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Mit Anwaltsbrief gegen die Wissenschaft: „Hevert“ im Finale um das Goldene Brett 2019

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Die drei Finalisten für die Verleihung des „Goldenen Bretts“ am kommenden Freitag (13. Dezember) in Wien sind soeben bekanntgegeben worden:

  • Kuscheln mit Fremden: Die International Foundation for Original Play

„Original Play“ ist ein wissenschaftlich nicht anerkanntes „Spielkonzept“, erfunden von O. Fred Donaldson. Dabei geht es um Berührungen und körperbetontes Spiel von Kindern mit Erwachsenen, die ihnen fremd sind. „Original Play“ wird dabei ohne wissenschaftliche Basis zum Allheilmittel für das Kind und sogar zum „spirituellen Ausdrucksmittel“ erklärt.

Anstatt die These psychologisch oder pädagogisch zu untermauern, wird bloß auf „Natürlichkeit“ und die „Gnade Gottes“ verwiesen. Aus wissenschaftlicher Sicht ist das bedenklich, schließlich entsteht bei dieser Art von körperbetontem Herumbalgen eine höchst asymmetrische Beziehung: Die Erwachsenen üben Kontrolle aus, Kindern hingegen fällt es oft schwer, ihre eigenen Grenzen wahrzunehmen und aufzuzeigen.

Dass Körperkontakt für Kinder wichtig ist, steht außer Frage – doch ohne jede Kontrolle und Qualitätssicherung überwiegen die potenziellen Nachteile.

  • Mit Anwaltsbrief gegen die Wissenschaft: Hevert

Der deutsche Arzneimittelhersteller Hevert verkauft homöopathische Präparate. Im Frühling sorgte die Firma durch ihren außergewöhnlichen Umgang mit wissenschaftlicher Kritik für Aufsehen: Mehrere prominente Homöopathie-Kritiker bekamen eine Abmahnung zugeschickt. Sie sollten ab sofort die Behauptung unterlassen, dass Homöopathie nicht über den Placeboeffekt hinaus wirksam sei. Im Falle des Zuwiderhandelns sollte eine Strafe in der Höhe von 5100 Euro fällig werden.

Diese Vorgehensweise birgt eine ernste gesellschaftliche Gefahr. Die Wissenschaft muss das Recht haben, Fakten zu präsentieren. Wissenschaftliche Wahrheiten können nicht per Anwaltsbrief geklärt oder vor Gericht ausverhandelt werden – sie sind, wie sie sind. Ob das irgendjemandem gefällt oder nicht, darf keine Rolle spielen.

Mit derselben Logik könnten sonst Autofirmen Berichte über klimaschädliche Abgase unterdrücken oder Tabakkonzerne Studien über Lungenkrebs stoppen. Wenn wir rationale gesellschaftliche Diskussionen führen wollen, darf Wissenschaft nicht eingeschüchtert werden.

  • Gerechtigkeit für Feinstaub und NOx? Dieter Köhler und die Unterzeichner seiner Stellungnahme

Dr. Dieter Köhler ist Lungenfacharzt und veröffentlichte eine Stellungnahme über die Gesundheitsgefährdung durch Feinstaub und Stickoxide. Darin stellt er die gesundheitlichen Gefahren von Luftverschmutzung auf wissenschaftlich unhaltbare Weise als harmlos dar: In der Praxis sehe man als Lungenfacharzt niemals Feinstaubtote, erklärt  Köhler. Daher hält er es für wahrscheinlich, dass Daten, die zu „scheinbar hohen Todeszahlen führen“, einem statistischen Fehler unterliegen.

Nach dieser Logik müsste auch UV-Strahlung ungefährlich sein – schließlich sieht ein Hautarzt niemals einen Sonnenbrandtoten. Dieter Köhler scheint die Grundkonzepte der Epidemiologie nicht verstanden zu haben: Wenn man unterschiedliche Bevölkerungsgruppen auf statistisch korrekte Weise miteinander vergleicht, kann man sehr wohl untersuchen, ob eine bestimmte Exposition mit einem erhöhten Sterberisiko verbunden ist – auch wenn kein einzelner Toter konkret dieser Todesursache zuzuordnen ist.

