Professor Gerd Overbeck, ehemaliger Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt, hat (zusammen mit dem mittlerweile gestorbenen Jesuitenpater Ulrich Niemann) ein Buch zum Thema „Stigmata“ geschrieben.
Nach Overbecks Auffassung fügen „Stigmatisierte“ sich die Wunden selbst zu, allerdings in Trance. So könnten sie sich nachher nicht mehr erinnern, wie die Male entstanden seien. Es bestehe eine völlige Amnesie.
Auch dass die Stigmata später, zum Beispiel am Karfreitag, ohne körperliche Einwirkung wieder zu bluten beginnen, hält Overbeck zumindest für glaubwürdig. Das müsse man sich vorstellen wie beim autogenen Training. Auch da könne man durch entsprechende Übungen die Durchblutung verändern.
In einem Interview mit der Mainpost sagte Overbeck:
Stigmatisationen geschehen bei tief religiösen Menschen in einem Zustand der Ekstase, also außerhalb des normalen Wahrnehmungserlebens. Diesen Zustand erreichen sie, indem sie zum Beispiel vor dem Kreuz knien und den Gekreuzigten fixieren. Dazu murmeln sie Gebete und bewegen sich rhythmisch – das ist wie eine Selbsthypnose. Diese Menschen begeben sich in eine tiefe Meditation.
Sie fokussieren nach innen, innere Bilder werden für sie lebendig, sie erscheinen ihnen real und werden zur Vision. Oder zur Audition, zur Botschaft Christi, wenn die Gedanken laut wie eine Stimme werden. Oder sie stellen sich den Passionsweg vor – gerade an Karfreitag. Diese Vorstellung wird so intensiv, dass sie die Schmerzen Jesu am eigenen Körper verspüren.
Die Hirnforschung zeigt, dass beim Meditieren oder bei Hypnose die äußere Wahrnehmung nicht mehr vorhanden ist, während die frontalen Hirnregionen, wo sich unsere Vorstellungswelt befindet, hoch aktiv sind.“
Und hinterher wissen diese Menschen nicht, wie sie zu den Wunden gekommen sind?
Was im in Zustand der Ekstase passiert, unterliegt dem Vergessen. Diese Amnesie kommt nicht nur bei Stigmatisierten oder bei Besessenen vor, sondern auch nach schweren psychischen Traumata, die zu einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung führen können, wo es zu einer Abspaltung der Persönlichkeit kommt.
In diesem Fall ist der totale Erinnerungsverlust für sie ein Schutz. Diese Menschen irren umher, sind desorientiert. Der Zustand, der aus krankhaften oder schweren traumatischen Erlebnissen entstehen kann, ist dem von Gesunden ähnlich. Aber diese Menschen bringen sich durch religiöse Exerzitien und Übungen in eine tiefe mystische Versenkung und können sich deswegen Wunden beibringen, ohne sich hinterher daran zu erinnern, wie sie das gemacht haben.“
Nicht jede traumatisierte Persönlichkeit fügt sich Wundmale zu.
Wenn diese Persönlichkeit in einem religiösen Ambiente lebt, kann sich die Krankheit wandeln und in einem religiösen Gewand erscheinen. Diese Menschen geben dann dem ganzen Geschehen subjektiv einen religiösen Inhalt mit der Vorstellung: Krankheit ist Sünde, also Schuld.“
Das setzt die Erklärung „Schwindel und Betrug““ (wie sie für Therese von Konnersreuth als gesichert gelten kann und bei Pater Pio angenommen wird) nicht außer Kraft, fügt aber dem Phänomen Stigmata eine weitere interessante Facette hinzu.
Zum Weiterlesen:
- Dr. Mark Benecke: Blut-Spuren. Der Fall Therese von Konnersreuth. Eine aktuelle forensische Untersuchung. Skeptiker 1/2004, online hier.
- Bernd Harder: Wunderwunden? “Stigmatisierte” von Franz von Assisi bis Pater Pio. Skeptiker 4/2002
- Konnersreuth: Heilige oder Schwindlerin? GWUP-Blog am 8. Februar 2011
27. Dezember 2012 um 20:37
Das Buch wurde 2012 herausgegeben. Ulrich Niemann ist aber schon 2008 gestorben, was nicht im Buch erwähnt ist.
Was ist im Buch wirklich unter Veranbtwortlichkeit von Niemann geschrieben worden?
9. Oktober 2014 um 20:58
Gerade heute wieder gelesen, mein „Lieblingszitat“ meines „Lieblingsheiligen“: Pater Pio.
Das hört sich natürlich sehr fromm an, aber ist im Lichte betrachtet totaler Blödsinn, selbst im Lichte des Glaubens.
Bevor die römische Kirche die „Eucharistie“ eingesetzt hat, bestand auch die Erde.
Aber ohne die Sonne wäre jedes Leben unmöglich und auch die Erde, da sie durch die Gravitation der Sonne eine stabile Umlaufbahn hat.
q.e.d. ;-)
Der größte Beweis, daß die Stigmata Betrug sind, ist der, daß die Wunden immer in der Handinnenfläche liegen. Man weiß aber, daß man den Nagel in der Nähe der Handwurzel eingeschlagen wurde.
Natürlich orientierten sich die „Stigmatisierten“ an den Kreuzesdarstellungen und nicht an der Realität…
3. November 2016 um 19:19
Resl von Konnersreuth bei quer:
http://www.br.de/br-fernsehen/sendungen/quer/161102-quer-themen-100.html
ua ging es auch um den Kopp-Verlag und die „Wutbürger“.
3. November 2016 um 19:33
@Ralf:
Danke, Beitrag dazu geht morgen online.