6,6 Millionen Beiträge sind unter dem Hashtag #witchtok allein auf Tiktok zu finden, 2,3 Millionen Posts wurden unter #witchcraft hochgeladen, immerhin noch 1,6 Millionen Beiträge erscheinen unter #witchesoftiktok.
So beziffert die FAZ in einem aktuellen Beitrag den „Hexen-Trend“ in den sozialen Medien:
Die Aufrufe gehen in die Milliarden. In rund 30- bis 90-sekündigen Videos zeigen insbesondere junge Frauen, wie man Exfreunde mit Flüchen belegt oder mit Liebeszaubern wieder an sich bindet, wie man Geld und beruflichen Erfolg herbeihext.
Leibhaftig besucht der Reporter die Hexe „Lariea“ im Ruhrgebiet, die sich natürlich als „rationaler“ und „skeptischer“ Mensch sieht, aber irgendwie doch an an den Dämon Buer glaubt, zuständig für Pflanzenkunde.
Letztendlich sei die Hexerei für „Lariea“ so etwas wie
… Arbeit am eigenen Selbst. Wolle man zum Beispiel beruflichen Erfolg herbeihexen, reiche ein Zauberspruch nicht aus. Viel eher müsse man den Erfolg visualisieren, an sich selbst arbeiten, um das zu erreichen, was man sich vornehme. Unterbewusst würde man dann anfangen, die richtigen Schritte anzugehen.
Das erklärt nur wenig, denn dafür bräuchte man den ganzen Kram mit „Feuerschale“, „Runenteppich“, „Räucherwerk“, „Lavendelöl“, und was der Autor sonst noch so an Ritualen in der schmalen Wohnung in Duisburg beschreibt, nicht.
Ein Blick auf „Larieas“ Webseite offenbart denn auch zum einen den kommerziellen Aspekt dieses speziellen Esoterik-Booms:
Mit der Hexerei lässt sich Geld verdienen … Sie [Lariea] kann von der Hexerei leben
schreibt auch die FAZ.
Zweitens dient der ganze Budenzauber einer esoterischen Variante der Selbstermächtigung – ein leicht narzisstisch anmutendes Kreisen um das eigene Selbst, das „typisch“ sei für die moderne Hexerei, wie der Religionswissenschaftler Matthias Pöhlmann in dem Artikel erklärt.
Pöhlmann kritisiert am modernen Hexenwesen die Fluchtversuche vor einer immer komplizierteren Welt ins magische Denken, mit der Gefahr, den Bezug zur Realität zu verlieren, sowie die hohe Anschlussfähigkeit an antimodernistisches und antidemokratisches Gedankengut.
Und leider ist das Ganze mehr als nur ein neuer Halloween-Kostümspaß von Heidi Klum. Die Weltanschaungsexpertin Claudia Jetter ist überzeugt davon, dass das Phänomen „WitchTok“ kein flüchtiger Hype ist – sondern „ein Trend, der bleibt“.
Mit dem Esoterik-Trend bei TikTok hatten sich in den vergangenen Monaten zahlreiche Medien kritisch auseinandergesetzt. Einen Flyer „Die TikTok-Checkliste“ gibt’s bei ZEBRA kostenlos zum Downwload.
Zum Weiterlesen:
- Das sind die Hexen von heute, FAZ am 4. Oktober 2024
- Netzphänomen „WitchTok“: Lebenshilfe von der guten Hexe? br am 24. Februar 2024
- Die neue Generation Hexen – wie Stefanie mit Magie Geld verdient, SRF am 21. März 2024
- „Hexerei“ hat Hochkonjunktur, ORF am 26. Februar 2024
- WitchTok: How witchcraft became the latest controversial wellness fad, The Independent am 27. Juli 2024
- How Modern Witches Enchant TikTok: Intersections of Digital, Consumer, and Material Culture(s) on #WitchTok, religions 13(2):118, Januar 2022
- Beseelte Ideologen: Wie politisch ist die Esoterik? swr am 12. Juli 2024
- Esoterische Influencer auf TikTok: Bezahl mich und heil dich selbst per Gedankenkraft, freitag am 6. Mai 2024
- Kristalle, Hexen und falsche Versprechungen, rbb am 7. Juni 2023
- Die bunte, aber betrügerische Welt der Heilkristalle auf TikTok, vice am 19. September 2022
- „Ein Gefühl von Kontrolle“: Die neuen Witchfluencerinnen aus der Hexen-Bubble bei TikTok, GWUP-Blog am 9. Juni 2023
- Video: „TikTok-Hexen und die neue Esoterik“, GWUP-Blog am 6. August 2023
5. Oktober 2024 um 12:53
Mir ist aufgefallen, dass die Worte „Arbeit an sich selbst“ sehr oft fallen, wenn versucht wird, Esoterisches für wahr zu erklären. Aber es passt. Entweder hat man nicht „genug an sich gearbeitet“, oder „nicht genug geglaubt“.
