Am Ende sitzt man fassungslos da und weiß: Es ist alles noch schlimmer, als wir dachten.
Nicht nur, dass der vierteilige Podcast „Geteiltes Leid“ die Argumente der Skeptiker in jeglicher Hinsicht belegt und bestätigt. Die renommierten Journalisten Olga Herschel und Sören Musyal haben darüber hinaus noch einige weitere Absonderlichkeiten der Rituelle Gewalt-Mind Control-Verschwörungstheorie (RG-MC) zutage gefördert.
Zum Beispiel:
- Wie kommt die Zahl von vier bis sechs Prozent ritueller Missbrauchsopfer zustande, die der Fonds Sexueller Missbrauch in seinen Veröffentlichungen angibt?
Das eruieren Herschel/Musyal in der vierten Folge von „Geteiltes Leid“ anhand einer weiteren Betroffenen von RG-MC-Falschtherapien namens Amelie.
Olga Herschel erklärt:
Therapeutinnen, die an rituelle Gewalt glauben, erarbeiten in der Therapie mit ihren Patientinnen den Gedanken, dass ein ritueller Missbrauch stattgefunden haben muss. Irgendwann informieren sie sie über die Fördermöglichkeiten des Fonds.
So war es bei Leonie, und genau so erzählt es Amelie über die Klinik am Waldschlösschen in Dresden. Die Zahlen, die rituelle Gewalt belegen, wie zum Beispiel die Anträge beim Fond, die legitimieren wiederum das Engagement von Menschen wie Ellen Engel oder Eva Lauer-von Lüpke. Und so geht der Kreislauf wieder von vorne los.
Ein Teufelskreis. Ein Teufelskreis, in dem Fakten geschaffen und beeinflusst werden. Genau wie bei der Unabhängigen Kommission zur Aufklärung sexuellen Kindesmissbrauchs und den pseudowissenschaftlichen Studien, die sie in Auftrag gegeben hat.
Kurz gesagt: Patientinnen werden Erinnerungen an „rituellen Missbrauch“ suggeriert und dann ermuntert, Geld beim Fond sexueller Missbrauch zu beantragen. Dort kann man ankreuzen, rituelle Gewalt erlebt zu haben.
Herschel weiter:
Und wenn mal die Kritik an der Erzählung rund um rituelle Gewalt überkocht, so wie bei Böhmermanns Sendung, dann passiert eigentlich nur eins: Die Anhängerinnen der Verschwörungserzählung wandeln die Begriffe, die typischen Schlagwörter, einfach nur um.
Darüber sprachen wir bereits beim „Skeptical“ im Mai in Augsburg. Der Autor unserer Broschüre
Rituelle Gewalt – Mind Control: Elitenverschwörung oder Verschwörungstheorie?
Dr. Kai Funkschmidt (l.) trug dort vor:
Die spezifischen Elemente [der RG-MC-Verschwörungstheorie], die dazugehören, die verändern sich nicht. Das sind heute noch die gleichen wie 1980 in den USA. Aber die Bezeichnungen ändern sich, und das, was in der Öffentlichkeit gesagt wird.
Nach außen klingt das alles so, als ginge es um organisierte Pädokriminalität. An der zweifelt aber auch kein Mensch. Aber intern, etwa bei Fortbildungen, da ist dann nach fünf Minuten vom Satanismus die Rede. Nach außen heißt es aber immer: Nein, Satanismus sei ja gar nicht das Wichtigste – weil Satanismus inzwischen doch ein bisschen zu verschwörungstheoretisch klingt.
Das ist ganz typisch, und das macht es so schwer, die RG-MC-Protagonisten festzunageln.
Auch Olga Herschel und Sören Musyal ist das bei ihren Recherchen aufgefallen. In Teil 4 von „Geteiltes Leid“ sagt Herschel:
Zum Beispiel sind sie [die Anhängerinnen der Verschwörungserzählung] dazu übergegangen, von organisierter und ritueller Gewalt häufig in einem Atemzug zu sprechen. Auch auf der Homepage der UKASK ist von organisierter sexualisierter und ritueller Gewalt die Rede. Die Strategie dahinter ist ziemlich naheliegend.
