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Die „Hitler-Tagebücher“ jetzt vollständig online einsehbar

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In „The Big Book of Hoaxes“ haben sie seit langem ihren festen Platz: „The Hitler Diaries“.

Jetzt sind die gefälschten Hitler-Tagebücher von Konrad Kujau erstmals öffentlich verfügbar. Der NDR hat die erfundenen Texte digitalisiert, mithilfe von Historikern ausgewertet und von dem Politikwissenschaftler Hajo Funke einordnen lassen.

Hier geht es zur Online-Datenbank.

Die Journalisten bekamen allerdings keinen Zugriff auf die Originale, die unzugänglich bei Gruner + Jahr in einem Tresor lagern:

Nach langen Recherchen ist es gelungen, den Gesamttext aus anderen Quellen zu rekonstruieren. Kopien des ersten Teils über die Jahre 1932 bis 1939 tauchten im Nachlass der 2012 verstorbenen britischen Historikerin und Journalistin Gitta Sereny auf. Kopien der späteren Bände fanden sich bei Anwälten, die an Verfahren zum Fälschungsskandal beteiligt waren.

Der Medienkonzern Bertelsmann, zu dem über die RTL Group seit 2021 auch der Gruner + Jahr-Verlag gehört, hat angekündigt, eine wissenschaftliche Aufarbeitung des Umgangs mit den gefälschten Hitler-Tagebüchern beim Stern in Auftrag zu geben. Bertelsmann habe dazu einen bestehenden Forschungsauftrag am Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München erweitert. Die Ergebnisse sollen vollumfänglich veröffentlicht werden.

In der Sendung Reschkes Fernsehen am Donnerstag wurde zudem die (nicht ganz neue) These diskutiert, Kujau habe sich mit seiner Fälschung an einer Rehabilitierung Adolf Hitlers versucht. Demnach war das Werk nicht nur ein Hoax, um den Stern hinters Licht zu führen, sondern entstand in der Absicht, die NS-Geschichte neu zu deuten und zu verharmlosen.

Zum Weiterlesen:

  • NDR: Gefälschte „Hitler-Tagebücher“ – So gefährlich war der Fake
  • Datenbank: Die gefälschten „Hitler-Tagebücher“ zum Durchsuchen, ndr am 23. Februar 2023
  • „11. Januar 1945: Nun sehe ich das ich mit den Juden viel zu human umgegangen bin“, zeit.de am 22. Februar 2023
  • Bertelsmann will Umgang mit Hitler-Tagebüchern aufarbeiten, zeit.de am 24. Februar 2023
  • „Faking Hitler“ – der Podcast

7 Kommentare

  1. Ich erinnere mich sehr gut …

    Als die ersten Sensationsmeldungen publik wurden, meinte mein nüchtern-skeptischer, oft auch wortkarger Vater nur:

    „Die spinnen. Adolf war der Allerletzte, der den Nerv aufgebracht hätte, Tagebücher zu führen. Dafür war er nicht der Typ, er konnte ja nicht mal systematisch in seinem Job arbeiten. Wer sich nicht mal bei der Invasion in der Normandie wecken lässt …“

    Er ließ sich auch nicht von „Experten“ wie Tevor-Roper beirren. „Die ersaufen in ihrer eigenen Begeisterung und sehen den Wald vor Bäumen nicht!“

    Nun ja! Ich gebe zu, dass wir uns trotz des widerwärtigen Kerns der Sache ziemlich amüsiert hatten.

  2. danke UE, geht mir genauso, sowas hat mich damals so wenig interessiert wie heute.
    wer nimmt schon solche sachen weder von der b..d noch vom stern ernst. -ja die ard-
    also genau die, die den schmarn wieder neu ankurbeln.
    habe ein paar minuten frau reschke gesehen, das zuhören war schmerzhaft, und ihr ohrgehängsel war eigentlich das einzige was mir in erinnerung geblieben ist, ansonsten nur schwafelei.
    mein tipp, das ganze schreddern und recycling klopapier draus machen.

  3. @diabetiker

    Naja, die Frage, ob mehr dahintersteckte als jede Menge Kohle und ein paar Verblendete, die sich persönlichen Ruhm erhofften, ist schon nicht so uninteressant.

    Der ZEIT-Artikel vom 22.2., der unter „Zum Weiterlesen“ verlinkt ist, macht schon nachdenklich. Aber, und da stimme ich zu, das hat weit weniger aktuelle als zeithistorische Bedeutung. Man muss daraus nicht unbedingt jetzt die große Gegenenthüllung machen.

  4. @diabetiker / @Udo Endruscheit:

    Zitat aus der Sendung von Frau Reschke:

    „Konrad Kujau, der Schelm, der das große Verlagshaus Gruner + Jahr an der Nase herumgeführt hat, der raffinierte, aber irgendwie liebenswerte Trickser, als der er uns immer verkauft wurde. […]

    Hatte auch einen interessanten Bekanntenkreis, der Herr Kujau. Zum Beispiel Hans Bauer, Hitlers Chefpilot. SS-Gruppenführer, der das Reich im Herzen trug. […] Oder einer seiner Anwälte, Peter Stöckicht, NPD-Politiker, überzeugter Rechtsextremist. […]

    Und dann vor allem er: Lothar Zaulich, ein guter Kamerad Konrad Kujaus [der noch 1992 in einem Interview den Wunsch geäußert hat, die NSDAP möge wieder in Deutschland regieren und den Holocaust leugnete]. Er war der Pressesprecher des damals zentralen Neo-Nazis Michael Kühn.“

    Das ist es, warum die Aufarbeitung so wichtig ist.

