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Den kleinen Riss im Denksystem verursachen: Interviews mit Holm Hümmler und Ulrike Schiesser

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Die Psychologin Ulrike Schiesser, Koautorin von „Fakt und Vorurteil“, war bei der Medienplattform Idealism Prevails zu Gast.

Mit dem Moderator Christian Janisch sprach sie über das Buch selbst und über das Thema Verschwörungstheorien:

Ein Kapitel des Buches beschäftigt sich mit Umdenkprozessen: Was waren die Auslöser für Menschen, die sich von Verschwörungsmythen emanzipiert haben – und wie kann man diese erkennen, um diese Personen dabei richtig zu unterstützen?

In der letzten Skeptiker-Ausgabe (3/2021) interviewten wir dazu ihren Koautor Holm Hümmler:

Skeptiker: Im Vorwort heißt es, dass „abgesehen vielleicht von dem Buch Starrköpfe überzeugen von Sebastian Herrmann“ es kaum Veröffentlichungen gebe, die konkrete Hilfe für den Umgang mit Verschwörungsgläubigen anbieten. Zwischenzeitlich, während der Arbeit an Fakt und Vorurteil, ist das eine oder andere dazu erschienen, etwa True Facts von Katharina Nocun und Pia Lamberty oder Einspruch von Ingrid Brodnig. Wie hebt sich Euer Buch davon ab?

Hümmler: Der Unterschied ist, dass wir nicht nur Verschwörungsmythen oder Hasspostings betrachten, sondern den gesamten Komplex der irrationalen Überzeugungssysteme.

Der Glaube an die Flat-Earth-Theorie, Globuli, Graphologie oder MMS, um nur die Beispiele aus dem Einleitungskapitel zu nennen, weist praktisch identische Muster auf. Aus der Forschung wissen wir, dass ein Verschwörungsglaube den nächsten stärkt. Und dass Homöopathie nicht selten die Basis für eine grundsätzliche Wissenschaftsskepsis ist und einen Weg ins Postfaktisch-Irrationale bahnt.

Für eine Diskussion ist also gar nicht so entscheidend, ob der- oder diejenige nun an Impfmythen oder an den großen Austausch glaubt – viel wichtiger sind solche Fragen: Wie tief steckt diese Person in der Überzeugung drin? An welchem Punkt ihres Denkprozesses ist sie gerade angelangt? Wo und nicht zuletzt mit welcher persönlichen Haltung kann man sie möglicherweise abholen?

Diese Erfahrung hat auch meine Koautorin Ulrike Schiesser in ihrer Beratungstätigkeit gemacht, sowohl mit Betroffenen als auch mit deren Angehörigen.

Schiesser ist Psychologin und Mitarbeiterin der Bundesstelle für Sektenfragen in Wien. Wie ist diese Kooperation entstanden?

Den Anstoß für das Buch gab der Verlag, aber als Physiker sehe ich mich nicht für ein überwiegend psychologisches Thema qualifiziert. Die Lösung war eine Koautorenschaft mit einem Experten oder Expertin, und dank eines Tipps von Hoaxilla stieß ich schließlich auf Ulrike. Das passte sehr gut.

Für das Kapitel „Umdenkprozesse“ habt Ihr Interviews mit Menschen geführt, die eine Bekehrungsgeschichte hinter sich haben, zum Beispiel die ehemalige Homöopathin Natalie Grams, die frühere Verschwörungsgläubige Stefanie Wittschier und die einstige Ghosthunterin Hayley Stevens. Welche Gemeinsamkeiten kann man aus diesen Biografien extrahieren?

Eigentlich nur die, dass das Umdenken einem niemand abnehmen kann. Und dass es sich dabei meist um einen längeren Prozess handelt. Es gibt kein Killer-Argument, mit dem man einer gläubigen Person schlagartig die Augen öffnen kann. Die eigene Überzeugung zu hinterfragen und zu ändern, ist sehr anstrengende Arbeit. Initial braucht es dafür in der Regel eine Erschütterung, die einen kleinen Riss im Denksystem verursacht.

https://www.derstandard.de/story/2000131509923/proportionality-bias-wieso-unser-hirn-verschwoerungstheorien-mag

Aber diese Erschütterung kann doch durchaus von Außenstehenden kommen.

Kann – muss aber nicht. Wir haben auch mit Menschen gesprochen, die diesen Weg ganz allein gegangen sind.

Bei dem englischen Psychologie-Professor Chris French war es ein Buch, das ihn vom Glauben an das Paranormale abbrachte. Die Psychologin Susan Blackmore musste irgendwann einsehen, dass ihre eigenen Experimente keinerlei Beweise für Telepathie, Hellsehen und andere vermutete Phänomene erbrachten.

