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Das Goldene Brett 2023: Die Finalisten stehen fest

| 5 Kommentare

Wer bekommt am 5. Oktober in Wien das „Goldene Brett vorm Kopf“ verliehen?

Die Jury hat drei Finalisten ausgewählt.

Aus der Pressemitteilung des Veranstalters:

Die Shortlist zeigt, dass ein fragwürdiger Umgang mit Fakten oder ein bedenklicher Hang zur Verschwörungstheorie nichts mit mangelnder Intelligenz zu tun haben muss.

Die Nominierten sind gebildete Menschen, die intellektuelle Fähigkeiten bewiesen haben, dann im Lauf der Zeit aber immer mehr in die Nähe von Fake News und Verschwörungstheorien gerieten und zu Stars der antiwissenschaftlichen Querdenker-Szene wurden:

Ulrike Guerot

Ulrike Guerots Arbeit mag auf den ersten Blick harmlos und konstruktiv erscheinen: Sie sprach
sich scharf gegen Corona-Maßnahmen aus – eine prinzipiell legitime Meinung. Sie setzte sich
für „Corona-Aussöhnung“ ein – wer könnte da dagegen sein?

Doch ein genauerer Blick offenbart dahinter ein verschwörungstheoretisch-antiwissenschaftliches Weltbild. Daten werden selektiv ausgewählt, Statistiken werden falsch dargestellt, trotz klarer Widerlegung bleibt eine Korrektur aus. Man stößt bei Guerot auf die wissenschaftlich falsche Vorstellung, man könne mit „Yoga und Spiritualität“ das „Immunsystem stärken“ und so auf Corona-Maßnahmen verzichten.

Manchmal sind ihre Thesen unfreiwillig komisch – etwa wenn sie behauptet, die „männliche Brutalität“ bei einem Fernsehinterview habe bei ihr spontan zu einem Herpes-Ausbruch geführt. Manchmal klingen ihre Slogans aber auch bedrohlich: Um Leute wie Anthony Fauci und Bill Gates solle man „sich kümmern“. Und „die dunklen Gestalten von Pfizer und Co.“ lasse man „nicht entkommen“.

Guerot propagiert damit das Narrativ der großen Corona-Verschwörung, obwohl gerade sie als Politologin es besser wissen müsste. Auch mit Aussagen über Russlands Angriff auf die Ukraine sorgte Guerot für Aufsehen: Die Rolle der Ukraine sei es gewesen, stellvertretend für den Westen einen Krieg mit Russland zu beginnen, erklärt sie. Wer hier wen angegriffen hat, wird kurzerhand umgedreht.

Auch falsche Zitate und Plagiatsvorwürfe brachten Guerot wiederholt in die Medien. Die Universität Bonn hat sich von ihr distanziert, der Rechtsstreit über ihre Kündigung ist noch nicht abgeschlossen.

Stefan Homburg

Stefan Homburg ist Finanzwissenschaftler. Er muss daher eigentlich wissen, wie man die Wirklichkeit mit mathematischen Formeln beschreibt. Trotzdem wurde er während der Pandemie mit seinen alternativen Dateninterpretationen zu einem Star der antiwissenschaftlichen Querdenkerszene.

Es gebe gar keine Pandemie, das sei bloß „kollektiver Wahn“, schrieb Homburg. „Long Covid“ sei bloß ein Marketingbegriff, nur das Testen sei das Problem. Schließlich erweiterte er seine Attacken gegen die wissenschaftlich belegte Medizin auch auf das Thema AIDS: Auch das sei ein „Fake“, mit dem man einen „Milliardenmarkt“ geschaffen habe. Er würde mit einem positiven HIV-Test „ganz sicher keine Medikamente nehmen“.

Nachdem Homburg die Corona-Maßnahmen in Deutschland mit den Ereignissen unter der Nazi-Diktatur im Jahr 1933 verglichen hatte, distanzierten sich Senat, Präsidium und Hochschulrat seiner Universität, der Leibniz Universität Hannover, von ihm.

2021 trat er in den vorzeitigen Ruhestand, erreicht aber nach wie vor eine große öffentliche Sichtbarkeit.

Ferdinand Wegscheider

Der Sender ServusTV, als dessen Intendant Ferdinand Wegscheider ab 2016 arbeitete, machte während der Corona-Pandemie einen Wandel durch: In Sendungen wie dem „Corona-Quartett“ wurde zentralen Persönlichkeiten der antiwissenschaftlichen Querdenkerbewegung eine Plattform geboten, unter anderem Sucharit Bhakdi, Träger des „Goldenen Bretts vorm Kopf“ des Jahres 2020.

Besonders bekannt wurde Wegscheider durch seinen „satirischen Wochenrückblick“ mit dem Namen „Der Wegscheider“. Sprachliche Zurückhaltung übt er dort selten: Die Corona-Impfstoffe werden als „Genspritzen“ bezeichnet, von der „Impflobby“ ist die Rede, die „Menschen als Versuchskaninchen“ für „unzureichend getestete“ Impfungen missbrauchen würde. Das Entwurmungsmittel Ivermectin wird als sinnvolle Behandlung von Covid-19 präsentiert.

Auch mit anderen Verschwörungserzählungen spielt Wegscheider, etwa im Zusammenhang mit den Terroranschlägen vom 11. September oder in Form von Attacken gegen die Klimabewegung. Der Kritik an der Sendung wird mit dem Hinweis begegnet, es handle sich bloß um „Satire“. Schließlich tritt Wegscheider mit einem bunten Kasperl-Kopf auf.

