Nach „Plandemic“ dräut aus Frankreich ein weiterer Film heran, der …

… seit ein paar Tagen als recherchierter Dokumentarfilm daherkommt und doch nur Nebelbomben wirft mit dem einzigen Ziel, seine Zuschauerinnen und Zuschauer in ihren diffusen Ängsten vor einer Infektion mit Covid-19 abzuholen, ihr Sehnen nach dem unkomplizierten Leben, wie es scheinbar davor war, zu schüren und sie in eine verschwörungstheoretische Falle zu locken.

Bevor wir das Machwerk gesehen und selbst etwas dazu sagen können, schon mal ein paar kritische Stimmen:

• Der Regisseur des Films ist Pierre Barnérias.

Er hat eine kurze, aber eindrückliche Filmografie an polemischen und verschwörungstheoretischen Dokumentationen wie À qui profite le flou? (2013), in der er Behörden und der französischen Nachrichtenagentur AFP Bildermanipulationen vorwarf (die nie belegt werden konnten), oder M et le 3e Secret (2014), in der es um eine Infiltration der katholischen Kirche durch Kommunisten geht und eine Weltverschwörung durch Freimaurer.

• Worum geht es?

Über zwei Stunden und vierzig Minuten sieht man Animationen und Grafiken, Weltkarten und Kurven und vor allem viele Menschen vor schwarzem Hintergrund, die so beleuchtet sind, dass ihre Haare wie Heiligenscheine wirken.

Sie erklären, warum die Pandemie von den Reichen gegen die Armen eingesetzt wird, ja, sogar erfunden wurde, mit dem Ziel, die ärmere Bevölkerung von diesem Planeten zu tilgen. Sie gelte als überbevölkert.

Hinzu kommen maliziöse Absichten der Pharmaindustrie, die an dem Impfstoff verdiene, und der Politiker, die selbst an beidem interessiert seien: an der Unterdrückung der ärmeren Schichten und an einer Bereicherung mithilfe der Pharmaunternehmen.

Die Wirkung:

„Hold-up“ ist ein wütender Film gegen eine nicht näher benannte „Elite“, verkörpert von Bill Gates, ein Plädoyer gegen Big Pharma und eingefleischte Transhumanisten, die mit G5-Mobilnetz, Kryptowährung und künstlicher Intelligenz die Menschen wahlweise unfrei machen oder vernichten wollen.

An keiner Stelle taucht das Wort der jüdischen Weltverschwörung auf, aber der antisemitische Einschlag beim Hinweis auf die angeblichen Machenschaften der amerikanischen Berggruen-Stiftung ist unübersehbar […]

„Hold-up“, Geiselnahme heißt das, ist ein verschwörungstheoretisches Meisterstück, ein Film für Menschen, die sich nicht vor Sars-CoV-2 fürchten, das Virus der Angst aber für lebensgefährlich halten. Denn im Film fallen Sätze wie diese: „Sie haben das Virus erfunden, um uns Angst zu machen.“ „Mit Menschen, die Todesangst haben, kann man alles machen.“

Polarisierung:

Für die einen ist „Hold-up“ eine überfällige Offenbarung der Wahrheit, ein mutiger Versuch, endlich auszusprechen, was man selbst nur schwammig ahnt. Darunter sind so prominente Stimmen wie die ehemalige First Lady Carla Bruni oder die Schauspielerin Sophie Marceau, die das Filmplakat mit ihren knapp 500.000 Fans auf Instagram geteilt hat. Schlüsselfigur für die Finanzierung und Bewerbung des Films ist Maxime Nicolle, Protagonist der Gelbwestenbewegung, deren systematische Elite- und Politikerkritik „Hold-up“ nicht nur bedient, sondern um Längen übertrifft.

Für alle anderen ist der fast drei Stunden dauernde, mit Falschbehauptungen und Widersprüchen gespickte Film ein erschütterndes Dokument des unaufhaltsamen Siegeszuges verschwörungstheoretischer Propaganda und ein trauriger Beleg dafür, dass auch die europäischen Demokratien nicht weit von der amerikanischen Spaltung sind.

Wo läuft der Film?

Am 11. November erschienen, erreichte der umstrittene Streifen seinen ersten Spitzenwert paradoxerweise am Freitag, als ihn große Anbieter wie Vimeo oder Youtube wegen Fake-News-Verdachts aus dem Netz nahmen. Man nennt dies einen „Streisand-Effekt“: Die Interventionen und Argumentationen gegen den Film steigerten nur noch das Interesse daran; unzählige Links kopierten ihn sofort auf andere Internetträger.

Allein über das vergangene Wochenende wurde er 2,7 Millionen Mal angeschaut. Das ist selbst für den frankofonen Raum eine gewaltige Zahl, wenn man bedenkt, dass der Doku-Rekord auf dem französischen Youtube bisher bei 1,1 Millionen (zum Thema Melania Trump) lag.

Der frühere Gesundheits- und Kulturminister Philippe Douste-Blazy, der Arzt ist und sich vom einschlägig bekannten Barnérias interviewen ließ, beklagt im Nachhinein „eine Falle“ und verlangt vor Gericht, dass sein Auftritt herausgeschnitten werde.

„Hold-up“ darf auch als Beleg dafür gelten, wie lukrativ Verschwörungstheorien sind. Die Produzenten wollten ihren Film mit 20.000 Euro über Crowdfunding-Kampagnen finanzieren, sammelten dann aber zehnmal so viel Geld ein.

Über Tipee haben sich fast 8000 Leute gefunden, die zukünftige Projekte des Regisseurs mit einem „kleinen Trinkgeld“ monatlich unterstützen. Danach sollen derzeit 147.000 Euro monatlich in die Kassen von Barnérias fließen.

Zum Weiterlesen:

• Hold-Up“: Aufklärung ist ein mühsames Geschäft, Zeit-Online am 18. November 2020
• Frankreich: Sie glauben, die „Elite“ habe das Virus als Waffe für Massenmord entwickelt, Welt+ am 19. November 2020
• Überfall auf die Faktenlage: Verschwörungstheorien in „Hold-up“, derStandard am 18. November 2020
• Verschwörungsfilm „Hold-up“ : Ein Genozid an den Armen? FAZ am 18. November 2020
• „Hold up“: Die große Schockwelle, Süddeutsche am 15. November 2020