Ostern ist ja auch ein Anlass dafür, dass das Turiner Grabtuch mal wieder durch die Medien geschleppt wird. Es ist Thema in vielen Print- und Onlineausgaben von Zeitungen und Zeitschriften, die Berichterstattung ist leider oft unkritisch bis falsch.
Der aktuelle Beitrag von Frank Ochmann im Magazin Stern 14/2010 vom 31. März 2010 ist solch ein Beispiel von Desinformation, Einseitigkeit bis hin zu Falschaussagen.
Zu Wort kommen dort nur Gläubige, wie Bruno Barberis, der „Direktor des Internationalen Zentrums für Sindonologie“ (von griech. sindone, Stoffstück bzw. Grabtuch). Dieser Klub von unkritischen Verehrern des Tuches wird als Hort der „Grabtuchforschung unter Experten“ hochstilisiert. Es wird von den vielen Freiwilligen geschwärmt, die sich jetzt um die Ausstellung des Turiner Tuches bemühen.
Für die Reise nach Turin wird geworben: „Das Tuch selbst sehen“. Dagegen wird dem Kritiker Bischof Pierre d’Arcis aus dem 14. Jahrhundert Geldgier unterstellt: er habe gewollt, „dass die Pilger und ihr Erspartes zu seiner nach einem Brand noch unvollendeten neuen Kathedrale ziehen statt in das Kaff ein paar Kilometer südlich.“
Und dann muss noch eine Geschichte des Turiner Grabtuches erfunden werden, die die Zeit vor seinem ersten echten Auftreten im 14. Jahrhundert im französischen Lirey abedeckt.
Hierzu dient eine Abbildung im so genannten „Pray-Codex“ (eigentl. : Codex Pray) von etwa 1195, die ein Tuch mit vier Löchern in L-Form zeigen soll, welche angeblich zwei L-formigen Löchern im Grabtuch ähneln.
Ein direkter Vergleich zeigt, dass die Anordnung der Löcher des abgebildeten Objektes vom Tuch abweicht. Zudem kommen solche Löcher und auch an anderen Stellen des gleichen Bildes vor. Das Aussehen des abgebildeten Objektes und die Muster darauf deuten eher auf eine Kiste, einen Sarg oder ein Grab, am linken Ende zerstört, als auf ein Grabtuch hin.
Eine etwas genauere Betrachtung der selbst abgebildeten „Beweise“ hätte hier vielleicht geholfen, aber nicht der vorgefassten Meinung gedient.
Am Ende muss erneut der Mythos vom Blut auf dem Tuch her, sogar die Blutgruppe AB wird genannt. Dass forensische Tests stets gezeigt haben, dass es kein Blut auf dem Tuch gibt, wird geflissentlich ignoriert, nach dem Motto „Wir erfinden einfach unsere eigene Realität“, wie man auch im aktuellen Online-Beitrag von Stern nachlesen kann.
Dort werden auch die mehrfach widerlegte Standardausreden der Grabtuchgläubigen zu der eindeutigen Altersbestimmung des Tuches auf das 14. Jahrhundert wiederholt. Ignoriert wird daher auch folgerichtig, dass der Mikroanalyst Walter McCrone auf nicht nur Eisenoxyd-Pigmente auf Bildstellen, sondern auch den Farbstoff Zinnoberrot auf „Blutstellen“ auf dem Tuch nachgewiesen hat.
Klar fehlen im Bericht der Printausgabe auch die Herstellung einer Kopie des Grabtuches durch Luigi Garlaschelli – im Interview mit Barberis kommt sie zur Sprache – sowie die neueren Funde von Grabtüchern in Israel, diese jüngsten Nägel im Sarg der Echtheitsthese, wenn da noch Platz vor lauter Nägeln wäre.
Jedenfalls lebt die Pseudowissenschaft der Sindonologie mit ihren journalistischen Helfershelfern unter Leugnung der Realität weiter.
Zum Weiterlesen:
- Eine „Spurensuche“ nach dem Turiner Grabtuch in Deutschland, GWUP-Blog am 9. Mai 2015
3. April 2010 um 11:52
„Der ‚Glaube‘ als Imperativ ist das Veto gegen die Wissenschaft, – in praxi die Lüge um jeden Preis.“ (Friedrich Nietzsche)
Zeitlos, wie man sieht …
3. April 2010 um 19:43
arte bringt gerade eine Sendung darüber; ich hab’s allerdings nach 15 min nicht mehr ausgehalten. Argumentationsbeispiel: Ein Gerät, das aus Hell-Dunkel-Differenzen (VP8) dreidimensionale Modelle errechnet – ursprünglich für Satellitenbilder entwickelt – , bringt bei echten Fotos kein wirklich menschliches Gesicht zustande, allerdings beim TuTu (Turiner Tuch). Also ist es echt.
