In Australien hat eine Frau mit „übersinnlichen Kräften“ eine Leiche gefunden, meldet Welt-Online. Eigentlich auf der Suche nach einem vermissten Kind, habe „ein Gefühl“ sie in einen Park geführt. Dort habe das Medium stattdessen den in Plastik verpackten Torso einer Frau entdeckt.
Soso. „Hellseher im Dienst der Polizei“ sind nicht erst seit der gleichnamigen Spiegel-TV-Reportage ein beliebtes Medienthema (hach, wie doppelsinnig wir heute wieder sind …). Auch der Mystery-Serie „Akte X“ war dieses Phänomen eine Episode wert, und zwar „Der Hellseher“.
In dieser vierten Folge der dritten Staffel verlässt sich die Polizei auf die Dienste des „Unglaublichen Yappi“, eines affektierten „übersinnlichen Ermittlers“, um einen Mörder zu finden. Im Verlauf der Handlung entspinnen sich Dialoge wie der folgende zwischen dem Ermittlungsbeamten Detective Cline und X-Akten-Agent Fox Mulder:
Cline: „Der Unglaubliche Yappi hat gesagt, die Leiche des ersten Opfers hätte man irgendwo deponiert. Und jetzt finden wir sie tatsächlich auf einer Mülldeponie.“
Mulder: „Da läuft es mir ja kalt den Rücken herunter …“
Oder:
Mulder: „Yappi hat behauptet, die Leiche würde bei einem Wasser gefunden. Eine Kirche oder eine Schule wäre in der Nähe. Und er hätte einen kurzen Blick auf den Buchstaben ,S’ oder die Zahl ,7’ erhaschen können.“
Cline: „Und was wollen Sie damit sagen?“
Mulder: „Seine Hinweise sind so vage, dass sie praktisch nutzlos sind, lassen sich aber nach dem Fund dann leicht als zutreffend interpretieren.“
Na, wenn sogar schon Para-Enthusiast Mulder skeptisch ist, dann wird an der Sache wohl nicht allzu viel dran sein? Stimmt.
„Akte X“-Drehbuchautor Glen Morgan hatte bei seinen Recherchen für „Der Hellseher“ das Buch „Psychic Sleuths“ von Joe Nickell gelesen. Nickell, ein ehemaliger Privatdetektiv, ist heute als „Researcher“ (Falluntersucher) für die amerikanische Skeptikerorganisation CSI tätig. Für „Psychic Sleuths“ koordinierte er ein Team von elf Forschern, die mehrere Monate lang den bekanntesten „übersinnlichen Ermittlern“ der USA auf den Zahn fühlten.
Die aufwändige Untersuchung erbrachte ein Null-Ergebnis – und änderte nicht zuletzt auch Glen Morgans Einstellung zu dieser Thematik grundlegend:
Man denkt ja, vielleicht ist das möglich, oder man denkt gar nicht darüber nach. Man überlegt sich: ,Die haben sich einen übersinnlich Begabten dazu geholt, und er hat eine Leiche gefunden. Wow, das ist ja unglaublich.’ Aber dann, wenn man anfängt, ein wenig genauer hinzuschauen, sich konkrete Beispiele ansieht, dann sagt man plötzlich: ,Oh, es ist eigentlich total klar, dass da gar nichts Besonderes dran ist.’“
Neben Nickell führte der amerikanische Psychologe Dr. Martin Reiser beim Los Angeles Police Department zwei eingehende Untersuchungen zum Einsatz von „Sensitiven“ durch. Er bat zwölf „übersinnlich Begabte“, ihm Hinweise auf zwei gelöste und zwei noch ungeklärte Verbrechen zu geben. Die Ergebnisse nannte Reiser schließlich „wenig bis gar nicht hilfreich“.
Für einen neuerlichen Test beauftragte er gleichzeitig zwölf „Medien“, zwölf Kriminalbeamte und zwölf Collegestudenten mit demselben Fall. Heraus kam dabei, dass die „Medien“ zwar zehnmal so viele Informationen zu Protokoll gaben als die beiden anderen Gruppen – damit aber keinen Deut mehr zur Lösung beitrugen.
Die Autoren Jane Ayers Sweat und Mark W. Durm schrieben 1993 die Police Departments von 50 amerikanischen Großstädten an. Sie wollten wissen, ob die Polizei tatsächlich die Dienste von „übersinnlichen Ermittlern“ in Anspruch nehme. Die Befragten gaben an, nie auf übersinnliche Weise Informationen einzuholen. Mehr noch: Die meisten beklagten sich bei Sweat und Durm, dass selbst ernannte „Medien“ die Ermittlungen regelmäßig behinderten.
Eine Erfahrung, die auch der Scotland-Yard-Inspektor Edward Ellison bestätigen kann: Bei Nachforschungen in allen acht Londoner Bezirken, für die Scotland Yard zuständig ist, stellte er fest, dass nicht seine Kollegen die „Sensitiven“ aufgesucht, sondern dass diese sich der Polizei aufgedrängt hatten.
