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Affenpocken und der große Plan

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Oh weia – drohen uns 270 Millionen Todesopfer durch die Affenpocken weltweit und drei Milliarden Krankheitsfälle insgesamt?

Das jedenfalls entspricht einem Szenario, das schon 2021 vorausgesagt wurde – und Verschwörungsgläubige jetzt zum Hyperventilieren bringt:

Wir erinnern uns:

Die Corona-Verschwörungsmythen sind maßgeblich befeuert worden von einer „pandemic exercise“, also der Simulation eines globalen Pandemie-Szenarios, das im Oktober 2019 am Johns Hopkins Center for Health Security durchgespielt wurde und an der auch die Bill & Melinda Gates Foundation beteiligt war.

Das Gleiche erleben wir jetzt.

Nicht nur, dass Karl Lauterbach sich schon lange mit „fiktiven Leopardenpocken“ beschäftigt:

Sogar mit echten Affenpocken wurde geplant – zumindest auf dem Papier.

Und zwar von der Non-Profit-Organisation „Nuclear Threat Initiative“ (NTI), die sich für die internationale Friedenssicherung durch Verhinderung katastrophaler Attacken oder von Unfällen mit Massenvernichtungswaffen einsetzt, in Zusammenarbeit mit der Münchner Sicherheitskonferenz.

Der 36-seitige Bericht dazu findet sich hier:

Für Verschwörungsgläubige ist der Fall damit natürlich klar:

https://www.youtube.com/watch?v=2sEJzAVG9So

Dass es keine Zufälle gibt, ist ein Hauptmerkmal von Verschwörungstheorien.

Dabei nennt die NTI in einer Erklärung plausible Gründe für die Wahl der Affenpocken. Man wollte einen Krankheitserreger „mit anderen Merkmalen als das SARS-CoV-2-Virus“, was die Übungsteilnehmer dazu ermutigten sollte, „Probleme zu berücksichtigen, die über die hinausgehen, die bereits in der aktuellen Pandemie hervorgetreten sind“.

Aus einer Reihe von Optionen habe man die Affenpocken als am geeignetsten befunden.

Auch sei das Gefahrenpotenzial von Affenpocken keineswegs neu. So habe Nigeria 2017 einen Ausbruch mit mehr als 200 Fällen erlebt, und auch in Großbritannien und den USA seien im vergangenen Jahr Fälle von Affenpocken aufgetreten.

Die Erkenntnisse, die aus dem Planspiel gewonnen wurden, waren übrigens deprimierend:

Das internationale System der Pandemieprävention, -erkennung, -analyse, -warnung und -reaktion ist trotz der Verbesserungen im Anschluss an die weltweite Reaktion auf Covid-19 völlig unzureichend, um den gegenwärtigen und erwarteten künftigen Herausforderungen zu begegnen.

Das wäre durchaus etwas, worauf sich begründete Kritik kaprizieren könnte – aber an realen Problemen und deren Lösung sind Verschwörungsgläubige traditionell nicht interessiert.

Wie schreibt die Süddeutsche Zeitung treffend:

Alle erwartbaren Narrative der Epidemie sind im Reden über die Affenpocken schon nach wenigen Tagen erfüllt worden […] Sollte die Krankheit im Westen nicht nach kurzer Zeit verschwinden, sondern tatsächlich eine ernsthafte pandemische Wendung nehmen, wird mit größter Wahrscheinlichkeit schon bald jenes Gesetz auftauchen, das die Auseinandersetzung mit dem Ursprung von modernen Seuchen kennzeichnet: der aus den Aids- und Covid-Debatten bekannte verschwörungstheoretische Verdacht, dass das Virus im Labor gezüchtet worden ist, um einem politischen Gegner zu schaden.

Chauvinismus und Paranoia: zwei Affekte der öffentlichen Rede, die in der Anfangszeit von Epidemien so zwangsläufig zum Vorschein kommen wie der Hautausschlag nach einer Pockeninfektion.

