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Homöopathikum Neurexan: Nutzen laut GPSP „nicht durch klinische Studien belegt“

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„Kompletter Müll“, „für die Katz“, „so ein Quatsch“:

Das sind nur drei Kommentare, die Janos Hegedüs in seinem neuen Video für diverse Homöopathie-Studien übrig hat, mit denen Globuli-Anbieter eifrig werben.

Ähnlich verhält es sich mit dem Heel-Marketing für Neurexan:

Wie schon im April kommt die Publikation Gute Pillen – schlechte Pillen zu dem Ergebnis, dass die Werbung für das Entspannungsmittel „irreführend“ sei:

Der Nutzen des Präparats ist unseres Erachtens nicht durch klinische Studien belegt.

Zum Weiterlesen:

  • Neurexan: Weniger Stress, besserer Schlaf? GPSP am 27. Juni 2023
  • Homöopathie: „Irreführende Werbung“ für Neurexan? GWUP-Blog am 27. April 2023
  • Video: „Die Homöopathie steht nicht zur Debatte“ – Blattkritik mit Dr. Janos Hegedüs, GWUP-Blog am 3. Juli 2023
  • Schweiz: Homöopathische Behandlungen stark rückläufig, GWUP-Blog am 28. Juni 2023
  • INH: Systematische Reviews zur Homöopathie

7 Kommentare

  1. Das ist ja wirklich der Gipfel der Dreistigkeit.

    Mit Sicherheit wird es für die psychometrische Messung von Stress entsprechende validierte Fragebögen geben. Ist halt nur ein klein wenig aufwendiger als eine Blutentnahme.

    Aber ich hoffe mal, dass die Bestimmung des Cortisolspiegels wenigstens die massiven tageszeitlichen Schwankungen dieses Hormons berücksichtigt hat.

    Aber auch im MRT den Stress zu bestimmen, ist lustig! Mir fällt kaum eine Situation in der Arztpraxis ein, wo ich eher einen Puls von 120/min. gehabt hätte. Aber wenn das Neurexan so breit macht, dass man die Untersuchung tiefenentspannt über sich ergehen lässt, gerne!

    Nur die Hersteller von Benzodiazepinen würde das kaum erfreuen…

  2. Ach…

    Na gut, uneingeweihten muss man es halt immer wieder sagen, dass an den ganzen Studien nichts dran ist.

    Bei Homöopathie ganz besonders, aber auch bei allen anderen rezeptfreien Mittelchen muss man echt hinterfragen, was das für Studien sind und ob man aus denen irgendwas ableiten kann.

    Ich kriege das ja häufig mit. Da kommen die Außendienstler mit einer Schulung zu Pedibronch, Genupret (Namen geändert ;o) ) etc. und zeigen kurz Folien mit irgendwelchen Diagrammen, die für das beworb… entschuldigung, für das Produkt, zu dem geschult wird, irgendwie schöner aussehen.

    Selbst als Approbierter kommt man kaum dazu, überhaupt die Achsenbeschriftungen etc. zu erfassen, PTA und PKA haben’s noch mal schwerer und es bleibt nur hängen „gutes Zeug, gibt Studien“.

  3. Ein bisschen differenzierter:

    Stand heute früh gibt es in Pubmed ganze 14 (!) Treffer für Neurexan, wobei letztlich einige dieser Treffer entweder auf Errata hinweisen, sich gar nicht mit dem Medikament beschäftigen oder keine Forschung präsentieren. Ich habe mich auf das Durchlesen der Abstracts beschränkt.

    Die Arbeit von Doering et al. ist diejenige mit dem Cortisol (https://doi.org/10.1016/j.lfs.2015.12.058). Die Autoren haben die Level des Cortisols im Rahmen eines speziellen Streßtests untersucht, das hatte ich übersehen. Sie weisen selbst auf die Inkonsistenz ihrer Daten hin.

    Die von Heel auf ihrer Site zitierte Studie von Hübner et al. (https://doi.org/10.1100/tsw.2009.95) zum Vergleich von Neurexan gegen Baldrian ist eine „Beobachtungsstudie“, nicht randomisiert, ohne Placebogruppe, gesponsort von Heel und veröffentlicht in einem Journal von Hindawi.

