Ein Gastbeitrag von Dr. Rudolf Öller
Die Notfallmedizin ist einer von vielen blinden Flecken in der Homöopathie. Wenn man näher hinschaut, wird klar, warum das so ist.
Der so genannte Ersthelfer macht keine Diagnose, aber er darf und muss eine Notfalldiagnose erstellen. Bei starken Blutungen, bei Bewusstlosigkeit, bei Kreislaufstillstand usw. ist es wichtig, dass der Ersthelfer die richtige Notfalldiagnose erstellt. Aus der Ersten Hilfe wissen wir, wie bewusstlose Patienten erkannt werden und welche Maßnahmen zu setzen sind.
Bewusstlose Patienten, die auf dem Rücken liegen, drohen an Erbrochenem, an Blut oder am Zurücksinken der eigenen Zunge zu ersticken. Aus diesem Grund müssen sie in die so genannte stabile Seitenlage gebracht werden. In jedem Erste-Hilfe-Kurs lernt man, wie es richtig gemacht wird.
Bei Patienten mit Kreislaufstillstand muss sofort mit der Reanimation (Beatmung und Herzdruckmassage) begonnen werden. Idealerweise sollte auch ein vollautomatischer Defibrillator zum Einsatz kommen.
Auf gar keinen Fall darf einem bewusstlosen Patienten oder einem Patienten mit Kreislaufstillstand oral (durch den Mund) etwas verabreicht werden.
Das Team des Notarztes geht in der Regel folgendermaßen vor: Schwer verwundete Patienten (Verbrennungen usw.) werden zunächst ins künstliche Koma versetzt. Dabei wird ein Gemisch von Dormicum und Ketamin und Propofol intravenös verabreicht. Letzteres Mittel wird in der Notfallmedizin am häufigsten verwendet, weil es rasch wirkt und für Notärzte leicht zu dosieren ist.
Wenn der (bewusstlose) Patient intubiert und künstlich beatmet werden muss, müssen Muskelrelaxantien verabreicht werden, wie etwa Esmeron®. Andernfalls würde die Intubierung nicht funktionieren. Zur Stabilisierung des Kreislaufs werden zudem Infusionen mit isotonischen (auch „physiologischen“) Kochsalzlösungen routinemäßig verabreicht.
Die beschriebenen Maßnahmen zählen zum Standardprogramm in der Intensiv- und Notfallmedizin.
Auf der Internetseite homoeopathie-online.info findet sich ein Interview mit Dr. Klaus-Roman Hör. In diesem Interview wird behauptet, dass Homöopathie in der Notfallmedizin eine hohe Wirksamkeit erzielt. Hier kann es sich nur um eine Fehlinformation handeln.
Zwei Passagen aus dem Gespräch mögen dies verdeutlichen:
Hör: Die Homöopathie [ist] bei allen physischen, psychischen oder emotionalen Verletzungen und bei Schockgeschehen außer Blutungen gut einsetzbar.“
Dass Dr. Hör den schwammigen Begriff „emotionale Verletzungen“, der mit Notfallmedizin nichts zu tun hat, mit „Schock“ in einem Atemzug nennt, bestärkt den Verdacht, dass der Arzt von Notfallmedizin bestenfalls eine geringe Ahnung hat.
Frage: Können etwa konventionelle Medikamente oder Eingriffe durch die Homöopathie zu Teilen oder ganz ersetzt werden?
Hör: Ja, das funktioniert sehr gut. Beispielsweise bei der üblichen Infusion mit Natriumchlorid. Aber auch Antiarrhythmatika, die gegen Herzrhythmusstörungen eingesetzt werden, und ebenso Beruhigungsmittel können durch homöopathische Medizin ersetzt werden.“
Eine physiologische Kochsalzlösung ist eine so genannte „gepufferte Lösung“, deren Funktion unter anderen darin besteht, den pH-Wert des Blutes stabil zu halten. Eine Verabreichung von homöopathischen anstelle von isotonischen Lösungen würde den Tatbestand der schweren Verletzung, wenn nicht sogar der Tötung erfüllen.
Kein vernünftiger Arzt wird jemals auch nur daran denken, Wasser intravenös zu verabreichen. Dass eine Herzrhythmusstörung viele Ursachen haben kann und primär nicht in die Notfallmedizin gehört, sei nur noch am Rande erwähnt. Das Gleiche gilt für Asthma.