Genauer erklärt das dann der Rechtspsychologe Andreas Mokros:
Das scheint mir so ein rhetorisches Abwehrmanöver zu sein. Man wirft halt zwei Dinge zusammen, von denen eines unstrittig ist, verbindet sie durch eine logische Konjunktion, und wenn jemand dann eines davon in Zweifel zieht …
kann man ihn als „Täter, Leugner, Bagatellisierer“ diffamieren, wie es die Schweizer Psychotherapeutin Hanna Egli-Bernd gerade wieder vorgemacht hat. Weil man in der RG-MC-Szene die beiden Begriffe so amalgamiert hat, dass sie praktisch untrennbar geworden sind:
Das Label „organisiert“ ist eine Art Alibi und soll dem „rituell“ einen seriösen Anstrich geben,
fasst Olga Herschel zusammen.
Ein anderes Beispiel seien die Begriffe „Mind Control“ und „Programmierung“. Die wolle auf einmal niemand mehr in den Mund nehmen, jetzt gehe es um „Konditionierung“ oder „automatisierte Reaktionen“ oder „Manipulationstechniken“:
Auch hier ist es das gleiche Spiel wie bei der Verbindung von organisiertem und rituellem Missbrauch.
Nicht umsonst lautet eine Kapitelüberschrift in unserer Broschüre „Verwirrung durch wechselnde Bezeichnungen“ (Seite 11).
Aber bleiben wir noch beim Thema „Zahlen“:
Ebenfalls untrennbar zum RG-MC-Narrativ gehören „abgespaltene Persönlichkeiten“ aufgrund einer absichtsvoll von Tätern erzeugten Dissoziativen Identitätsstörung (DIS).
Dazu kursieren erstaunliche Inzidenzen von „0,5 bis 1 Prozent in der Gesamtbevölkerung und 5 Prozent bei stationären psychiatrischen Patienten“. Oder anders: „Zirka eine Million Menschen sind in Deutschland von der Dissoziativen Identitätsstörung betroffen.“
Wirklich?
Fachleute wie der forensische Psychiater Frank Urbaniok sind davon überzeugt, dass es
… die DIS im Sinne von strukturell abgespaltenen Persönlichkeiten, die ein Eigenleben führen, nicht gibt.
Im „Geteiltes Leid“-Podcast sind es Olga Herschel (die als Ärztin in der Kinder- und Jugendpsychiatrie gearbeitet hat) und der Psychiater Stefan Röpke, denen eine Dissoziative Identitätsstörung in der Praxis noch nie begegnet ist.
Mehr noch:
Das Grundkonzept der DIS, wie es in der RG-MC-Szene vertreten wird (dass Menschen sich bisweilen in mehrere Dutzend Innenpersonen aufspalten, die teilweise völlig eigenständige Existenzen führen und sich auch in körperlichen Merkmalen unterscheiden),
entspricht laut Röpke
… nicht dem, was ich jemals irgendwie nur in Ansätzen beobachtet hätte, und auch nicht, was in der akademischen Fachwelt in irgendeiner Weise nachgewiesen oder anerkannt wäre.
Wieso aber – und das ist der Standardargument der RG-MC-Gläubigen – ist die DIS dann in der ICD-11 der Weltgesundheitsorganisation verzeichnet? Dazu findet Röpke klare Worte:
Eigentlich muss man sagen, da hat die WHO wirklich in dem Punkt versagt.
Letztendlich seien nur „vier sehr prominente Vertreter dieser Störung“ eingeladen worden, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Und diese spezielle Kommission „ist nicht nach wissenschaftlichen Standards vorgegangen“, merkt Herschel an. Zum Beispiel fehlten internationale Feldstudien und andere wichtige Veröffentlichungen.
Das alles halte aber bestimmte Therapeutinnen nicht davon ab, eine Therapie anzubieten, für deren Wirksamkeit es genauso wenig Belege gibt.
Aber wie kann das sein? Wie ist es möglich, dass
… eine seit Jahrzehnten bestehende Verschwörungstheorie weiterhin existiert und Menschen in Deutschland schweren Schaden zufügt,
heißt es im Blog von „Arbeit und Leben“, einer Einrichtung der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung, die die vier Folgen umgesetzt hat (im Rahmen des Projekts „Hast Du schon gehört?“ und mit Förderung der Bundeszentrale für politische Bildung).
„Geteiltes Leid“ verdeutliche, wie Verschwörungstheorien in therapeutischen Kontexten, Medien und Gesellschaft schleichend Schaden anrichten können. Der Podcast rufe Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zur Verantwortung auf.
Wie sieht es mit dieser Verantwortung aus?
