tönen.
Freud versuchte das zu verstehen und kam zu dem Schluss, dass die Frau zum Zeitpunkt der Prophezeiung verzweifelt Kinder haben wollte. Die Wahrsagerin hatte dies bemerkt und ihr das gesagt, was sie hören wollte. Daraus schloss Freud, dass erfolgreiche Wahrsager nicht unbedingt jene sind, deren Prophezeiungen sich bewahrheiten, sondern diejenigen, die voraussagen, was sich die Kunden insgeheim wünschen.“

Setzen wir mal voraus, dass Madame Jannes lesen kann – dann dürfte ihr unschwer zum Beispiel ein Interview der Welt mit Barschels Witwe von 2007 verborgen geblieben sein, in dem Freya Barschel die feste Überzeugung äußert, ihr Mann sei ermordet worden:

Selbstmord? Nicht mein Mann. Er war sehr gläubig, auch wenn ich seine Gebete nicht kannte. Selbstmord wäre keine Option für ihn gewesen. Warum auch? Sein Tod war unsinnig. Er hatte sich nichts vorzuwerfen. Er wollte die Vorwürfe widerlegen, er sei der Hauptschuldige in der Bespitzelungsaffäre gegen Björn Engholm. Er wollte sich unbedingt entlasten.“

Gut, nehmen wir einmal an, es war so. Wer waren die Täter? Warum und in wessen Auftrag? Fehlanzeige – jedenfalls bei „Das Medium“. Und so können wir uns nur der Kritik des Berliner Tagesspiegels unter der treffenden Überschrift „Missbrauchs-TV“ anschließen:

Die 66-jährige Freya Barschel, die sich in ihr Trauma des fälschlich beschuldigten Ehemannes eingekapselt hat und das gemeinsame Heim wie ein Mausoleum verwaltet … greift nach dem Strohhalm, den ihr RTL, die Moderatorin Petra Neftel und das ,Medium‘ hinhalten. Auch in anderen beiden Fällen der Emotainment-Doku – der Unfalltod eines Bundeswehrsoldaten, ein Dreifach-Mord auf Mallorca – suchen trauernde Menschen nach Antworten. Kim-Anne Jannes gibt sie ihnen. Im Kern gibt sie ihnen nur das, was alle Betroffenen hören wollen, unterlegt mit dräuender Musik, begleitet von einer schamlosen Kamera, die Gesichter ableckt, angeleitet von einer Moderatorin, die mit Rehaugen, säuselnder Anmache und heftigstem Nick-Nick Menschen und Hellseherin zur Tat motiviert …

Was immer auch die Frauen – es sind ausschließlich Frauen – zur Zusammenarbeit mit RTL gebracht hat, es wird ihnen hoffentlich klar gewesen sein, dass ihnen der Sender nicht professionelle Trauerhilfe anbieten will, sondern ihre Not als frivole TV-Version von Leichenfledderei ausbeutet. Keiner ist allein in seiner Pein, solange es RTL gibt?

,Das Medium‘ kommt wie ein esoterisches ,XY Aktenzeichen ungelöst‘ daher. Für die Ermittlungsbehörden springt jene Kontaktbereichsbeamtin im Totenreich ein. Ihre sensationellen Ergebnisse im Fall Barschel bleiben freilich folgenlos, erst im Abspann gesteht RTL ein, dass Barschels jenseitige Mordversion juristisch nicht relevant ist. Aber seine Witwe weiß jetzt: Vor einem Millionenpublikum ist die Wahrheit im Genfer Hotelzimmer ans Licht gekommen. Welch eine Tragödie, welch ein Missbrauchsfall eines Senders namens RTL.“

Ray Hyman hat das damals so formuliert:

Dasselbe kreative System, das uns Sinn finden und neue Entdeckungen machen lässt, macht uns anfällig für die Ausbeutung durch allerlei Manipulatoren.“

 Wirklich unglaublich ist also nur, wie unkritisch RTL mit dem faulen Zauber umgeht.

Denn was der Privatsender unter dem Deckmäntelchen einer seriösen Show verkauft, lässt einen mehr erschaudern als die Stimmen aus dem Jenseits. Möglicherweise fehlt uns ja auch einfach nur eine gewisse spirituelle Reife, um solchen Bullshit zu verstehen. Doch es wäre wirklich wunder-bar, wenn sich die Geister, die das Fernsehen gerufen hat, bald wieder in Luft auflösen.

Nachtrag: Diese Hoffnung könnte sich sogar erfüllen, denn meedia.de meldet heute:

Da hat auch Seite 1 der Bild nicht geholfen: Der bizarre Pilotfilm der potenziellen Reihe ,Das Medium‘ hat am Sonntagvorabend enttäuscht. 1,82 Mio. 14- bis 49-Jährige sahen zu, der Marktanteil lag mit 16,7 Prozent mehr als einen Punkt unter dem 12-Monats-Normalniveau des Senders und noch deutlicher unter den Werten des Sendeplatzvorgängers ,Schwiegertochter gesucht‘.
Zum Vergleich: ,Schwiegertochter gesucht‘ hatte am vergangenen Sonntag noch 22,3 Prozent geholt, also über 5 Prozentpuntke mehr als jetzt der in der Presse gehypte Pilot ,Das Medium‘. Eine Fortsetzung des Oneshots scheint daher nun sehr fraglich.“

Zum Weiterlesen:

  • RTL nudelt im Nirwana rum, Meedia.de am 30. Oktober 2010
  • GWUP-Thema „Wahrsagen“
  • Großer Spuk mit Freya und Uwe, Spiegel-Online am 1. November 2010
  • Halloween im Haus von Uwe Barschel, Welt-Online am 1. November 2010
  • Geisterstunde mit Uwe Barschel, Süddeutsche am 1. November 2010
  • Halloween im Hause Barschel, Stern am 1. November 2010
  • 60 Minuten Dauerfrechheit bei RTL, Der Westen am 1. November 2010
  • Das Chaos-Format von RTL zu Halloween, meedia.de am 1. November 2010

5 Kommentare

  1. Dieses Theater hat null Glaubwürdigkeit, selbst wenn das Medium in Kontakt mit dem Toten Uwe Barschel im Jenseits stand, so konnte sie keine Beweise liefern, um die zuständige Staatsanwaltschaft zu überzeugen, gegen die Beschuldigten zu ermitteln. Selbst wenn seine Witwe beschwören würde, sie hätte mit ihren Mann gesprochen, so könnte dies auch nur ein Trick sein. Ich bin froh, dass in unserer Jutiz keine Hellseher Urteile fällen, sondern Juristen, die auf Rechtsstaatlichkeit und Beweise angewiesen sind.

  2. @Nicole:

    Haben wir alles schon verlinkt, aber trotzdem danke!

  3. Woher kommt bitte das Zitat über Freud?

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.