Was „die Arbeit an sich selber“ ausmachen soll, ist hingegen eher nicht zu lesen.
5. Oktober 2024 um 15:28
@Christine
„Arbeit an sich selbst“ oder „Persönlichkeitsentwicklung“ im Life-Coaching klingt halt irgendwie aktiver und tatkräftiger als „Wünsch dir was vom Universum“ oder „Deine Seele hat sich ihr Schicksal ausgesucht.“
Ist aber im Grunde immer der gleiche Sozialdarwinismus, der allein dem Opfer die Schuld gibt.
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5. Oktober 2024 um 17:47
Also bei der „Arbeit an sich selber“ würde ich ja an Masturbation denken. Natürlich nur unter der Voraussetzung, daß Arbeit auch befriedigend sein kann.
Aber es zeigt halt wunderbar auf, wie in der Esoterik ziemlich widersprüchliche Dinge („Arbeit an sich selbst“ und Dämonenbeschwörungen) vollkommen unkompliziert verschmolzen werden können.
Erinnert mich daran, daß Menschen gerne gleichzeitig an Verschwörungstheorien glauben, die eigentlich einander ausschließen.
5. November 2024 um 20:29
ARTE: Unheimliche Begegnungen – die neuen Hexen und Geisterjäger
https://www.youtube.com/watch?v=d-DoIgVh83c
Kunstschaffende haben sich schon immer vom Okkulten inspirieren lassen. In Filmen, Büchern, Podcasts und Musik finden sich die Einflüsse von Märchen, Sagen und alten Ritualen, oft als Gegenbewegung zu einer hoch technologisierten, rationalen Gegenwart.
Die italienische Künstlerin Ginevra Petrozzi interpretiert die Figur der Hexe neu: Sie schlüpft in die Rolle einer „digitalen Hexe“. Die Zukunft ihres Gegenübers liest sie nicht aus Karten, sondern aus dem Smartphone des Besitzers. So schafft sie eine Verbindung zwischen Tradition und allgegenwärtiger und allwissender Technologie.
In England macht sich Podcaster und Comedian Danny Robins auf die Suche nach dem Übersinnlichen, in ganz normalen Wohnhäusern, aber auch Theatern und sogar U-Bahnstationen. Seine Erfahrungen verarbeitet er in seinem sehr erfolgreichen BBC Podcast Uncanny.
Die Nordic-Ritual-Folk-Band Heilung hält ihre Konzerte als streng konzipierte Rituale ab. Durch den Rhythmus zeremonieller Trommeln und dem ätherischen Klang der ausschließlich in alten Sprachen verfassten Texte versetzen sie ihr Publikum in einen tranceartigen Zustand.
Die Künstlerin Katharina Zwirnmann ließ sich für ihre Arbeit von historischen magischen Handschriften aus der Zeit der Reformation und Aufklärung inspirieren, die in der Leipziger Uni-Bibliothek liegen.
In dieser Twist-Ausgabe begeben sich Künstler und Künstlerinnen auf Gespensterjagd, nehmen an spirituellen Ritualen teil und suchen nach dem Übersinnlichen. Woher kommt er, dieser Glaube an das Übernatürliche? Und warum ist der gerade jetzt wieder so beliebt?
Eine globale, quantitative (!) Studie zum Thema: Gershman B (2022) Witchcraft beliefs around the world: An exploratory analysis. PLOS ONE 17(11): e0276872. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0276872 (PDF)
5. November 2024 um 21:01
@Carsten Ramsel:
Eine globale, quantitative (!) Studie zum Thema: Gershman B (2022) Witchcraft beliefs around the world: An exploratory analysis. PLOS ONE 17(11): e0276872. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0276872 (PDF)
Danke, hier hatten wir kurz darauf hingewiesen:
https://blog.gwup.net/2022/11/26/hexenglaube-richtet-in-vielen-laendern-der-erde-schaden-an-medien-in-deutschland-sind-dagegen-von-hexen-fasziniert/