Weitere Schritte [in Sachen Heilpraktiker] werden folgen müssen“,
sagte ein Ministeriumssprecher im Dezember dem Berliner Tagesspiegel.
Zwei Tage vor Weihnachten hat nun das Bundesministerium für Gesundheit die neuen „Leitlienien zur Überprüfung von Heilpraktikeranwärterinnen und -anwärtern“ bekanntgegeben.
„Mangelhaft“ und „mit wenig Problembewusstsein ausgearbeitet“ findet Udo Endruscheit dieses Mini-Reförmchen.
Sein Kommentar dazu ist bei Keine Ahnung von Garnix erschienen.
In der Tat: Weitere Schritte werden 2018 folgen müssen. Denn für nahezu sämtliche Heilpraktiker-Methoden gilt das, was das INH in seinem Jahresrückblick zur Homöopathie schreibt:
Wir sind uns sicher, dass die Homöopathie Menschen an Falsches glauben lässt, zu schlechter Medizin führt und deshalb keine Zukunft haben darf.
Wir übersehen dabei nicht, dass auch die wissenschaftsbasierte Medizin wie jedes menschengemachte System nicht fehlerfrei ist und Schwächen hat. Uns geht es in jeder Hinsicht um das Wohl von Patienten – und um Ehrlichkeit.“
Zum Weiterlesen:
- Heilpraktiker – Gefahr oder Segen? tagesspiegel am 17. Dezember 2017
- Heilpraktiker wollen lieber „Indianer“ sein, anstatt wissenschaftlich zu arbeiten, GWUP-Blog am 19. September 2017
- „Ekelhafte Lobbyistenaktivität“: Münsteraner Kreis zu den Heilpraktiker-Vorwürfen, GWUP-Blog am 22. August 2017
- Liebe Heilpraktiker, „überzeugt uns, dass Ihr gebraucht werdet. Oder lasst es“, GWUP-Blog am 4. September 2017
- gmp-Podcast: Interview mit Dr. Christian Weymayr zum Heilpraktiker-Memorandum, GWUP-Blog am 9. Oktober 2017
1. Januar 2018 um 16:02
Udo Endruscheits Analyse der Leitlinien sind ziemlich ernüchternd: Ein selbstreferentielles System, das niemandem wehe tun will und vor allem nichts zur Klärung der strittigen Punkte beiträgt.
Solange nicht geklärt ist, was „über die zur Ausübung des Heilpraktikerberufs notwendigen Kenntnisse“ genau bedeutet, ist das ganze wertlos.
Unabhängig davon: Man vergleiche doch bitte einmal die detaillierten Anforderungsaufzählungen der Approbationsordnung für Ärzte und der Weiterbildungsordnungen mit dem allgemeinen Blabla der Prüfungsinhalte.
Man vergleiche doch einmal die Anforderungen an die zentral durch das IMPP ausgearbeiten schriftlichen Examensfragen für die akademischen Medizinalberufe mit denen für die HP-Prüfung – die zudem nicht bundeseinheitlich sein müssen. Oder die Zusammensetzung des Prüfungsausschusses. Oder die gewundenen Ausführungen zum sektoralen Heilpraktiker, die mit dem grandiosen Satz endigen: „Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass damit keine Bestätigung von sektoralen Heilpraktikererlaubnissen als solchen verbunden ist.“
Und dann noch die Gefahr der zusätzlichen Verwässerung dieser Pseudovereinheitlichung dadurch, dass die Ländern, so sie möchten, das ganze Konvolut noch „ergänzen“ können. Verfassungsrechtliche Begründung: „Ihre Grenze findet die Leitlinie dort, wo sie über die Mindestanforderungen an die Überprüfung hinausgeht und in Durchführungskompetenzen der Länder eingreift.“
Und weiter: „Sie kann weiterhin nicht Anforderungen an den Heilpraktikerberuf stellen, die dem Parlamentsvorbehalt unterliegen, nach dem der Gesetzgeber aufgrund des Rechtsstaatsprinzips und des Demokratiegebots verpflichtet ist, insbesondere im Bereich der Grundrechtsausübung alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen.“
Ich halte beides (als Laie auf diesem Gebiet) für stichhaltig: die Erste Durchführungsverordnung beteiligt die Länder, und das Heilpraktikergesetz als solches ist, wie der Name schon sagt, ein Gesetz und damit haben Bundestag und Bundesrat die Befugnis, es zu ändern oder abzuschaffen, nicht aber die Bundesregierung!
Insofern sind die Leitlinien bestensfalls eine gutgemeinte Vorbereitung für einen Gesetzesentwurf der Bundesregierung, schlechtenfalles aber nur ein überflüssiger Haufen Papier.
In diesem Kontext möchte ich Herrn Endruscheit und auch Herrn Harder um eine Korrektur in den Überschriften bitten: Es handelt sich eben NICHT um RICHTlinien, die normative Forderungen erheben, sondern um bloße Empfehlungen (der Unterschied wird in https://de.wikipedia.org/wiki/Richtlinie gut erklärt), d.h. theoretisch könnten die Länder nicht nur Ergänzungen treffen, sondern auch das ganze komplett ablehnen oder ändern.