Aber grundsätzlich ist das schon richtig, dass man in einer Diskussion mit Esoterikern, Verschwörungsgläubigen und anderen nur versuchen kann, die Überzeugung ein wenig zu erschüttern, gewissermaßen ein Samenkorn der Skepsis auszustreuen. Ob und wann dieses aufgeht, kann man nicht bestimmen.

Zumal, wie Sie schon sagten, man nicht weiß, in welcher Phase sich die Person gerade befindet.

Genau, das ist kaum auf den ersten Blick erkennbar, ob man es mit jemandem zu tun hat, der schon lange fest in seinem Glaubenssystem verankert ist. Oder ob der- oder diejenige bloß am Vorabend eine Pseudo-Doku bei N24 gesehen hat. Das erst einmal vorsichtig abzuklopfen, ist bereits ein guter Tipp für die Auseinandersetzung.

Aber da es ganz unterschiedliche Situationen und Kontexte gibt, in die man als diskussionswilliger Skeptiker hineingerät, gibt es auch keine wirklich klare Präferenz für eine bestimmte Diskussionsstrategie. Das ist ein Fazit unseres Buches.

Mehr noch: Nicht einmal vermeintliche Gewissheiten sind immer und in jedem Fall zielführend – etwa die, dass man in der Debatte unbedingt freundlich und wertschätzend bleiben sollte.

In der Tat gaben zwei unserer Interviewpartner zu Protokoll, dass ihr Umdenken erst aufgrund von harten persönlichen Angriffen erfolgte. Beide wurden massiv in die Situation hineingedrängt, sich rechtfertigen zu müssen, und erst dann hinterfragten sie ihre eigene Position. Das ist selten, kommt aber vor.

Klar ist es wünschenswert, in Diskussionen mit Andersdenken verständnisvoll zu bleiben und sympathisch rüberzukommen. Für die professionelle Beratung, wie Ulrike Schiesser sie in Österreich betreibt, ist das sogar unabdingbar. Trotzdem gibt es Situationen, in denen man in die Konfrontation gehen muss. Etwa wenn extremistische Haltungen geäußert werden. Oder wenn die Gesundheit von schutzbedürftigen Personen in Gefahr ist.

Jemandem, der seinem Kind MMS-Einläufe verpasst oder eine akute Mittelohrentzündung mit Globuli behandelt, muss man klipp und klar sagen, dass das nicht geht.

Also die gute Nachricht ist, dass man praktisch nichts falsch machen und sich daher in jede Diskussion, ob online oder Reallife, einbringen kann.

Ja. Oft kommt es gar nicht darauf an, wie man widerspricht, sondern dass es überhaupt Widerspruch gibt. Unsinn darf nicht komplett unwidersprochen bleiben. Jeder, der eine irrationale Meinung verbreitet, verdient Widerspruch.

Es muss jemand dagegenhalten, nicht zuletzt für die Mitleser oder Zuhörer, aber auch die Person selbst braucht die Chance, sich an einem kritischen Denkanstoß reiben zu können. Das ist jedenfalls meine Überzeugung.

Und wenn man das schon hundert Male versucht, aber mittlerweile resigniert hat?

Das kommt auf die Erwartungshaltung an. Wenn ich mit dem Ziel in eine Diskussion gehe, mein Gegenüber zu bekehren, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, eine Enttäuschung zu erleben. Das kam auch in allen unseren Gesprächen mit ehemals Gläubigen zum Ausdruck. Niemand lässt sich einfach so vom Gegenteil dessen überzeugen, woran er glaubt. Das kann die betreffende Person nur selbst leisten.

Es geht vielmehr um den besagten Riss im Denksystem. Den Diskussionspartner mit Fragen konfrontieren, die er sich noch nie gestellt hat. Fakten darlegen, die der- oder diejenige gar nicht kennt – das kann jeder von uns. Was wir damit eventuell bewirken, erfahren wir ja nie. Oder nur in Ausnahmefällen.

Eine unserer Gesprächspartnerinnen war Impfgegnerin. Sie sagte uns, dass die Unsicherheit in Bezug auf ihre eigene impfkritischen Haltung eigentlich immer da war, aber erst durch einen engagierten Skeptiker so weit getriggert wurde, dass ein Umdenken stattfinden konnte.

Um solche Fragen wie „Konfrontativ oder verständnisvoll?“ geht es im Kapitel „Grundsätzliche Strategien“. Ein weiterer interessanter Punkt darin lautet: „Aktiv eigene Argumente vorbringen oder reaktiv die der Gegenseite widerlegen?“

Auch das hängt wiederum davon ab, in welcher Situation man sich befindet.