Zum Weiterlesen:

  • Warum die Affenpocken nicht die nächste Pandemie verursachen, welt.de am 27. Mai 2022
  • Affenpocken: „Eine neue Pandemie haben wir nicht zu befürchten“, Zeit-Online am 21. Mai 2022
  • Affenpocken-Experte: „Ich vermute, dass wir noch viele weitere Fälle sehen werden“, nzz am 26. Mai 2022
  • Wie gefährlich sind die Affenpocken? spektrum am 24. Mai 2022
  • Affenpocken: Alle wichtigen Fakten zur Krankheit, mimikama am 26. Mai 2022
  • Pandemien: „Das nächste große Ding ist längst da“, Zeit-Online am 27. Mai 2022
  • Verschwörungserzählungen: Nach Corona nun die Affenpocken? rnd am 21. Mai 2022
  • Affenpocken: Experten beruhigen, Querdenker verbreiten Panik und Lügen, volksverpetzer am 23. Mai 2022
  • Wie der Ausbruch der Affenpocken Verschwörungstheorien anheizt, t-online am 24. Mai 2022
  • Affenpocken: So reagieren Rechtsextreme und Verschwörungsideologen, Belltower News am 24. Mai 2022
  • Affenpocken-Simulation: Planspiele für den Ernstfall, tagesschau.de am 24. Mai 2022
  • Affenpocken-Simulation: Was steckt dahinter? Augsburger Allgemeine am 24. Mai 2022
  • Paranoia now, SZ+ am 24. Mai 2022

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  1. Bei Welt+:

    War alles geplant? Natürlich nicht, sagt MSC-Vize Benedikt Franke im Interview mit WELT – und erklärt die Hintergründe.

    WELT: Herr Franke, seit der Corona-Pandemie geraten wissenschaftliche Planspiele vermehrt in den Fokus der Öffentlichkeit. Im Oktober 2019 wurde vom Johns Hopkins Center for Health Security, vom Weltwirtschaftsforum und der Bill & Melinda Gates Foundation etwa das Coronavirus-Szenario „Event 201“ durchgespielt – nur kurz darauf, im Januar 2020, wurde über die ersten Corona-Fälle berichtet. Vor einem Jahr veranstaltete die MSC und NTI ein Planspiel, in dessen fiktivem Szenario es um die Antwort auf einen Affenpocken-Ausbruch ging. Aktuell erleben wir einen Anstieg der Affenpocken-Fallzahlen. Was hat es mit diesen Zufällen auf sich?

    Benedikt Franke: Es gibt hunderttausende Planspiele, von denen man nie erfährt. Das liegt ganz einfach daran, dass die durchgespielten Szenarien nie eingetreten sind. Nur weil manche Planspiele relativ realitätsnah konzipiert sind – und weil in manchen Fällen das durchgespielte Szenario dann auch eintritt – heißt das nicht automatisch, dass das Eintreten ein Resultat des Planspiels ist. Eine Kausalität besteht da natürlich nicht.

    WELT: Inwiefern beteiligt sich die Münchener Sicherheitskonferenz an solchen Planspielen?

    Franke: Wir arbeiten seit vielen Jahren mit den glaubwürdigsten Organisationen der Welt daran, auf Risiken hinzuweisen und Diskussionen konkreter zu machen. Deswegen verwenden wir in vielen Themengebieten – nicht nur für Pandemie-Szenarien – Planspiele. Die Bundeswehr arbeitet übrigens schon seit ihrer Gründung mit Planspielen, genau wie viele andere Institutionen und Behörden auch.

    WELT: Um welche Sicherheitsrisiken geht es da und wie sieht die Prozedur aus? Inwiefern wird dazu beigetragen, dass man gegenüber verschiedenen Krisen besser vorbereitet ist?

    Franke: Es geht um die verschiedensten Themenbereiche. Wir hatten bereits Planspiele durchgeführt, in der das Thema der Schutz kritischer Infrastruktur gewesen ist. Das heißt zum Beispiel: Was würde passieren, wenn in einem Teil Deutschlands das Internet ausfallen würde? Wir haben auch schon konkrete Konfliktsituationen durchgespielt, Auswirkungen des Klimawandels auf Stabilität simuliert und versucht, wirtschaftliche Auswirkungen externer Schocks durchzurechnen. Wie müsste man beispielsweise darauf reagieren, wenn solche „Choke points“ wie der Suezkanal gesperrt sind? Oder jemand den Bosporus oder die Gibraltar-Meerenge vermint? Bei all diesen Szenarien steht im Grunde eine Frage im Vordergrund: Sind Deutschland, die EU und unsere westlichen und transatlantischen Partner ausreichend vorbereitet bzw. gut genug aufgestellt, um im Ernstfall reagieren zu können?