Es gibt noch ein Problem: In homöopathischen Büchern findet man genaue Angaben, welche Mittel in welcher Potenz bei Erkrankungen zu verabreichen sind. Bei bewusstlosen Patienten lässt sich aber manchmal gar nicht feststellen, was der Grund für die Bewusstlosigkeit ist. Von einem Unfall über Unterzucker bis hin zum Herzinfarkt gibt es tausend Ursachen.
Aus diesem Grund werden bewusstlose Menschen vom Ersthelfer zunächst in eine stabile Seitenlage gebracht. Das Notarztteam stabilisiert den Patienten und bringt ihn in den Schockraum des nächsten Krankenhauses, wo nach diagnostischen Maßnahmen eine weitere Behandlung erfolgt.
In der Notfallmedizin haben homöopathische Mittel nicht nur nichts zu suchen, sie sind sogar lebensgefährlich.
Zum Weiterlesen:
- Homöopathische Notaufnahme: Das Buch zum Film, GWUP-Blog am 3. Dezember 2010
4. Juni 2017 um 20:54
Immer wenn man meint, der Sättigungsgrad an Verblendung sei längst erreicht, wird man wieder eines Besseren belehrt.
Die Äußerungen dieses Dr. Hör sind eine Aufforderung zum schweren Totschlag.
Google zeigt, dass der Herr äußerst umtriebig ist und noch so manche Überraschung aus der Zuckerkiste bereithält.
Wann endlich wird solchem Zeug konsequent vom Gesetzgeber ein Riegel vorgeschoben?
5. Juni 2017 um 05:15
Ich hatte diesen Artikel schon vor längerer Zeit entdeckt und mich sehr darüber gewundert. Erstaunt bin ich, dass das ganze eine Veröffentichung einer Ärztevereinigung ist. Schön, dass hier Stellung dazu genommen wird.
5. Juni 2017 um 06:23
Da stockt einem der Atem angesichts solcher Behauptungen (aber bitte nicht homöopathisch behandeln!).
Dann darf der Tod an Ateminsuffizienz, Status asthmaticus oder Verbluten wohl als Erstverschlimmerung betrachtet werden? Vielleicht sollte man mal ermitteln, wieviele akut lebensbedrohliche Erkrankungen dieser Dr. Hör bereits (ausschließlich) homöopathisch behandelt hat – das wäre nämlich ein Kunstfehler, eine vorsätzliche Körperverletzung und unterlassene Hilfeleistung.
Und ein Fall für das Kammergericht, denn eine solche Praxis wäre mit dem ärztlichen Berufsrecht nicht vereinbar.
Wie der Autor bereits vermutet hat, muss die allgemeine ärztliche Qualifikation angesichts solcher Aussagen angezweifelt werden. Auch von Psychiatern, Laborärzten und Epidemiologen darf erwartet werden, dass sie die Grundlagen der wissenschaftlichen Medizin kennen.
Dass sich der DZvhÄ nicht entblödet, einen solchen Artikel zu veröffentlichen, spricht ebenfalls Bände. Hier zeigt sich wieder einmal die absolute Realitätsferne dieses Vereins.
5. Juni 2017 um 13:14
@nota.bene
„…Wie der Autor bereits vermutet hat, muss die allgemeine ärztliche Qualifikation angesichts solcher Aussagen angezweifelt werden…“
Aus dem Artikel: „…Hör ist leitender Notarzt im Landkreis Cham und Betreuungsarzt im örtlichen Bayerischen Roten Kreuz…“
5. Juni 2017 um 14:28
@ Ich: Ob da der Arbeitgeber mal genauer hinschauen sollte? Das ist ja schon, hm, ein wenig grenzwertig.
5. Juni 2017 um 17:21
langsam sollte mal aufgehört werden mit dem strammstehen vor titeln,
völlig egal ob dr. prof. auch nobelpreisträger wenn jemand blödsinn verzapft dan tut er das unabhängig seines titels. und dann ist er dämlich , titel schützen nicht vor geistigem kurzschluß.
wer wie ich mal eine ganze nacht mit den wahnsinnigsten schmerzen im kh rumgewimmert hat, und von der nachtschwester nichts als kügelchen bekommen hat(am nächsten morgen hatte ich nach 2 minuten eine morphiumpumpe) der hat eine höllenwut auf homöos, wenn es möglich gewesen wäre hätte ich die umgebracht.
und dieser „dr. hör“ sollte sich nicht wundern wenn mal jemand aus verzweiflung ihm die zähne entfernt, ich als richter würden dem noch ne prämie zusprechen.