Als Beispiel dient uns an dieser Stelle die ehemalige Geisterjägerin Hayley Stevens, die den Blog Hayley is a Ghost betreibt. Bei ihrem Umdenkprozess spielte die Diskussion mit einem Skeptiker über ein vermeintliches Geister-Foto eine Rolle. Ihr Gegenüber versuchte nicht, Belege dafür zu liefern, dass es keine Geister gibt, sondern schlug ihr vor, sich doch mal näher mit Pareidolien zu beschäftigen. In diesem Fall funktionierte das.

Auch in der Auseinandersetzung mit Verschwörungsgläubigen ist es wahrscheinlich sinnvoller, sich die konkreten angeblichen Beweise für eine bestimmte Erzählung anzusehen, anstatt die dualistische Weltsicht der Person anzugreifen oder über die Plausibilität von Verschwörungsmythen im Allgemeinen zu reden. Ganz anders sieht es aber auch hier wieder aus, wenn man es zum Beispiel mit einem MMS-Promoter zu tun hat.

Dann ist es absolut notwendig, aktiv auf die Risiken und Gefahren dieses Mittels hinzuweisen, bevor man eventuell auf die dahinterstehende Big-Pharma-Verschwörungstheorie eingeht.

In der Coronakrise machten viele Menschen die überraschend neue Erfahrung, dass auch im Freundes- und Familienkreis WhatsApp-Nachrichten mit Impfmythen oder Empfehlungen für Covid-19-Wundermittel kursieren. Deshalb gibt es in Eurem Buch ein eigenes Kapitel „Diskussionen in der Familie“.

Ja, das war uns wichtig, herauszuarbeiten, dass eine Kommentardiskussion im Internet etwas anderes ist als mit der eigenen Mutter, dem Bruder oder Onkel zu reden.

Freunde und Bekannte kann man sich aussuchen oder zumindest bestimmte Themen meiden. In der Familie ist das schwierig. Nicht erst seit Corona kennen die meisten Skeptiker unerquickliche Diskussionen beim Weihnachtsessen mit der Homöopathie-gläubigen Verwandtschaft. Das Gute daran ist, dass man eher ernst genommen wird und leichter Gehör findet als bei fremden Menschen. Von Nachteil ist, dass im engsten Beziehungsumfeld jede Kritik gleich persönlich genommen wird.

Deshalb geben wir im Buch viele Tipps, wie man positive Rahmenbedingungen schafft und welche Gesprächstechniken sinnvoll sein können. Denn eines – und darauf haben auch einige unserer Interviewpartner hingewiesen – darf man nicht vergessen: Oft ist die Familie das einzige Korrektiv, der letzte soziale Anker, das Auffangnetz, das noch bleibt, wenn sich jemand in ein irrationales Überzeugungssystem verrannt hat.

Deshalb sollte man Betroffene nicht unnötig vor den Kopf stoßen, andererseits aber auch nicht alles gutheißen.

Wir sprachen schon eingangs darüber: In den mittlerweile anderthalb Jahren der Coronakrise ist der publizistische Output zum Thema Verschwörungstheorien und speziell zum Umgang mit Verschwörungsgläubigen stark angestiegen. Wirkt das nicht allmählich etwas inflationär?

Ich sehe das immer noch positiv. Die Vielstimmigkeit der Bücher, Hefte, Broschüren, Videovorträge etc. leistet einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung, weil Menschen unterschiedlich angesprochen werden müssen.

Wenn Studierende heute eine Masterarbeit über den Verschwörungsglauben schreiben wollen, bekommen sie nicht mehr automatisch zu hören, dass sie sich doch besser mit einem seriösen Thema beschäftigen sollten. Ich finde, das ist durchaus ein Fortschritt.

Zum Weiterlesen:

  • Holm Hümmler/Ulrike Schiesser: Fakt und Vorurteil: Kommunikation mit Esoterikern, Fanatikern und Verschwörungsgläubigen. Springer 2021, 264 Seiten, 19,99 €
  • Der Bekehrte: Wie dem Verschwörungstheoretiker der Ausstieg gelungen ist, derStandard am 212. November 2021
  • Interview mit dem Ascendancer: „Plötzlich war ich der Typ, der alles durchschaute“, Skeptiker 4/2021
  • Heute im #ferngespräch: „Fakt und Vorurteil“ – Umgang mit Verschwörungsgläubigen, GWUP-Blog am 16. November 2021

2 Kommentare

  1. „Birds Aren’t Real, or Are They? Inside a Gen Z Conspiracy Theory.“:

    https://www.nytimes.com/2021/12/09/technology/birds-arent-real-gen-z-misinformation.html

    Wie man VT witzig aushebeln kann. Oder es zumindest versuchen kann.

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