Selbst als Köhler ganz konkrete Rechenfehler nachgewiesen wurden, zog er seine Stellungnahme nicht zurück, sondern blieb bei seinen Grundaussagen.

Die Veranstaltung am Freitag in der Urania beginnt um 20.15 Uhr (Einlass ab 20 Uhr).

Zum Weiterlesen:

  • Lustig: Hevert-Geschäftsführer kann keine „fundierten Aussagen“ zur Homöopathie machen, GWUP-Blog am 1. Juli 2019
  • Wie gefährlich sind Feinstaub und Dieselabgase? Eine Debatte, Skeptiker 2/2019
  • Original Play: „Wie eine Einladung für Pädophile“, Süddeutsche am 14. November 2019
  • Der größte Blödsinn des Jahres, futurezone am 8. Dezember 2019

14 Kommentare

  1. Ich habe zuerst gelesen, dass sich Hevert mit Anwaltsbrief gegen ihre Nominierung zum Goldenen Brett wehren. Es wäre ihnen zuzutrauen :D

    Aber es ist eine interessante Mischung. Mal sehen, wer am Ende „glücklicher“ Sieger wird.

  2. Aber der bayrische Landtag hat es leider nicht in die Endrunde geschafft. Wundert mich echt, bei den Nominierungen lagen sie zahlenmässig mit weitem Abstand vorne.

  3. @noch’n Flo:

    Uns auch …

  4. Für den bayerischen Landtag waren wohl nicht genug Bretter auf Lager.

  5. @ Udo Endruscheit:

    Och, dünne Bretter bohren die ja reichlich, was denen fehlt, sind die Köpfe.

  6. Mit dem goldenen Brett soll der „größte unwissenschaftlichen Unfug des Jahres“ geehrt werden. Daher finde ich (als Autor des oben referenzierten Artikels im Skeptiker 2/19) es sehr befremdlich, dass auch Dieter Köhler zu den Nominierten gehört.

    Man kann über die Art, in der er seine Kritik formuliert hat, geteilter Meinung sein und über den Inhalt streiten, aber die nähere Beschäftigung mit seinen Argumenten zeigt, dass man sie nicht einfach als „unwissenschaftlichen Unfug“ abtun sollte.
    Wenn die Juroren des goldenen Brettes zu einer anderen Bewertung gekommen sind, dann freue ich mich über ihre Leserbriefe, in denen sie ihre Gründe etwas detaillierter und fundierter erläutern!

    Es sei daran erinnert, dass Wissenschaft nicht die Gesamtmenge dessen ist, das die Mehrheit der Wissenschaftler derzeit für richtig hält, sondern über sich über ihre Methode definiert. Eine Methode, die Kritik explizit gutheißt und darauf Wert legt, dass Dinge überprüft werden können.

    Wenn man nun die (durchaus und in großer Menge vorhandene) Polemik weglässt, dann bleiben noch genügend in diesem Sinne wissenschaftliche Argumente übrig.

    Das Beispiel mit den Feinstaubtoten, die noch in keiner Arztpraxis aufgefallen sind, funktioniert als wissenschaftliches Argument natürlich nicht – ich würde es als nicht besonders gelungene polemische Zuspitzung interpretieren. Wenn man sich aber in eine Debatte ernsthaft einschalten möchte, dann sollte man sich die jeweils stärksten und nicht die schwächsten Argumente vornehmen. In diesem Fall kann man dann etwa zu dem Schluss kommen, dass die Datenlage zur Gefahr durch Stickoxide gar nicht so eindeutig ist…

  7. @ Philippe Leick:

    Bei Köhler ging es ja nicht nur um die Stickoxide, bei denen man über die Studienlage streiten kann, sondern z.B. auch um Feinstaub, mit deutlich besserer Studienlage, oder um seinen Pauschalvorwurf, die Umweltepidemiologen würden allesamt einseitig interpretieren.