„Eigentlich müssten viele verschiedene Institutionen beim Thema rituelle Gewalt und Dissoziative Identitätsstörung längst hellhörig sein“, wundert sich Olga Herschel im vierten Teil. Krankenkassen zum Beispiel. Die Landespsychotherapeutenkammern. Und psychotherapeutische Ausbildungsinstitute.
Gerade dort finden aber nach wie vor Fortbildungen zu ritueller Gewalt statt, weil die Verschwörungsgläubigen seit Jahrzehnten mit am Tisch sitzen,
hat die promovierte Ärztin und Journalistin festgestellt.
Und so ähnlich sieht es auch auf der politischen Ebene aus. Es wäre die Aufgabe des Familienministeriums, sich von der Erzählung zu ritueller Gewalt bei der UKASK zu distanzieren. Aber die UKASK hat eine große Strahlkraft. Sie ist eine Art Leuchtturm für die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in Deutschland. Sie anzurühren, scheint sich niemand von den Politikern zu trauen.
Und Kerstin Claus, die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs?
Sie „scheint längst verstanden zu haben, dass bei dem Thema rituelle Gewalt etwas aus dem Ruder läuft“, schildert Herschel ihren Eindruck von einem Gespräch mit der UBSKM. Claus wünscht sich sogar, dass Journalisten noch mehr Fälle von ideologisch getriebenen Falschbehandlungen aufdecken. Sie könne aber nicht helfen, weil sie Betroffene nicht verprellen will. Und die UKASK wolle nicht helfen, weil sie an rituelle Gewalt glaubt.
Und dann formuliert Olga Herschel die entscheidende Frage:
Wie können wir von der Verschwörung erzählen, ohne die Menschen abzuwerten, die vermutlich schwer traumatisiert sind? Und die über sich sagen, sie hätten rituelle Gewalt erlebt?
Die Antwort darauf gibt sie sich selbst:
Kritik an schädlichen Pseudotherapien muss möglich sein. Das ist ja gerade im Sinne aller Betroffenen von Traumata.
Nur warum fällt es den Verantwortlichen so schwer, diese Haltung einzunehmen?
Warum tauchen alle diese Patientinnen mit DIS und RG-MC-Erfahrung nur bei einer kleinen Minderheit der Therapeuten, dort aber gehäuft auf?
Wieso distanzieren sich RG-MC-Anhänger zwar wortreich von „Satanic Panic“-Verschwörungstheorien wie „weltumspannenden, satanischen Eliten“ oder QAnon – ohne zu realisieren, dass das nur einen kleinen Teil der RG-MC-Verschwörungstheorie ausmacht, welche ganz konkret „in Psychotherapiepraxen, Krankenhäusern, Hilfezentren und auch in der Politik“ Einzug gehalten hat und „Opfer schädlicher Therapien“ hervorbringt, wie der Podcast-Produzent Khesrau Behroz in einem Interview sagt.
Herschel erklärt das am Ende der vierten Folge mit den persönlichen Benefits, die Verschwörungsgläubige aus ihrer Überzeugung ziehen: Komplexitätsreduktion, Selbstaufwertung, Entlastung und Selbstwirksamkeit, wie wir auch in unserer Broschüre schreiben (Seite 32).
Was die RG-MC-Anhänger mit ihren „offenkundig guten Absichten“ (Herschel) allerdings „aktiv ausblenden“, ist „die andere Seite: die Opfer der Erzählung von ritueller Gewalt“.
Dazu gibt es auch einen Beitrag im nächsten Skeptiker (4/2024):
Welches Fazit soll man nun aus den vier Folgen von „Geteiltes Leid“ ziehen, für die sich das Produktionsteam drei Jahre lang mit der Thematik beschäftigt hat?
Auch in der letzten Episode kommt wieder einmal der Vorwurf einer „emotionalisierten und undifferenzierten Berichterstattung“ auf, diesmal von der „Waldschlösschen“-Leiterin Martina Rudolph. Nichts davon ist in dem Podcast von Olga Herschel und Sören Musyal zu spüren. Eher wäre die Gegenfrage zu stellen:
Wie fundiert, differenziert und empathisch muss eine Berichterstattung über die Rituelle Gewalt-Mind Control-Verschwörungstheorie noch sein, damit sich die Adressaten endlich selbstkritisch damit auseinandersetzen?