Eine letzte stilistische Kritik: Bislang habe ich den Patienten für eine Teilmenge der Gesamtheit des Volkes/der Bevölkerung gehalten, also ist die Ergänzung, daß der Heilpraktiker nicht nur für die Volksgesundheit, sondern auch für den konkreten einzelnen Patienten keine Gefahr darstellen möge, überflüssig.
Bislang konnte sonst der etwas unerfreuliche Eindruck entstehen, daß es schon in Ordnung ist, wenn ein Patient durch Unfähigkeit verstirbt, solange das Volk z.B. nicht von einer Seuche dahingerafft werde („Du bist nichts, Dein Volk usw. usf…“).
Wenn eine wünschenswerte Revision des Braunsprechs in diesem Gesetz erfolgen soll, ist es daher nicht nur angebracht, den Begriff der „Volksgesundheit“ durch „Gesundheit der Bevölkerung“ zu ersetzen, sondern ihn ganz fallen zu lassen oder wenigstens den Patienten an erster Stelle zu setzen und die Bevölkerung an die zweite.
Anmerkung: §1 (1) der Bundesärzteordnung: „Der Arzt dient der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes.“ –>
Eine positive Definition des Berufs mit dem meiner Meinung nach klaren Vorrang des Individuums vor dem Kollektiv.
1. Januar 2018 um 22:39
@borstel: Ich habe schon im November 2016 anhand der allerersten Absichtserklärungen zur „Heilpraktikerreform“ die großartige Erweiterung von „Gefährdung der Volksgesundheit“ hin zu „Gefährdung des einzelnen Patienten“ als „belangloses Wortgeklingel“ bezeichnet (https://keineahnungvongarnix.de/?p=2547). Und dabei bleibe ich natürlich. Rabulistik eben.
Die Taktik des Bundesgesundheitsministeriums, sich auf die Zuständigkeiten der Länder oder wahlweise auf den „Pluralismus im Gesundheitssystem“ zurückzuziehen, ist chronisch.
Gleiches geschah bei den Offenen Briefen des INH zur Homöopathie an Gröhe. Man tut in Berlin so, als seien nicht Bundesgesetze (das SGB V und das GKV-Versorgungsstrukturgesetz für die Homöopathie, das Heilpraktikergesetz für die Heilpraktiker) maßgebend und müssten auf den Prüfstand, sondern es komme auf Ausführungsbestimmungen, Zuständigkeiten, Beteiligungsverfahren und vor allem einen unkritischen Pluralismus als Ausdruck eines falschen Demokratieverständnisses an.
Nun muss man sehen, dass hier ein Auftrag aud dem Jahr 2016 „abgearbeitet“ wurde. Das war noch vor dem Sturm, insbesondere vor dem Münsterander Memorandum und der unsäglichen Reaktionen der Heilpraktikerszene darauf, die selbst alle Urteile über sie bestätigte. Ob die Politik es schaffen wird, sich selbst insofern „upzudaten“?
Es ist wie immer eine Frage von Einfluss, Kraft und – Mut. Denn es gibt, wie ich weiß, im politischen Bereich schon Leute, die der Heilpraktikerszene nicht weniger kritisch gegenüberstehen als z.B. der Münsteraner Kreis.
1. Januar 2018 um 23:41
@ borstel: Ganz sicher ist bei Friseuren oder, um im medizinischen Bereich zu bleiben, Physiotherapeuten, deutlich detaillierter geregelt, was sie dürfen und was nicht.
Es gibt einen Meisterzwang für viele Berufe, aber Heilpraktiker dürfen ohne Nachweis auch nur der elementarsten Ausbildung dasselbe wie und teils mehr als Ärzte mit zig Jahren intensiver Ausbildung.
Die Absurdität ist kaum zu fassen!
2. Januar 2018 um 16:28
@ gnaddrig:
Es gibt doch diesen schönen alten Spruch: „Wer nichts wird, wird Wirt. Und ist ihm nicht mal das gelungen, dann macht er in Versicherungen.“
Ich schlage hiermit eine Erweiterung vor: „Und ist man auch Postfaktiker, dann wird man halt Heilpraktiker.“
3. Januar 2018 um 09:04
Leider bemerken viele Menschen nicht den Irrsinn:
Der Heilpraktiker darf Krankheiten therapieren, die er gar nicht in der Lage ist zu diagnostizieren.
3. Januar 2018 um 12:35
@noch’n Flo
Die Erweiterung ist genial. Darf ich mir die klauen und weiterverbreiten? :)
3. Januar 2018 um 13:45
@ RPGNo1:
Klar doch, sogar gerne. Bin mal gespannt, ob ich irgendwann, irgendwo drüber stolpere.
3. Januar 2018 um 16:56
@ Ich:
Das ist die Kehrseite der Medaille, wenn man ihn dafür lizensiert, Krankheiten zu heilen, die es gar nicht gibt.
3. Januar 2018 um 19:42
@ klauszwingenberger: Mit Methoden, die nicht wirken.
4. Januar 2018 um 13:24
@gnaddrig:
Bestenfalls nicht wirken. Bei nicht-existenten Krankheiten wäre mir nichts so unrecht wie eine Wirkung.
4. Januar 2018 um 18:08
Stimmt, und wenn man Pech hat, wirken sie doch. Wenn etwa der Chiropraktiker es mit seinen Manipulationen an der Halswirbelsäule übertreibt kann das böse schiefgehen.