    Da er meines Wissens GWUP-Mitglied ist, mag seine Nominierung in Skeptikerkreisen peinlich wirken, aber ganz unverdient kam er nicht zu dieser Ehre. Sein Argument, er hätte noch nie einen Feinstaubtoten gesehen, war schon von ausgesuchter Dämlichkeit.

    Ich habe ihn übrigens nicht nominiert – damit keine Missverständnisse aufkommen.

  8. Das Verhalten des Dieter Köhler ist für mich empörend. Seine Reaktion ist gegenüber der Gesellschaft und der Wissenschaft furchtbar ignorant und dumm, ja, sogar gefährlich.

    Wenn er sich aufgrund seiner Rechenfehler unterschwellig auf „Rentner ohne Sekretärin“ beruft, dann sollte er sich um seinen Garten kümmern und die Pflanzen bewässern.

    Entsetzlich, wie manche Sturköpfe ticken!

  9. Wenn ich mir die Liste der Vorschläge fürs Goldene Brett 2019 anschaue, dann fallen mir Schwurbler auf, die die finale Nominierung mehr verdient hätten. Ich hab den Eindruck, die Jury hat sich von der Medienpräsenz (zu dem Thema Feinstaub) von Hr. Köhler blenden lassen.

    Wenn der Preis als Satirepreis zu verstehen ist, dann könnte Herr Köhler das auch mit einem Augenzwinkern zur Kenntnis nehmen, wie beim igNobleprice.

    Ansonsten finde ich es sympathisch, dass auch Personen nominiert werden, die im Skeptiker interviewt wurden, wenn sie es denn verdient haben.

  10. Für mich ist es eindeutig Kopp. Ich meine ein Typ der negative Kommentare einfach mal löscht hat eindeutig eine goldene Scheune vorm Kopf. Vor allem wenn er die für ihn positiven stehen lässt, die eindeutig beweisen, das es die anderen Kommentare gab.

  11. @ Joseph Kuhn & Pierre Castell: Es liegt mir fern, Dieter Köhler vor Kritik in Schutz nehmen zu wollen. Zweifellos halten manche seiner Argumente einer näheren Überprüfung nicht Stand und sind seine pauschalen Vorwürfe an die Umweltepidemiologen massiv überzogen.

    Die Nominierung fürs Goldene Brett (oder auch: Titel und Inhalt mancher Blogbeiträge, Wortwahl in Kommentaren…) sagt aber aus, dass eine ernsthafte Beschäftigung mit seinen Gedanken vollkommen überflüssig ist. Mit diesem Urteil lehnen sich die Organisatoren des Goldenen Brettes meines Erachtens sehr weit aus dem Fenster.

  12. Mal was anderes … ich hatte kurzzeitig den Plan, zur Verleihung nach Wien zu fahren. Hat sich inzwischen erledigt. Auf der Webseite der Veranstaltung fand sich leider kein Hinweis auf Eintrittskarten. Von der Mailadresse im Impressum habe ich keine Antwort bekommen.

    Fürs nächstemal gefragt: Ist das eine geschlossene Veranstaltung? Oder muss/kann man sich drauf verlassen, eingelassen zu werden, wenn man da am Abend einfach so erscheint? Fahrkarte und Hotel sind ja nicht gratis.

    Weiß da jemand Bescheid?

  13. @2xhinschauen:

    Oder muss/kann man sich drauf verlassen, eingelassen zu werden, wenn man da am Abend einfach so erscheint?

    Ja.

  14. @2xhinschauen

    Eintritt ist frei. Steht irgendwo. (Sorry für die rudimentäre Quellenangabe).

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