Doch gerade diese Ausrede ist besonders problematisch: Satire ist eine Kunstgattung, die mit beißendem Humor und Ironie Kritik übt. Verschwörungstheorien werden allerdings weder humorvoll noch ironisch, bloß weil man sie mit dem Begriff „Satire“ versieht.

Die Argumentation impliziert somit einen Freibrief für jede Art von Fake News, solange sie durch das Etikett der Satire gegen berechtigte Kritik immunisiert wird.

Die Verleihung findet am 5. Oktober um 19.30 Uhr im Stadtsaal Wien statt, moderiert von „Science Buster“ Martin Puntigam. Da das Event bereits ausverkauft ist, gibt es einen Live-Stream.

Marco Pogo und Andre Wolf von Mimikama treten als Side Acts auf. Die Laudationes kommen von Gerald Gartlehner, Heidi Kastner und Daniela Angett-Pfeiffer.

Zum Weiterlesen:

  • „Verschwörung & Fakten“: Die Radikalisierung der Ulrike Guérot, GWUP-Blog am 19. März 2022
  • Prof. Dr. Verschwörung, Süddeutsche am 14. Mai 2020
  • Der große Homburg-Faktencheck, volksverpetzer am 4. Februar 2022
  • ServusTV: Der Sender der Querdenker? BR am 15. Februar 2022
  • Zwischen Tierdokus und Verschwörungserzählungen: die wundersame Welt von Servus TV, rnd am 19. Januar 2022

5 Kommentare

  1. Homburg und Guerot sind würdige Nominierte. Wegscheider und Servus TV, welches übrigens Ende des Jahres den linearen Sendebetrieb in Deutschland einstellt, kenne ich nicht genug, um ein Urteil abzugeben.

  2. Die Nominierungen sind natürlich korrekt aber ein wenig mutlos.

    Statt Wegscheider und Servus TV hätte ich mir ArteTV und Marie-Monique Robin, Bertie Ehgartner ecetera gewünscht. Oder die Österreicherin Weingartner, deren Scheindokumentation „Das Fieber“ (Bill Gates und die WHO wollen angeblich ein pflanzoches Mittel gegen Malaria verhindern weil sie lieber Imfpungen verkaufen) im ORF ausgestrahlt wurde und von Ö1 ausgesprochen enthusiastisch besprochen wurde.

    Einfach weil der Mangel an Wissenschaftsjournalismus in deutschsprachigen öffentlich-rechtlichen Medien so eklatant ist.

  3. Gute Nachrichten:

    tagesschau: Nobelpreis für Grundlagenforschung zu Covid-Impfstoffen

    https://www.youtube.com/watch?v=NsZm-xyMnnA

  4. Glückwünsche den Laureaten – und dem Nobelpreiskomitee für eine mutige und notwendige Entscheidung in Zeiten der Querdenken-Pandemie.

    Hierzu auch ein aktuelles Interview mit Frau Prof. Kariko aus dem Ärzteblatt:

    https://www.aerzteblatt.de/archiv/234348/Interview-mit-Prof-Dr-Katalin-Kariko-Universitaet-Szeged-und-Penn-Medicine-an-der-University-of-Pensylvania-Die-Einsatzmoeglichkeiten-von-RNA-Substanzen-scheinen-vielfaeltig-zu-sein

  5. arte: Vom Impfstoff zur Krebstherapie

    Die Entdeckung der Boten-RNA läutete eine neue Ära in der Medizin ein. Eine zentrale Rolle bei der Entwicklung erster mRNA-Impfstoffe spielten die ungarische Forscherin Katalin Kariko und der US-Amerikaner Drew Weissman, die für ihre Forschungen nun mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet wurden. Von einem wissenschaftlichen Durchbruch und den Menschen, denen er gelang.

    Die Entwicklung mRNA-basierter Covid-19-Impfstoffe ist einem wissenschaftlichen Durchbruch zu verdanken, der über 60 Jahre zurückliegt: der Entdeckung der Boten-RNA. „Vom Impfstoff zur Krebstherapie – Die RNA-Revolution“ erzählt die wenig bekannte Geschichte des von den späteren Nobelpreisträgern François Jacob, Jacques Monod und André Lwoff gelegten Meilensteins, der eine neue Ära in Wissenschaft und Medizin einläutete.

    Das Wissen um den Strang, der Baupläne aus dem Zellkern hinaus zu den Ribosomen transportiert, sodass diese lebenswichtige Proteine herstellen können, wurde bald von zahlreichen Forschenden aufgegriffen. Viele von ihnen wurden später für ihre Arbeit gefeiert, mussten anfangs allerdings Rückschläge hinnehmen und sich gegen zahlreiche Widerstände durchsetzen. Die großen Pharmaunternehmen lehnten die innovative Technik, die ihnen ab dem Jahr 2021 Milliarden einbringen sollte, zunächst mehrfach ab.

    In Europa und Nordamerika spricht Regisseur Raphaël Hitier mit Pionierinnen und Pionieren der mRNA-Technologie über Zweifel, Hürden und glückliche Zufälle – so spielten spontane Gespräche am Kopierer bereits eine ebenso wichtige Rolle wie Laborexperimente.

    Der Dokumentarfilm zeigt Menschen wie Katalin Karikó, Ugur Sahin und Andrew Geall im unermüdlichen Einsatz für den medizinischen Fortschritt – ob in der HIV-, Krebs- oder Covid-Forschung. Ihre Berichte erlauben Blicke hinter die Kulissen ihrer Disziplinen und beweisen, dass wissenschaftliche Erfolge nicht zuletzt davon abhängen, der Skepsis Anderer zu trotzen oder auch mit spärlichen Mitteln arbeiten zu können.

    https://www.youtube.com/watch?v=H0mIswm41vI

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