Und hier bei uns? Erschien vor drei Jahren der Aufsatz „,Psychic detectives‘ auch in Deutschland? Hellseher und polizeiliche Ermittlungsarbeit“ in dem Fachblatt Die Kriminalpolizei.
Darin heißt es unter anderem:
Die Zahl entsprechender Angebote an die Polizei (steigt) mit zunehmendem massenmedialem Interesse am betreffenden Vermisstenfall stark an … Besonders wichtig ist dem Autor in diesem Zusammenhang der Befund, dass – nach Angaben der befragten Polizeidienststellen – die entsprechenden Hellseher in keinem einzigen Falle einen brauchbaren Hinweis gegeben oder auch nur im entferntesten weitergeholfen hätten.“
Nichtsdestotrotz will sich unser australisches Super-Medium nun intensiv in die Suche nach der vermissten sechsjährigen Keisha Abrahams einschalten. Die Eltern des Mädchen wären indes gut beraten, der „Hellseherin“ barsch die Tür zu weisen.
Wohin der Unfug mit „übersinnlichen Ermittlern“ führt, davon kann zum Beispiel die Familie Tate aus Aylesbeare, Devon (England), berichten, deren Tochter Genette 1978 spurlos verschwand.
In der Folgezeit dienten sich zahllose Hellseher und Wahrsager den Eltern an, mit ihren übersinnlichen Fähigkeiten das Mädchen ausfindig zu machen. Ihr Vater John Tate sagte später dazu aus (zit. nach Lynne Kelly: „The Skeptic’s Guide to the Paranormal“):
Es kamen viele Leute zu uns, die uns einen Hoffnungsschimmer gaben. Am Anfang griffen wir nach jedem Strohhalm. Doch die Versprechungen der ,Medien’ erwiesen sich allesamt als Lügengespinste. Sie weckten nur falsche Hoffnungen.
Manchmal glaubten wir wirklich, wir hätten eine Spur. Die Vorschläge und Ideen der „Sensitiven“ nagten an unserem Verstand. Doch immer, wenn es konkret wurde, führten die angeblichen Spuren nirgendwo hin – außer in tiefste Verzweiflung.
Wir merkten bald, dass die Hellseher, die vor unserer Haustür standen, so eine Art „Vertreter-Typen“ waren, die, wenn sie sich erst einmal eingeschlichen hatten, nicht mehr so einfach wieder fort gingen. Es waren Menschen mit übersteigertem Selbstbewusstsein, die sich unbedingt durchsetzen wollten.
Sie trampelten rücksichtslos auf unseren Gefühlen herum, die ohnehin schon an der Grenze der Belastbarkeit waren. Innerhalb kürzester Zeit versetzten sie uns seelisch völlig in Aufruhr und der Einfluss dieser Leute begann sich äußerst unangenehm auszuwirken. Selbst wenn wir es nicht wollten – sie waren immer da, auf unserer Türschwelle, und erwarteten, dass sie mit offenen Armen empfangen würden.
Wir merkten bald, dass die Tätigkeit der ,übersinnlich Begabten’ nicht nur unsinnig und lächerlich war – sie war übel und bösartig. Als wir erst einmal in diesem Netz der Täuschungen – und genau darum handelte es sich – gefangen waren, war es für uns sehr schwer, uns wieder frei zu kämpfen.
Nichts von alledem führte jemals zu irgend etwas, außer zu immer neuen Enttäuschungen und Verwirrungen. Die Hellseher und Wahrsager hatten uns mit ihren Suggestionen zu Sklaven und Abhängigen gemacht.“
Zum Weiterlesen:
- The Psychic and the Serial Killer: Examining the ‘Best Case’ for Psychic Detectives, Skeptical Inquirer Volume 34.2 (2010)
- Psychic Defective: Sylvia Browne’s History of Failure, Skeptical Inquirer Volume 34.2 (2010)
- Exploding the „Psychic Detective“ Myth
13. August 2010 um 05:50
Gibt eine Serie zu dem Thema: „Medium“ auf Kabel 1. Wikipedia behauptet, die Serie basiere auf einer realen Vorlage.
13. August 2010 um 20:54
Es gibt auch eine South Park Episode über Psych Detectives:
http://www.southpark.de/alleEpisoden/813/
19. August 2010 um 17:47
Das wirklich Schlimme ist, dass das Kind anscheinend bis heute (19.8.2010) nicht gefunden wurde.
21. August 2010 um 23:10
Es gibt die Serie „Psych“ die ganze auf den Arm nimmt. Die Hauptperson Sean wurde von seinem Vater so erzogen, dass er ein gutes Auge für Details hat und diese in Verbindung setzen kann. Da er dann ständig der Polizei Hinweise auf den wahren Täter geben kann, wird er bald selbst für einen gehalten und gibt sich seit dem als Medium aus.