5. Juni 2017 um 20:48
Schrecklich, diese Wichtigtuer. Für ein Interview, eine Meldung in der Lokalzeitung oder einen Vortrag vor esoterisch verblödeten Spiessern, tun die alles. Und es hat offensichtlich keine Konsequenzen.
6. Juni 2017 um 08:01
Hier wird absichtlich die Aussage des Arztes falsch ausgelegt. Er behauptet gar nicht notfallmedikamente ersetzen zu wollen, sondern Homöopathie zusätzlich zu geben über die NaCl Infusionen.
Seiner Erfahrung nach sind nur bei psychischen Problemen und herzrythmusstörungen (die sehr wohl eine notfallindikation sein können) vielleicht primär erst homöopathische Mittel zu verwenden, wo man bei nicht-Wirksamkeit immer noch ein schulmedizibisches präparat geben kann.
Der Arzt lässt keinen dogmatischen entweder-oder Schluss zu, wie er hier falsch interpretiert wird.
Und die Kompetenz dieses Notfallmediziners abzusprechen, weil er Homöopathie zusätzlich benutzt, geht auch überhaupt nicht. Das ist schon fast illegale Rufschädigung.
6. Juni 2017 um 08:18
Hier wird absichtlich die Aussage des Arztes falsch ausgelegt. Er behauptet gar nicht notfallmedikamente ersetzen zu wollen, sondern Homöopathie zusätzlich zu geben über die NaCl Infusionen.
Woraus schließen Sie das?
Die Frage war eindeutig:
„Können etwa konventionelle Medikamente oder Eingriffe durch die Homöopathie zu Teilen oder ganz ersetzt werden?“
Und die Antwort ebenfalls:
„Ja, das funktioniert sehr gut. Beispielsweise bei der üblichen Infusion mit Natriumchlorid. Aber auch Antiarrhythmatika, die gegen Herzrhythmusstörungen eingesetzt werden und ebenso Beruhigungsmittel können durch homöopathische Medizin ersetzt werden. Bei der Behandlung von beispielsweise Asthma bronchiale können homöopathische Ärzte die Gabe von Antiasthmatika durch die Nutzung von Homöopathie teilweise oder komplett vermeiden.”
Die Infusionslösung wird lediglich als Beispiel (von offenbar mehreren Möglichkeiten) für einen Verabreichungsweg genannt und von “zusätzlich” ist keine Rede, weder in der Frage noch in der Antwort. Wäre dem Herrn an einer Klarstellung gelegen gewesen, wäre er sicher in der Lage gewesen, das eindeutig zu formulieren.
Seiner Erfahrung nach sind nur bei psychischen Problemen und herzrythmusstörungen (die sehr wohl eine notfallindikation sein können) vielleicht primär erst homöopathische Mittel zu verwenden
Eben nicht. Er sagt an dieser Stelle nicht “nur”, sondern “auch”.
Explizit nach den Grenzen gefragt, lautet seine Antwort:
“Ist die Schädigung eines Organs des Patienten weit fortgeschritten oder erleidet der Patient ein Organversagen, kann die Homöopathie nicht mehr helfen.”
Also überaus weitreichend. Ihre Interpretation steht auf sehr wackligen Beinen.
6. Juni 2017 um 09:02
@ Lionhart
„Das ist schon fast illegale Rufschädigung.“
Ach, ist das amüsant…
6. Juni 2017 um 09:55
@ Lionheart:
„Und die Kompetenz dieses Notfallmediziners abzusprechen, weil er Homöopathie zusätzlich benutzt, geht auch überhaupt nicht.“
Doch. Weil er damit gegen alle Guidelines der Rettungsmedizin verstösst. Und er benutzt HP ja offensichtlich nicht ZUSÄTZLICH, sondern ANSTELLE wirksamer Medikamente. Und das ist ein Kunstfehler.