    Dass das Neurexan nicht besser als Baldrian abschneidet, wird zu einer „Nicht-Unterlegenheit“ umgedeutet (wofür eine solche Untersuchung gar nicht statistisch angelegt ist). Kein weiterer Kommentar.

    Die dritte von Heel zitierte Studie von Waldschütz et al., ebenfalls zum Thema Baldrian und Neurexan, (https://doi.org/10.1100/tsw.2008.61) ist ebenfalls bei Hindawi publiziert, beinhaltet dieselben methodischen Schwächen und zumindest der Statistiker ist derselbe wie in der Studie zuvor.

    Ich würde vermuten, dass es sich um dasselbe Patientenkollektiv handelt. Auf die Angabe von Interessenkonflikten wird ganz verzichtet.

    Die anderen Papers in Pubmed beschäftigen sich fast ausschließlich mit Tierversuchen – aber bei praktisch allen sind Mitarbeiter der Fa. Heel an der Forschung beteiligt.

    Kann man nicht nur in die Tonne treten, sondern muß man sogar.

  4. Was für eine Überraschung.

    Mit seiner Firmenphilosophie ist Heel ja ein „Exot“ im Homöopathieuniversum (den durchaus nicht alle Homöopathen goutieren, aber so etwas lässt man ja nach außen nicht erkennen):

    Heel produziert nach dem Prinzip der Homotoxikologie nach Reckeweg. Anders als Hahnemann mit der „verstimmten Lebenskraft“ geht er als Krankheitsentstehung von einer beständigen „Vergiftung“ des Körpers aus. Eine Krankheit soll demnach ein Anzeichen dafür sein, dass die körpereigene Entgiftung nicht mehr richtig funktioniert.

    Dem will Reckeweg mit seinen homotoxikologischen Mitteln entgegenwirken.

    Von wegen Phytotherapie, die Heel ständig anklingen lässt.

    Man könnte noch über die Zusammensetzung von Neurexan spekulieren … Coffea würde als einziger Bestandteil sogar dem Ansatz der Hahnemannschen Homöopathie entsprechen, die ja auch Coffea (meist in der irrealen Potenzierung C200) als „Simile“ bei Unruhe und Schlaflosigkeit einsetzt.

    Die anderen Bestandteile entspringen dem Reckewegschen Universum. Schon das will nicht recht passen.

    Heel passte wohl sogar die eigene Firmenphilosophie nicht mehr so recht ins Marketing. Auf der Webseite von Heel war vor nicht allzu langer Zeit noch dieser glasklare Text zu finden:

    „Nach der Homotoxinlehre sind alle jene Vorgänge, Zustandsbilder und Erscheinungen, die wir als Krankheiten bezeichnen, der Ausdruck dessen, dass der Körper mit Giften kämpft und dass er diese Gifte unschädlich machen und ausscheiden will.

    Entweder gewinnt dabei der Körper oder er verliert den Kampf. Stets aber handelt es sich bei jenen Vorgängen, die wir als Krankheiten bezeichnen, um biologische, d.h. naturgerechte Zweckmäßigkeitsvorgänge, die der Giftabwehr und Entgiftung dienen.“

    Diese Offenheit ist inzwischen verschwunden und ersetzt durch:

    „Heel Arzneimittel setzen sich zusammen aus mehreren niedrig dosierten Wirkstoffen (multi-component), die ihre Wirkung an zahlreichen Stellen des Körpers entfalten (multi-target). Entstehen Krankheiten aufgrund der Fehlregulierung biologischer Netzwerke, bietet dieser einzigartige Therapieansatz somit eine sichere und effektive Möglichkeit, die Selbstregulierungsfähigkeit des Körpers wieder herzustellen.“

    Was auch immer das bedeuten mag. Warum wohl? Weil mit der Vergiftungs-These wohl kein Staat mehr zu machen ist.

