Es wird schwierig – um an unseren Blogpost vom 4. September anzuknüpfen.
Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt sieht bei den aktuellen Protesten gegen hohe Energiepreise lediglich „ein paar Rechte mitlaufen“, weshalb er jegliche Kritik an solchen Demonstrationen als „Delegitimierung abweichender Positionen“ betrachtet.
Die Aufforderung, nicht mit Rechten zu demonstrieren, übersetzt Poschardt eindimensional in „am besten gar nicht demonstrieren“.
Darum geht es aber gar nicht, wie wir in
Von der Corona-Krise zum Wut-Winter – Aluhut-Träger und die Mitte der Gesellschaft
ausgeführt haben.
Spiegel-TV zeigt in einem aktuellen Beitrag (zirka 28 Minuten), wie „rechtsextreme Politiker, stramme Neonazis und pseudointellektuelle Querköpfe“ nach der angeblichen „Corona-Diktatur“ nun von der „Gas-Diktatur“ schwadronieren. Ihre Beobachtungen kommentieren die Reporter:
Alles sehr verkehrt und sehr beunruhigend. Populisten haben keine Lösungen, nur Parolen. Ihnen geht es um Panikmache, nicht um Politik.
Auch Die Zeit macht vor allem bei den Protesten in Ostdeutschland eine „rechte Vorherrschaft“ aus.
In den Reden der Auftaktkundgebung [in Magdeburg] spielen die Nöte der Menschen nur eine untergeordnete Rolle. Da sind auch die jüngsten Krisen nichts weiter als weitere Bestandteile eines heimtückischen, großen Plans. Es sind Verschwörungserzählungen, die von manchen Teilnehmern der Demonstration schon seit Jahren verinnerlicht worden sind.
Natürlich ist nicht jeder, der „die Energie-, die Haushalts- oder die Corona-Politik der Regierung kritisiert“, ein Extremist – es bleibt einigermaßen rätselhaft, wieso Susanne Gaschke (ebenfalls bei Welt+) meint, das in mehrfach variierten Formulierungen explizit betonen zu müssen.
Aber wenn Poschardt/Gaschke wenigstens ihr eigenes Blatt lesen würden, müssten sie auch Artikel wie den vom 12. Juli kennen:
Querdenker und andere Spinner versuchen, die Proteste zu missbrauchen.
Sogar heute (16. September) findet sich bei Welt+ ein differenzierter Bericht, aus dem hervorgeht, dass im Osten die AfD „den Protest zumindest teilweise anführt und organisiert“.
Was also erwartet uns in den kommenden Monaten?
Der Kölner Psychologe Stephan Grünewald rechnet
… mit Spaltungstendenzen und Lagerbildungen, ähnlich wie schon bei Corona-Maßnahmen. Seine Prognose: Die meisten werden den Spar-Appellen folgen und zur Einschränkung bereit sein.
Andere widersetzen sich und erklären sämtliche Einschränkungen zum Ausdruck einer fehlgeleiteten Russland-Politik oder unangebrachten Solidarität mit der Ukraine, der die Interessen des eigenen Landes geopfert würden.
Ein interessanter Punkt ist, dass Grünewald davor warnt, Verzicht und Einschränkungen moralisch zu überhöhen – desto massiver fielen nämlich auf der anderen Seite der Widerstand und Trotz aus.
Das könnte eine Lehre aus der Corona-Krise sein.
Und, wie wir schon schrieben:
Institutionen wie Gewerkschaften, Parteien und zivilgesellschaftliche Gruppen sind aufgerufen, demokratischen Protest zu ermöglichen und Lösungswege ohne menschenfeindliche Inhalte aufzuzeigen.
Zum Weiterlesen:
- Proteste: Von der Corona-Krise zum Wut-Winter – Aluhut-Träger und die Mitte der Gesellschaft, GWUP-Blog am 4. September 2022
- Verschwörungsideologen und „Querdenker“ mobilisieren für einen deutschen Wutwinter, GWUP-Blog am 28. Juli 2022
- Nicht mit Rechten demonstrieren? Soll wohl heißen: gar nicht demonstrieren, Welt+ am 13. September 2022
- Proteste gegen die hohen Energiepreise: Auftakt für einen „heißen Herbst“? tagesschau.de am 6. September 2022
- Rechte Vorherrschaft auf Montagsdemos, Zeit-Online am 13. September 2022
- Die große Gefahr, wenn die Politik Verzicht in der Energiekrise moralisch überhöht, Welt+ am 14. September 2022
- Es brodelt im Osten, Welt+ am 16. September 2022
21. September 2022 um 09:56
„Wo bleiben die Gewerkschaften?“
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2022-09/demonstrationen-energiepreise-gewerkschaften-heisser-herbst-5vor8
21. September 2022 um 11:31
„Die Gazprom-Lobby“:
https://correctiv.org/aktuelles/russland-ukraine-2/2022/09/20/gas-gazprom-lobby-deutschland/
24. September 2022 um 21:20
Rechtsextreme wollen einen Wutwinter herbeireden – und gerne verkaufen, dass sie eine breite Bevölkerung repräsentieren würden. Das ist oft Inszenierung. Und auch das muss nicht erfolgreich sein – ein kleiner Überblick über den Status Quo. Als Thread.
https://twitter.com/cemas_io/status/1573317711987609602
24. September 2022 um 21:21
@Martina:
„Wo bleiben die Gewerkschaften?“
Hier:
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2022-09/energie-preise-buendnis-demonstrationen-gewerkschaften-umweltverbaende
29. September 2022 um 22:52
Wut-Demos: Es geht um Feindbilder, nicht um Kritik
https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/protest-corona-energiekrise-ukrainekrieg-verschwoerungserzaehlungen-interview-lamberty-100.html
30. September 2022 um 00:27
Ja, es ist einfach nur die Suche nach einem „Sündenbock“… recht primitiv…
30. September 2022 um 08:25
Am Montag und auch die Woche davor gab es Demos in Ravensburg. Sie wurden organisiert über zwei Telegramgruppen u.a. von einem örtlichen Mitglied der Partei dieBasis.
Es geht nicht nur gegen noch existierende Coronaschutzmaßnahmen, sondern auch gegen hohe Energie- und Lebenshaltungskosten sowie Sanktionen gegen Russland und Waffenlieferungen an die Ukraine oder, besser gesagt, gegen alles und jedes und für “Freiheit”.
Die Leerdenkerszene hat ein neues Spielfeld gefunden, wie es z.B. hier im Blog antizipiert wurde.
https://www.regio-tv.de/mediathek/video/demonstration-auch-in-ravensburg-zieht-es-die-menschen-auf-die-strasse/