Zum Weiterlesen:
- „Seit Jahrzehnten widerlegt“: Teil drei von „Geteiltes Leid“, ein Podcast über die RG-MC-Verschwörungstheorie, GWUP-Blog am 29. November 2024
- „Die Frau spinnt“: Teil zwei von „Geteiltes Leid“, ein Podcast über die Verschwörungstheorie von der satanisch-rituellen Gewalt, GWUP-Blog am 22. November 2024
- „It’s always going to be relevant“: Die Verschwörungstheorie über rituelle Gewalt und Mind Control, GWUP-Blog am 14. November 2024
- Klarstellung zur DIS, dissoziationen am 19. Juli 2024
- Renommierte Experten nennen die „Satanic Panic“ unverhohlen eine Verschwörungstheorie, GWUP-Blog am 17. April 2024
- Rituelle Gewalt – Mind Control: „Elitenverschwörung oder Verschwörungstheorie?“ jetzt kostenlos zum Download, GWUP-Blog am 17. Juni 2024
- „Satanic Panic“ der frühen 1980er-Jahre: Kultur-Phänomen mit musikalischen Schauplätzen, rollingstone am 30. November 2024
- Podcast: „Mit dem Teufel im Bunde. Die Satanic Panic und der Metal“ vom 26. November 2024
- Bennett Braun: The Psychiatrist Who Fueled the Satanic Panic, skeptical-inquirer am 22. April 2024
- „Angst und Desinformation“: Die Satanic Panic der 1980er, GWUP-Blog am 4. Dezember 2024
6. Dezember 2024 um 00:39
Podcast „Geteiltes Leid“: Wenn Hilfe schadet
https://taz.de/Podcast-Geteiltes-Leid/!6050202/
https://flin-magazin.de/podcast-check-geteiltes-leid/
6. Dezember 2024 um 17:43
Der Arzt Dr. Matthias Kollmann arbeitet in der Klinik Hüttenbühl der DRV. Dort ist Dr. Harald Schickedanz Ärztlicher Direktor- ein enger Freund von Michaela Huber, Vorstand der DGTD (auch Ellen Engel ist dort im Vorstand) und ein Protagonist der Rituelle Gewalt These.
Wie haarsträubend ist das bitte? In der Schweiz wird Dr. Kollmann ein Berufsverbot auferlegt, weil er mit seinen Satansgeschichten Patienten nachweislich geschädigt hat:
https://www.tag24.de/nachrichten/politik/deutschland/gesellschaft/irrer-satan-verschwoerungsskandal-psychiater-matthias-kollmann-mit-berufsverbot-belegt-2948511
und jetzt kann er – als ob nichts gewesen wäre – einfach in Deutschland weitermachen?
Was für ein Versagen der Aufsichtsbehörden! Wer schützt die Patienten in der dortigen Klinik?
9. Dezember 2024 um 10:19
Letzte Woche gab es auf dem DGPPN Kongress https://www.dgppnkongress.de einen Vortrag von Kathlen Priebe zur Behandlung von DIS und anderen dissoziativen Störungen. Der aktuelle Forschungsstand wird diskutiert.
„Dissoziative Störungen und Symptome bei psychischen Erkrankungen“
Im Menü oben unter Programm/On Demand Sessions, dann Mittwoch, 27. November, 12:00 – 13:30 Uhr zu finden.
14. Dezember 2024 um 22:26
Es macht mich so wütend .
lauer von lüpke und ..
https://youtu.be/BYDxG-lIYXM?si=Wjc5uWonIUrD5v0e
14. Dezember 2024 um 23:29
@Icke:
Ja, das ist die Dame.
15. Dezember 2024 um 11:00
@ Nicole
„Verfügbarkeit On-Demand-Angebot
Die On-Demand-Videos sind bis zum 30.04.2025 verfügbar. Um die Inhalte zu sehen, müssen Sie in Ihren Kongress-Account eingeloggt sein.“
Könntest du den aktuellen Forschungsstand kurz zusammenfassen?
15. Dezember 2024 um 16:35
DGPPN Kongress Vortrag von Kathlen Priebe
Diskutiert werden folgende Kontroversen:
1) DIS ist sehr selten
Studien ergeben 1% der Allgemeinbevölkerung und 5% der klinischen Population haben bei Anwendung diagnostischer Interviews (meistens SKID-D) eine DIS.
Aber: Eventuell werden diese Zahlen überschätzt, Möglichkeit des Zirkelschlusses. Nur 1090 neue Fällen in publizierten Studien von 2011-2021.
Reanalyse derselben PatientInnen (in 60%) 74% der Fälle in 6 Arbeitsgruppen
Warum immer dieselben? Wir finden Betroffene so selten. Warum sehen die meisten Kliniker die Diagnose so selten?