4. April 2010 um 08:56
Ja, das auf ARTE hab ich auch gesehen, eine echte Schande für den Sender, der ja einen Ruf zu verlieren hat… das war so schlecht, ich habs auch nicht fertigsehen können… mit so superdupi Experten, die meinten, das Teil könnte man nicht reproduizieren… der Witz ist, am späteren Abend lief auf Super RTL (fragt mich bitte nicht, wie ich da überhaupt gelandet bin) ebenfalls eine Doku, in der es unter anderem auch um das Grabtuch ging. Das war zwar auch alles sehr reißerisch, ABER: alle Einwände gegen die Echtheit kamen zu Wort, einschließlich der sonst immer ignorierten Webtechnik und dass im Palästina des 1. Jahrhunderts die Leute gar nicht in komplette Tücher gehüllt wurden, sondern in mehrere Bandagen…
Man kam sich echt vor, wie in nem Paralleluniversum, Super RTL berichtet deutlich seriöser als ARTE. Ist wohl auf nix mehr Verlass ;-)
5. April 2010 um 18:59
der STERN ist so ein witzblatt geworden…
6. April 2010 um 11:33
Stellt euch vor, das Grabtuch wäre wirklich rund 2000 Jahre alt und es würde auch das Abbild eines Mannes zeigen, der gekreuzigt worden ist. Noch eins drauf: Es könnte wissenschaftlich bewiesen werden, dass es sich dabei tatsächlich um den historischen Herrn Jesus von Nazareth gehandelt haben muss. Was dann? Nichts! Denn dass Jesus eine historische Person ist, muss nicht bestritten werden. Dass er aber als Gottes Sohn nach dem Tode auferstanden und gen Himmel gefahren ist, kann kein Grabtuch beweisen – ob echt oder gefälscht. Als Gottesbeweis taugt das „TuTu“ also in keinem Fall.
Johannes
6. April 2010 um 13:56
Ob dass Turiner Grabtuch echt ist oder nicht, ist mir relativ egal.
Es gibt sehr einseitige Berichte darüber. Leider ist auch Ihr Artikel sehr einseitig und nicht gerade sachlich. Wenn Sie schrieben „Dass forensische Tests stets gezeigt haben, dass es kein Blut auf dem Tuch gibt, wird geflissentlich ignoriert,..“ so entspricht das nicht den Tatsachen.
Ich kann dazu den Bericht empfehlen, der auf Arte lief. Da kommen viele Wissenschaftler zu Wort, die sich sehr intensiv mit dem Grabtuch beschäftigt haben. Und dort werden eine Reihe der Widersprüche, u.a. auch hinsichtlich der Altersbestimmung, aufgeklärt.
6. April 2010 um 14:04
Was die Alterbestimmung angeht: Einer der Forscher (Raymond Rogers) , die die Alterbestimmung vorgenommen hatten und denen Kritiker vorhielten, dass die Alterbestimmung falsch sei, hatte sich heftig gegen die Kritiker gewehrt bis er schließlich selbst feststellte, dass die Proben zur Altersbestimmugn von einer Ecke entnommen worden waren, die offenbar im Mittelalter mit Baumwelle ausgebessert worden war. Dadurch wurde die Alterbestimmung verfälscht.
Die Erkenntnisse von Rogers wurden später von anderen Forschern bestätigt und Baumwollfäden am Grabtuch entdeckt.
6. April 2010 um 14:08
Der SuperRTL-Bericht seröser? Das Leichen oft mit Bändern gebunden wurden, wurde dort sehr oft genannt, aber es beweist nichts. Das empfand ich schon als sehr oberflächlich.