    Kujau wollte nicht einfach nur Geld verdienen, er wollte im wahrsten Sinne des Wortes (die) Geschichte (um)schreiben. Und wie in dem Beitrag kritisch angemerkt wurde, hat man von ihm später das Bild des „Schelms“ gezeichnet, der durch Talkshows tingelte und harmlos war.

    Das war er eben nicht, er war in der rechtsradikalen Szene gut vernetzt, hat durch seine Kontakte ja sogar erst gelernt, Hitlers Handschrift zu fälschen.

    Zudem finde ich es wichtig, auch für die heutige Generation herauszuarbeiten, wie willig man damals war, Ausreden für die Gräuel des Dritten Reichs zu finden („wenn Hitler schon nichts gewusst hat…“).

    Und die Menschen vom „Stern“ waren ja keine Leute ohne Bildung, die haben über die Unstimmigkeiten in den Tagebüchern hinweggesehen, weil sie darüber hinwegsehen wollten.

  5. @Retho:

    Zudem finde ich es wichtig, auch für die heutige Generation herauszuarbeiten, wie willig man damals war, Ausreden für die Gräuel des Dritten Reichs zu finden („wenn Hitler schon nichts gewusst hat…“).

    Dieses „man“ trifft doch allenfalls auf die Chefredaktion des „Stern“ zu. Glauben Sie wirklich, die (west-)deutsche Öffentlichkeit wäre damals derartig naiv gewesen, solch offensichtlich grotesken Unfug prima facie für wahr zu halten?

    Rudolf Augstein hat das wenige Tage nach der Veröffentlichung (also mehrere Tage bevor es einen forensischen Beweis auf die Fälschung gab) sehr gut zusammengefasst:

    https://www.spiegel.de/politik/bruder-hitler-a-9df4c31d-0002-0001-0000-000014022494

    Natürlich mag es möglich sein, dass Kujau (bzw. eventuelle Hintermänner) vorsätzlich versucht haben, „die Geschichte umzuschreiben“, nur: es ist ihnen ja offensichtlich nicht gelungen! Vielmehr kam im Nachgang der Affäre sogar heraus, dass eine im Jahr 1980 erschienene wissenschaftliche Quellensammlung („Hitler. Sämtliche Aufzeichnungen 1905-1924“) der Historiker Jäckel und Kuhn ungefähr 10 Prozent Kujau-Fälschungen enthielt.

    Was soll also nun bei einer erneuten „Analyse“ längst bekannter Fälschungen an neuen Erkenntnissen hinzukommen?

    Der NDR hat die Kopien der Bücher übrigens aus dem Nachlass einer britischen Autorin erworben, die bereits vor 20 Jahren mit einer Art Verschwörungstheorie dazu aufgewartet hat. Damals hat das in Deutschland niemanden groß interessiert. Offenbar setzt der NDR darauf, dass das heute anders ist.
    Quelle: Wikipedia

  6. In der Welt:

    Neben der Datenbank gibt es einen 668 Seiten starken Band mit dem Titel „Die echten falschen ,Hitler-Tagebücher’“ (März-Verlag, 28 Euro), der […] bei einer renommierten Druckerei in Regensburg in Auftrag gegeben worden war.

    […]

    Die erste Deutung, die „Reschke Fernsehen“ denn auch in den Mittelpunkt stellte, ist daher als bestenfalls vorläufig zu betrachten. Demnach soll Konrad Kujau in der Entstehungsphase 1975 bis 1983 engen Kontakt zu verschiedenen Neonazis gehalten haben […] Wollte der „Stern“ Hitler primär von der Verantwortung für Holocaust entlasten? Oder ging es vorrangig um den (vermeintlichen) Scoop? Das wird zunächst das IfZ zu untersuchen haben, bevor die kritische Öffentlichkeit sich mit dem Ergebnis auseinandersetzen wird.

    […]

    Natürlich nicht, weil Kujaus Einfälle irgendetwas über den echten Hitler verraten könnten; wie sollten sie auch […] Viel näher liegt die Annahme, dass Kujau sich auf seine Abnehmer eingestellt hat. Tatsache ist, dass beim „Stern“ der NS-Bewunderer Gerd Heidemann jahrelang als Star galt. Er hatte tatsächlich ein Verhältnis mit der Tochter von Hermann Göring, dessen Privatjacht „Carin II“ er kaufte und mit großem Aufwand renovierte. Auf diesem Schiff fanden „Bordgespräche“ mit überlebenden NS-Größen statt; es soll sogar Pläne gegeben haben, ehemalige Funktionäre des Dritten Reiches und Angehörige des Widerstandes zu konfrontieren.

    Die eigentliche Frage ist also nicht, ob Kujau rechtsextreme Tendenzen hatte – entscheidend ist, wie apologetisch die Verlagsspitze von Gruner + Jahr war.

  7. Viel näher liegt die Annahme, dass Kujau sich auf seine Abnehmer eingestellt hat.

    Der Gedanke ist mir auch schon gekommen. Kujau war u.a. ein Militaria-Händler und Geschäftsmann. Er wird genau gewusst haben, wie er Alt- und Neo-Nazis anpacken musste, um ihnen Gegenstände abzukaufen, die er dann mit Gewinn weiter veräußern konnte.

    Er war bestimmt auch aus weitere Informationen und Kontakte aus der NS-Zeit aus, um so weitere Geschäftsverbindungen knüpfen zu können.

    Tatsache ist jedoch, dass beim „Stern“ der NS-Bewunderer Gerd Heidemann jahrelang als Star galt.

    Wichtige Information. Dieser Punkt scheint mir in der aktuellen Diskussion zu wenig berücksichtigt zu werden.

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