Weil sie sie nicht erkennen. Das ist aber nur eine mögliche Erklärung.
2) DIS ist eine simulierte Störung
Betroffene sind sehr krank, sind keine gesunden Menschen, die eine Störung vortäuschen.
Hohe Komorbidität, häufige stationäre Aufenthalte, Suizidversuche, geringes psychozoziales Funktionsniveau und geringe Lebensqualität. Man hat Simulierende von Betroffenen in Studien unterscheiden können: Bildgebung, Symptome, kardiovaskuläre Reaktionen
Ist es wirklich ein distinktes Krankheitsbild? Neurobiologie spricht für eine schwere Form der PTBS (verkleinerter Hippocampus). Oft gesunde Kontrollgruppen und DIS-Simulierende und kaum klinische Vergleichsgruppen (PTBS, kPTBS, BPS) in Studien.
3) DIS ist eine Folge von traumatischen Erfahrungen versus Folge eines durch Medien oder TherapeutInnen suggerierten Verhaltens (Traumamodell versus soziokognitives Modell):
Traumamodell:
Trauma und Dissoziation sind eng miteinander assoziiert. Aber Trauma ist weder ein notwendiges noch hinreichendes Ereignis für die Ausbildung dieser Symptomatik.
Es gibt kaum Fälle mit DIS aus dem Kinder- und Jugendbereich, insgesamt sind hier 360 publiziert.
Soziokognitives Modell:
Es gibt zwar einen Zusammenhang zwischen Suggestibilität und Dissoziation, aber auch in Ländern mit wenig Medieneinfluss gibt es die DIS.
Ergebnis:
Weder das Traumamodell noch das soziokognitives Modell können die DIS für sich genommen hinreichend erklären.
Eigenes Modell – transdiagnostisches und transtheoretisches Modell
Vulnerabilität( z.B. Genetik, wenig Schlaf und Trinken, die dissoziative Phänomene auch der Identität auslösen können) und/oder Trauma und Vernachlässigung.
Möglicherweise fördern Medien, soziale Einflüsse, Lernprozesse die möglicherweise eine Ausgestaltung der Identitäten noch weiter fördern.
Es gibt Betroffene mit dissoziativer und posttraumatischer Symptomatik, Betroffene mit dissoziativer Symptomatik und Belastung durch Scheinerinnerugen und Betroffene mit dissoziativer Symptomatik. Die Differenzierung dieser Gruppen ist eine große Herausforderung und muss Gegenstand weiterer Forschung sein.
4) Patientinnen weisen eine ausgeprägte Inter-Identitäts-Amnesie auf.
Genau das findet sich in Studien nicht. PatientInnen berichten subjektiv eine Inter-Identitäts-Amnesie. Objektiv findet sich keine Inter-Identitäts-Amnesie. Das subjektive Erleben sollte gewürdigt werden, man sollte das dissoziative Erleben und die Ausgestaltung der Identitäten nicht zusätzlich fördern.
5) Dass eine spezifische Psychotherapie der DIS schadet.
Nur kleine Datenlage, z.B. Studien von Bethany Brand. Geringe Effektstärke (0,3), die Therapie schadet nicht, aber wie sie momentan stattfindet, hilft sie auch nicht richtig gut. Neue Entwicklungen in Richtung einer traumafokussierenden Psychotherapie:
Training in Emotionsregulation und nachfolgend Exposition gegenüber traumatischen Erinnerungen wie sie auch bei PTBS und kPTBS durchgeführt wird.
Zuschauerfragen:
Zu Erinnerungslücken und False Memories:
„Nur wenn es klare Erinnerungen gibt und die Betroffenen komorbid unter posttraumatischen Symptomen leiden z.B. tagsüber Intrusionen von diesen Erfahrungen oder nachts Albträume haben, nur dann würden wir traumafokussierend, expositionsbasierend arbeiten. Wir gehen nicht von einem repressed Trauma aus, was man finden sollte, sondern würden immer mit dem arbeiten, was da ist. Gerade, weil diese Patientinnen so eine hohe Suggestibilität, einen Wunsch nach Erklärung haben und in der Alltagspsychologie die Idee eines verborgenen Traumas ja so groß ist, wären wir sehr zurückhaltend und sehr vorsichtig, um nicht genau solche False Memories zu induzieren.“
16. Dezember 2024 um 19:10
@ Nicole
Vielen dank für die Mühe. :)
Interessant, einiges davon ist mir neu.
