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In der „Zeit“: Der neue Astro-Boom – „ein Trostpflaster, nur ein bisschen teuer vielleicht“

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In der aktuellen Zeit (40/2019) und bei Zeit+:

Eine kurze Zusammenfassung des ganzseitigen Artikels:

Astrologie „is suddenly trendy again“ (New York Times) und sei längst kein uncooles Hippie-Ding mehr, sondern gelte als „fortschrittlich“ und „schick“, und zwar nicht nur unter Yogalehrern und Heilpraktikern, sondern längst auch unter „Akademikern und Schriftstellern“ (Vanity Fair), was sich laut Observer unter anderem an den steigenden Zugriffen auf Online-Horoskope ablesen lässt, die jedes anständige Millennial-Medium (Broadly, refinery29, The Cut) anbietet.

Außerdem wird in jenen Astro-Erklärtexten immer wieder hingewiesen auf die verbreitete Nutzung von astrologischen Apps, Astro-Memes und astrologischem Vokabular in der Alltagssprache („Merkur ist rückläufig“) und auf die Verarbeitung astrologischer Themen auch in der Mode (Vetements, Valentino und inzwischen auch Urban Outfitters).

https://www.youtube.com/watch?v=XafUBJWbhbs vom 29. September 2019
  • Woran liegt das?

Das Interesse für Astrologie sei, klar, ein Frauending und spreche insbesondere queere Menschen an, was möglicherweise daran liege, dass die sich von der jeweiligen Religion ihrer Eltern seit je verachtet gefühlt hätten (New York Times).

Die verschiedenen Versuche zur Erklärung dieses Trends haben viel mit dem Internet zu tun (jeder kann sich hier unkompliziert sein persönliches Geburtshoroskop erstellen lassen, außerdem klickt sich personalisierter „Happy Content“ naturgemäß gut, das heißt, es ist einfach toll, wenn man das Gefühl hat, das Internet rede ganz persönlich mit einem).

Und dann wird, wenn es darum geht, das neue Interesse an Astrologie zu verstehen, selbstverständlich auch hingewiesen auf die unberechenbaren beziehungsweise „unsicheren Zeiten“, unter deren Eindruck die sogenannten und offenbar ziemlich gestressten Millennials stehen (Finanzkrise 2008, Klimawandel, Trump, man kann sich auf gar nichts mehr verlassen), wobei die Astrologie als hierarchielose Antwort auf ein „System, das nicht mehr funktioniert“, interpretiert wird, die insbesondere „Outsider“ anspreche (Observer).

  • Was kam bei der astrologischen Lebensberatung heraus?

Wir fanden heraus, dass ich hochsensibel, wahnsinnig kreativ und sehr freiheitsliebend sei, aber eben auch sehr verantwortungsbewusst […]

Es  war eine Art Tanz, bei der die astrologische Beraterin auf Grundlage ihres komplexen astrologischen Systems ein Lebensinterpretationsangebot machte […], und von diesem Interpretationsangebot nahm ich mir, was ich passend fand, und interpretierte es meinerseits, was wiederum sie in ihrer Interpretation bestätigte und sie, unter Einsatz der von mir preisgegebenen Informationen, zu weiteren Interpretationen veranlasste, und am Ende waren wir uns über die sich fortwährend verdoppelnden Interpretationen vollkommen einig und hatten das Gefühl, Entscheidendes herausgefunden zu haben, und dabei waren die – oh Gott – Sterne nur das System, mit dem wir uns über Bande unterhielten.

Man könnte auch sagen: Es war ein ganz normaler Therapie-Talk, getunt durch ein bisschen Astro-Power […] Ein Trostpflaster, nur ein bisschen teuer vielleicht.

Eine durchaus kluge Schlussfolgerung – und die eigentliche Malaise unserer Zeit streift die Autorin ebenfalls, wenn auch nur in einem Nebensatz:

Ärzte, Freunde und Familie haben einfach keine Zeit mehr für Mitleid.

Zum Weiterlesen:

  • Merkur ist rückläufig, Zeit+ am 25. September 2019
  • Walulis-Video: Astro-Abzocke – noch lange nicht tot, GWUP-Blog am 5. Juni 2019
  • „Mein Horoskop stimmt immer!“ Ja und? GWUP-Blog am 4. Mai 2013
  • Ein astrologischer Wahrsagercheck: Frau Keidel-Joura hat immer Recht, wahrsagerchecks-blog am 4. Januar 2019
  • Andreas Hergovich: Die Psychologie der Astrologie. Verlag Hans Huber, Bern 2005

Ein Kommentar

  1. Dazu kann ich eine kleine Anekdote liefern:

    Anfang der Neunziger hatte ich eine Shareware eines Astrologie-Programms installiert (nicht heruntergeladen, das konnte man damals noch nicht im großen Stile…aber es gab Computer-Zeitschriften mit 3,5″-Diskette…also 1,44 MB…und darauf waren etwa 10 Programme :-))

    Ich gab meine (vermeintlichen) Geburtsdaten ein und erhielt eine „Charakter-Analyse“ und ich war erstaunt…da stimmt ja vieles (so dachte ich)…aber leider merkte ich später, daß ich meine Geburtsdaten falsch in das Programm eingab :-D

    und so versuchte ich noch einige andere Geburtsdaten und merkte doch schnell, daß sie alle in irgend einer Form meinem Charakter entsprachen (oder das, was ich davon hielt).

    Von da an, kam ich nie mir in die Versuchung, ein solches auszuprobieren.

    P.S.: Das Programm war kein „primitives“ DOS-Programm, sondern das populärste und auch relativ komplexes Windows-Programm…mit Grafik…usw ;-)

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