Beiläufig streift Sinans Woche heute die Causa Naidoo – macht aber dennoch eine wichtige Anmerkung dazu:
Ein zentraler Punkt meines Charakters ist die Suche nach Wahrheit
sagt Naidoo in seinem Entschuldigungs-Video. Und bei dieser Suche habe er sich eben verrannt.
Ist das wirklich so? Oder ging es dem Sänger – sowohl als gläubiger Christ wie auch als Verschwörungstheoretiker – nicht stets darum, unbedingt Antworten haben zu wollen?
Denn die Suche nach Wahrheit beinhalte im Grunde vor allem das Ertragen, die Wahrheit eben noch nicht zu kennen, führt Sinan aus:
Die Suche nach Wahrheit ist in Wirklichkeit etwas sehr Unbefriedigendes. Denn eigentlich wird man sie nie erreichen […] Und ich vermute, das zu ertragen, ist für einen Menschen wie Xavier fast unmöglich. Genau dann werden einfache Theorien sehr attraktiv.
Deshalb sind Verschwörungstheoretiker keine „Wahrheitssucher“, wie sie sich selbst gerne sehen – sondern es geht ihnen um emotionale Befriedigung. Deshalb verstellen Verschwörungstheorien den Blick auf eine weitaus kompliziertere Realität, in der auch ohne Verschwörung erschreckende Dinge passieren.
Allerdings kritisiert Sinan nicht nur „Querdenker“ und Corona-Verharmloser, sondern auch „die Warner, die Angstmacher, diejenigen, die geglaubt haben, exakt zu wissen, wie gefährlich Covid-19 jetzt ist“:
Die Erkenntnisse bezüglich Corona haben sich in den letzten zwei Jahren stetig weiterentwickelt, durch Mutationen oder die Impfung haben sich die Spielregeln immer wieder verändert.
Unumstößliche Wahrheiten gibt es daher nicht – auf beiden Seiten nicht.
Diese Frage sollte man sich immer stellen: Wäre es für mich ein Problem, wenn sich herausstellt, dass meine Überzeugungen falsch waren?
Zum Weiterlesen:
- „Verrannt“ und den Bezug zur Realität verloren: Xavier Naidoo bittet um Verzeihung, GWUP-Blog am 20. April 2022
- Verschwörungstheorien: „Toxischer“ vs. gesunder Zweifel, GWUP-Blog am 29. April 2019
- „Verschwörungstheoretiker sind nur halbherzige Skeptiker“, Zeit-Online am 23. April 2022
30. April 2022 um 00:37
Einfache Antworten gibt es nicht und auch keine einfachen Antworten auf unsere/meine Fragen. Niemand hat einfach nur „recht“. Das Leben ist nicht perfekt und wir sollten im besten Falle immer auf der Suche nach Antworten sein.
Wer religiös erzogen wurde (wie ich, wobei ich meinen Eltern keinen Vorwurf machen will, da sie auch „Opfer“ waren), hat einen Hang dazu immer die absolute Wahrheit zu suchen, die es nicht gibt.
Dazu ein Zitat von Kurt Tucholsky (angeblich) :
„Ich glaube jedem, der die Wahrheit sucht. Ich glaube keinem, der sie gefunden hat.“
30. April 2022 um 21:13
Genau diese Selbstbezeichnung als „Wahrheitssucher“ in Naidoos Video war für mich der Punkt, an dem ich zusammenzuckte.
Die fehlende Demut solcher „Suchender“, vorzugsweise in dem Moment, wo sie glauben, „die Wahrheit™“ gefunden zu haben, ist das große Problem, q.e.d.
Der Wahrheitsbegriff von Francis Bacon, damals noch absolut gedacht („If truth is manifest, thruth is there to be seen“) ist epistemologisch längst obsolet – und nicht nur epistemologisch. Wer nicht realisiert, dass absolute Wahrheit nicht zu finden ist und sich nicht auf das schwere und anstrengende Geschäft der Annäherung, des Verwerfens und Ersetzens des als falsch Erkannten, einlässt (man nennt das auch kritisches Denken), der wird immer auf einem Holzweg landen.
Ich glaube nicht, dass Naidoo das weiß. Vermutlich ist das wirklich eine der Auswirkungen seiner starken religiösen Grundierung.