Falls sich zufällig jemand korrekt erinnert – war es nicht Bördlein, der auch mal was zu DIS beigetragen hatte?
19. Dezember 2024 um 00:32
Auch die Süddeutsche Zeitung hat den Podcast jetzt rezensiert (Printausgabe vom 17.12.).
Darin heißt es:
Richtig ist: Es gibt schwere Fälle von sexualisierter Gewalt und auch von organisierter. Falsch ist: Sie findet eher nicht „rituell“ statt, zumindest sind solche Fälle bei deutschen Behörden nicht bekannt. Therapeuten, die sich trotzdem lieber auf rituelle als beispielsweise auf die allgegenwärtige und gut erfasste häusliche Gewalt spezialisieren, arbeiten häufig mit fragwürdigen, suggestiven, manipulativen Methoden. Ihre Verteidigung: Man wird doch nicht Menschen kritisieren, die sich für Opfer von Gewalt einsetzen?
Genau so ist es.
Dass man diese sehr spezielle Therapeuten-Zunft kritisieren muss, zeigt einmal mehr der Interviewbeitrag „Diese Therapien zerstören Leben“ im neuen Skeptiker (4/2024).
Aber auch die Süddeutsche scheut schlussendlich vor einer Positionierung zurück. Da heißt es dann:
Und doch weiß man oft nicht recht, wem man trauen soll – eindeutige Erkenntnisse liefert der Podcast nicht.
Doch, das tut er.
Er erzählt einerseits, wie psychisch schwer belasteten Menschen auch noch ein vermeintlich verdrängter sexueller Missbrauch eingeredet werden könnte. Andererseits meint Herschel am Ende, die Therapeuten wollten vielleicht eigentlich nur Gutes.
Das ist aber kein Widerspruch. Niemand behauptet, dass diese sehr speziellen Traumatherapeuten böse Menschen seien. Aber sie verfallen eben unkritisch den persönlichen Benefits eines Verschwörungsglaubens – wie wir oben im Artikel erklären.
20. Dezember 2024 um 17:22
Ergänzend möchte ich anmerken, dass den beschriebenen Benefits wie Komplexitätsreduktion, Selbstaufwertung, Entlastung und Selbstwirksamkeit erhebliche persönliche Kosten gegenüberstehen, die mit einer Annahme der Realität verbunden wären: Die Erkenntnis, dass man einer Verschwörungstheorie anhängt, die extrem schädliche Auswirkungen für die von entsprechenden Fehltherapien und Falschbehauptungen Betroffenen zur Folge hat, würde emotional bedrohliche Dissonanzen auslösen, da die Protagonistinnen in den Helfersystemen und therapeutischen Kontexten ja eigentlich „etwas Gutes“ wollen. Hinter den rhetorischen Abwehrstrategien wie verwirrender Wechsel der Bezeichnungen, begriffliche Verschmelzung von organisierter sexualisierter und ritueller Gewalt sowie alibimäßige Distanzierung von Q Anon und weltumspannenden Eliten steht ein Selbstschutzmechanismus, der offenbar kaum zu durchbrechen ist. Da die Verschwörungserzählung längst im System steckt und sich durch den beschriebenen Teufelskreis immer wieder selbst bestätigt und aufrechterhält, wird die Aufklärungsarbeit anhaltend torpediert und erschwert. Dass der aktuelle Vorstand der GWUP eine relativierende Haltung gegenüber dem RG MC-Narrativ eingenommen hat und unbelegte Behauptungen und Spekulationen, basierend auf den Thesen einer bekannten Protagonistin vom satanistisch-rituellen Missbrauch, als „differenziertere Meinung“ zu ritueller Gewalt darstellt, ist symptomatisch und sollte m. E. thematisiert werden.
22. Dezember 2024 um 00:52
Das Phänomen False Memory und die Verschwörungstheorien rund um Rituelle Gewalt erfordern eine differenzierte und dringliche Aufarbeitung. Zudem ist es für die Psychotherapiewissenschaften wichtig zu erforschen, wie sich Psychotherapeut*innen im Laufe der Jahre radikalisieren und welche Persönlichkeitsstrukturen sie mitbringen, bevor sie Verschwörungsnarrative entwickeln. Dieses Verständnis ist präventiv notwendig.
https://www.psychotherapie-salzburg.de/falsche-erinnerungen-psychologische-hilfe