    Der Laie wird über die Packungsbeilage vermutlich nie dahinterkommen, mit welchen Wirkstoffmengen er es hier wirklich zu tun hat. Rechnen wir also mal:

    Bei einer nach Beipackzettel höchsten Dosis von 6 Tabletten täglich nimmt man insgesamt 3,6 mg der potenzierten Lösung (!) der einzelnen „Wirkstoffe“ ein. Es ergeben sich also folgende Tagesdosen:

    Passiflora incarnata (Passionsblume): D2 ergibt 0,036 mg des Ausgangsstoffes,
    Avena sativa (Hafer): D2 ergibt 0,036 mg des Ausgangsstoffes,
    Cofea arabica (Kaffee): D12 ergibt 0,000 000 000 003 6 mg des Ausgangsstoffes,
    Zincum isovalerianicum (Zinksalz der in Baldrian enthaltenen Isovaleriansäure): D4 ergibt 0,000 36 mg des Ausgangsstoffes.

    Bei D2 und auch D4 meinen selbst Menschen, die sich mit Homöopathie ein wenig auskennen, da sei doch „noch was drin“. Von wegen.

    Interessant ist vielleicht noch, dass in einer Untersuchung über die Effekte positiver Erwartung (Diss. in Marburg) Neurexan ohne große Umstände als spezifisch unwirksames Prüfmittel ausgewählt wurde, das als quasi „Verum“ verabreicht wurde (also den Patienten klar war, dass es sich immerhin um ein auf dem Markt befindliches, apothekenpflichtiges Mittel handelt).

    Man hatte erwartet, dass dies bei der Neurexan-Gruppe zu signifikant stärkeren Effekten aus Erwartungshaltung und Konditionierung führen würde als das nicht näher bezeichnete Placebo bei der anderen Gruppe. Also Placebo gegen Placebo, nur einmal als bezeichnetes apothekenpflichtiges Mittel (man hielt den Probanden wohl die Packung direkt unter die Nase) und zum anderen als nicht näher bezeichnete Gabe (reiner Milchzucker).

    Erstaunliches Ergebnis: die wahrgenommenen „Wirkungen“ beider Gruppen waren nicht signifikant unterschiedlich.

    Einer der vielen Belege dafür, dass die Kontexteffekte, insbesondere Placeboerwartungen, auch nicht überschätzt werden dürfen. Und ein Beleg für die spezifische Unwirksamkeit von Neurexan, die ja bereits als Grundprämisse der ganzen Untersuchung zugrunde lag:

    https://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2016/0752/pdf/dplajg.pdf

    Wobei Neurexan das konkrete Mittel ist, zu dem das INH die meisten Anfragen erhält. Auch mal bemerkenswert.

  5. Es galt schon 2004 und gilt noch heute:

    „Despite mostly positive findings and high ratings on the Jadad score, the placebo-controlled, randomised clinical trials of homotoxicology fail to demonstrate the efficacy of this therapeutic approach.” (Ernst & Schmidt 2004)

    https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/15197516/

  6. Neurexan ist ein zugelassenes Mittel mit Indikation. Weiß man etwas über die Grundlage der Zulassung von Neurexan? Lt. BfArM wurde das Mittel 1991 zugelassen und die Zulassung 2001 verlängert.

    Im Arzneimittel-Informationssystem beim BfArM sind, wenn ich es richtig sehe, nur drei Studien neueren Datums dokumentiert (https://portal.dimdi.de/amguifree/am/search.xhtml).

  7. Daß auch nicht-homöopatische Produkte Mist sein können, ist ja nichts neues, aber dieser unappetitliche Fall (wörtlich zu nehmen) ist besonders unverschämt, weil es sich nicht nur um ein skurriles Nischenprodukt handelt (ich bin in einem anderen Blog darauf gestoßen):

    https://medwatch.de/weitere-artikel/heilerde-viel-staub-um-nichts/

    Die Fa. Luvos betreibt in jeglicher Hinsicht gefährliche Konsumententäuschung, und Verbraucherzentralen und Aufsichtsbehörden sind machtlos.

    Wer sich schlau machen möchte, wie ein modernes Wundmanagement eben *nicht* aussieht, sei auf

    https://www.wundzentrum-hamburg.de/wp-content/uploads/Standards/06-2022/WZ-VS-014-V06-Negativprodukte-und-Methoden-in-der-Behandlung-von-Menschen-mit-chronischen-Wunden_JHT.pdf

    verwiesen.

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