    WELT: Wie war das bei der Übung zum Affenpocken-Ausbruch?

    Franke: Zusammen mit der Nuclear Threat Initiative (NIT) haben wir das Planspiel „Strengthening Global Systems to Prevent and Respond to High-Consequence Biological Threats“ minutiös vorbereitet. Wir haben die verschiedensten Wege durchgespielt, die bei einem solchen Szenario möglich sind. Sowohl die NTI als auch wir haben sehr viel Geld, Zeit und Mühe in dieses Planspiel investiert, um es so realitätsnah und so professionell wie nur irgend möglich zu machen.

    WELT: Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund den aktuellen Affenpocken-Ausbruch?

    Franke: Dass die Affenpocken ausbrechen, zeigt auf der einen Seite, dass wir für unser Planspiel einen Erreger gewählt haben, der nicht völlig aus der Luft gegriffen war. Aber die Tatsache, dass der Erreger anders übertragen wird und weniger infektiös ist als in unserem Planspiel, zeigt andererseits auch, dass wir eben nicht so nah am realen Szenario waren, wie etwa in den sozialen Medien vielfach behauptet wird.

    WELT: Was war der Anlass für dieses Planspiel?

    Franke: Sie müssen sich vergegenwärtigen, wo wir im März 2021 in der Covid-Pandemie standen. Das war genau ein Jahr nach Beginn. Viele dachten sich, dass alles im Sommer besser werden würde. Es war noch nicht klar, ob im Herbst die nächste Welle kommt. Damals, im März 2021, haben wir uns folgendes gefragt: Haben wir etwas aus der Covid-Pandemie gelernt? Sind unsere Prozesse inzwischen besser geworden? Und sind sie auch so flexibel, dass sie einen völlig anderen Erregertyp ebenfalls unter Kontrolle bringen können?

    WELT: Warum Affenpocken?

    Franke: Affenpocken sind grundsätzlich nicht so leicht durch Aerosole übertragbar wie Covid-Sars-Viren. Deswegen sind wir auf die Affenpocken gekommen: Sie sind ein realistisches Szenario, das wir bisher noch nicht geübt hatten. Denn wir hatten bereits Übungen vor vielen Jahren zu SARS – unter anderem auch in China. Wir hatten auch schon Ebola durchgespielt. Deswegen kamen die MSC und die NTI zu dem Schluss, dass Affenpocken für das Planspiel im März 2021 eine relativ gute Wahl waren.

    WELT: Wer sich das Resümee des Planspiels durchliest, dem könnte Angst und Bange werden: Darin ist unter anderem davon die Rede, dass es sich beim fiktiven Affenpocken-Erreger im Mai 2022 um eine Biowaffe handeln würde, die in die Hände von Terroristen gelangt sei. Wie gut wären wir auf einen solchen Ernstfall vorbereitet?

    Franke: In den vergangenen Jahren hat sich einiges verbessert, aber trotzdem liegt noch vieles im Argen. Ich glaube, dass die neue WHO-Einheit, die in Berlin gegründet wurde – der „Hub for Pandemic and Endemic Intelligence“ – ein großer Schritt ist, um unsere Überwachungsmechanismen zu synchronisieren. Und um uns für die nächste Pandemie so gut vorzubereiten, dass nicht das Gleiche geschieht wie Anfang 2020, als alle Staaten ihren eigenen Nationalismen verfallen waren. Dass damals das politische Kleinklein oft wichtiger war als das große Gesamtbild, war schließlich auch eine Angriffsfläche für Polemiker und Skeptiker. Wir müssen aus der Pandemiebekämpfung einen globalen Ansatz machen – und wir müssen noch öfter üben, um unsere Strukturen, Prozesse und Ansätze regelmäßig zu überprüfen und anzupassen.

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