14. August 2017 um 14:26
@Lionheart:
„…dieses Notfallmediziners…“
Eine notfallmedizinisch einschlägige klinische Qualifikation (Anästhesiologie, Innere Medizin, Chirurgie, oder überhaupt irgendein Facharzttitel)des Dr. Hör ist auf der Seite der Bayerischen Landesärztekammer nicht zu finden. Auch die Zusatzbezeichnungen Notfall- oder Rettungsmedizin führt er nicht.
Ich kenne die Vorgehensweise in Bayern nicht, aber die Bestallung als Leitender Notarzt setzt in der Regel eine entsprechende Qualifikation voraus. Ich bezweifle also, dass Dr. Hör Notfallmediziner ist.
In einem hat er allerdings Recht: „Homöopathie kann nicht überdosiert werden“. Alles andere ist gefährlicher Unsinn.
14. August 2017 um 16:19
https://www.arzt-auskunft.de/arzt/praktischer-arzt-zahnarzt/waldmuenchen/dr-klaus-roman-hoer-1221053
Danach ist Dr. Hör Praktischer Arzt und Zahnarzt. Nix mit Notfallmedizin o.ä.
14. August 2017 um 17:04
Im Landkreis Cham scheint man es mit den Qualifikationen der leitenden Notärzte (davon gibt es dort 6) nicht ganz so genau zu nehmen – es gibt dort auch einen Arzt, der Akupunktur und Moxibustion betreibt, Hypnotherapie und manuelle Medizin, ausserdem TCM:
http://www.medizin-1.de/akc/akc/privatfachpraxis/person.php?a=4
Einen Facharzttitel kann ich bei ihm nicht erkennen, aber er hat wohl mal in der Urologie, der Chirurgie und der Orthopädie gearbeitet.
Und da behaupte noch einer, Deutschland habe keine Probleme beim Arztnachwuchs…
14. August 2017 um 18:29
@noch’n Flo
Eine Frage an den Experten: Wenn der von dir vorgestellte Arzt keine Facharztausbildung hat, dann erhält er (in Deutschland) doch auch keine Kassenzulassung und kann nur eine Privatpraxis betreiben. Ist meine Annahme korrekt, oder bringe ich da etwas durcheinander?
14. August 2017 um 18:51
Die Anforderungen an leitende Notärzte sind wohl doch nicht so hoch:
„Zur Sicherstellung einer entsprechenden aktuellen Erfahrung in Fragen des Rettungsdienstes muss der Leitende Notarzt regelmäßig im Rettungsdienst tätig sein. Dies bedeutet NICHT, dass er täglich diese Aufgabe selbst übernimmt. Auch Ärzte, die als Leiter eines Notarztdienstes GELEGENTLICH selbst Einsätze übernehmen, sind kontinuierlich im Rettungsdienst tätig.“
(Quelle: http://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/Leitender_Notarzt-Empfehlungen-29032007.pdf )
Immerhin:
„Der LNA muss den Fachkundenachweis „Rettungsdienst“ besitzen oder eine gleichwertige Fortbildung nachweisen.“
(Quelle: s.o.)
Diesen Nachweis konnte man allerdings bis 31.7.2009 in Bayern nur durch einen 80stündigen Kurs und 18 Monate klinische Erfahrung erwerben. Ab dem 1.8.2009 waren dann mindestens 50 Einsätze (30 unter Supervision eines erfahrenen Notarztes, 20 alleine) sowie 6 Monate Weiterbildung in Intensivmedizin, Anästhesiologie oder der
Notfallaufnahme verpflichtend, dafür gibt es seither die Zusatzbezeichnung „Notfallmedizin“. (Quelle: http://www.blaek.de/fortbildung/fachkunden/FKRD-Zusatzbezeichnung.pdf )
Wir haben es hier also anscheinend mit den „Altlasten“ einer früher recht leicht zu erlangenden Zusatzbezeichnung zu tun.
14. August 2017 um 18:54
@ RPGNo1:
Deine Annahme ist grundsätzlich korrekt – ausser, der Kollege hat noch die alte Bezeichnung „praktischer Arzt“ (gab es, wenn ich es richtig erinnere, bis Anfang der Nuller-Jahre), für die man lediglich eine gewisse Zeit in Klinik und Praxis gerabeitet haben musste, eine Prüfung erfolgte seinerzeit nicht. Auch damit konnte (kann?) man in Deutschland eine Kassenzulassung bekommen.
14. August 2017 um 20:16
@noch’n Flo
Vielen Dank!