8. April 2010 um 07:08
@Helmut: was ist oberflächig daran, wenn man sagt, dass archäologische Funde zeigen, dass das Turiner Grabtuch nicht den Bestattungsriten im Palästina des 1. Jahrhunderts entspricht, weil man die Leute da eben eher in Bandagen gehüllt hat, statt in ein komplettes Tuch? Und wieso sollte der ARTE-Bericht, der das schlicht verschwiegen hat (offenbar weil er keine Antwort darauf hat), dann besser sein? Und das mit der Baumwollausbesserung würde man in der Juristerei wohl Schutzbehauptung nennen. ;-) Lies mal, was Wikipedia zu der Radiokohlenstoffdatierung des Tuches schreibt. Danach sollte eigentlich klar sein, dass die Behauptung einer falschen Datierung verzweifeltes Gesabbel von Leuten ist, die einfach nur nicht wollen, dass das Tuch aus dem Mittelalter stammt.
10. April 2010 um 23:10
Hallo!
Wer von euch Superexperten ist denn ein wirkllicher experte und kein selbsternannter, der nur von den verschiednen – gegnerischen wie gläubigen – Sichtweisen in den verschiedenen Medien manipuliert wurde?
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich bin selbst kein Experte, kann aber Argumente von polemischen und Glaubensaussagen ganz gut unterscheiden.
Ich bin nicht aus Glaubensgründen an der Sache ineterssiert. (Meinetwegen kann das Tuch auch vom Papst persönlich gemalt oder direkt durch eine Wirkung des heiligen Geistes geschaffen worden sein.
Aber ich finde es ein interessantes Thema, weil hier ein Stück menschlicher Kultureschichte geschrieben wurde/wird. Das macht die Frage „Was steckt wirklcih hinter dem Grabtuch?“ recht spannend. Mögen die Gegner eines echten Grabtuches auch sagen, dass hier ein Stück „Fälschungsgeschichte“ geschrieben wird – dann wird das nur umso spannender.
Bei euren bisherigen Beiträgen aber vermisse ich einen abgeklärten Sinn.
Skepsis ist für mich eine Frage des Prinzips: Nämlich auch skeptisch gegenüber der Skepsis selbst sein .:)
11. April 2010 um 13:07
@Jim: Es würde uns leichter fallen, darauf zu antworten, wenn wir in dem Posting irgendeinen konkreten Sinn oder eine Frage erkennen könnten. Oder ist die Eingangs-Beleidigung tatsächlich als ernsthafte Frage gemeint, Jimbo?
Vielleicht fangen wir mal damit an, dass Du uns konkret „polemische“ Aussagen nachweist, Du Super-Nicht-Experte?
11. April 2010 um 15:25
Ach, immer diese blöde Diffamierung der „selbsternannten“ Experten… Experte ist nunmal weder ein anerkannter Abschluss, noch währe es wünschenswert nur Zertifizierten Experten Kritik u. Analyse zuzugestehen. Widerleg mal die Massenhaften Belege der „Selbsternannten“ Experten, Jim, und stütze dich dabei nicht nur auf Fernsehdokus, die es meist nicht mal nötig haben im Abspann ihre Quellen offen zu legen. Und welchen Abgeklärten Sinn (was soll das überhaupt sein?), vermisst du denn? Die Fakten werden genannt, wer den Links folgt findet die Belege, alles schön klar und ohne ein hier unangebrachtes „Einerseits … Andererseits…“, und die Argumentation mach Sinn. Das eine auseinandersetzung mit den Gründen der Grabtuch hysterie und andren Kulten um Reliquien über die simple Widerlegung von Behauptungen hinauszugehen hätte (falls das gemeint sein sollte): Natürlich. Ist aber kaum das Tätigkeitsfeld der Gwup.
11. April 2010 um 20:09
Es gibt aber Gegenargumente zu den Gegenargumente. Denke es ist schon ein paar Jahre her als ich mal darüber was sah, da wurde eben zB zu den Baumwollfasern gesagt, dass diese auch von einer späteren Ausbesserung stammen könnten.
Soetwas würde ich hier auch gerne dazulesen, den wenn ein Sketiker nur sketisch gegenüber anderen ist wird es wieder unglaubwürdig.
12. April 2010 um 11:43
@NochEinNichtExperte: Ich denke, dazu wird auf den GWUP-Seiten einiges gesagt („Sieben Mythen über das Turiner Grabtuch“, „Das Turiner Grabtuch – Fragen und Antworten“ etc.)
Indem man gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse immer wieder aufs Neue mit unsinnigen Behauptungen und Wunschdenken infrage stellt, ändert man eigentlich an der Sachlage nichts.